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Akrobatik, Literatur und Töne mit Cirque Niveau

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Zinzi und Evertjan sind mit ihrer Kunst ein Teil des wirbelnden Zirkus aus Akrobatik, Literatur und Musik.Foto: Holm Wolschendorf
Premiere in Ludwigsburg: Crossover der anderen Art mit Freiburger Truppe in der Reithalle – Ein Abend für alle Sinne

Ludwigsburg. Die Ludwigsburg-Premiere des jungen Programms hyrrätytö bot eines dieser Aha-Erlebnisse: Wieso ist da nicht schon eher jemand drauf gekommen? Crossover gibt es schließlich schon lange. Aber jetzt erst ist hier diese unter der Regie von Stefan Schönfeld entstandene Mischung aus klugen und lustigen Texten, einem schrägen Musikmix und – ja, doch: atemberaubenden – artistischen Nummern zu sehen.

Ein besonderer Höhepunkt waren dabei die mal ungeheuer anmutigen, mal wagemutigen Drehungen, die Claudia Franco in ihrem Roue Cyr, einem dem Rhönrad ähnlichen, aber einteiligen Reifen, auf der kleinen Bühne vollführte. Diese ästhetische Nummer steht dem Titel hyrrätytö besonders nahe. Das finnische Wort übersetzt die internationale Truppe mit „Tochter des Kreisels“. In Freiburg ist ihr Konzept seit 2012 zu sehen. Nun holte sie die Tanz- und Theaterwerkstatt in die Stadt.

Die mit Goldlitzen verzierten Kostüme hängen als Erinnerung an den alten Zirkus im Bühnenvorhang. Geblieben sind dem Direktor Frack und Rednerpult. Er hält eine von historischen Schnitzern und Ironie strotzende „Werkeinführung“ in den vom Cirque Nouveau abgeleiteten Cirque Niveau. Dazu gehört die Sängerin (Bella Nugent) auf dem Hocker, die mit langen blonden Haaren ein Lied zur Gitarre singt. Mehr poetischer Pierrot als Dummer August. Sie und das Geschehen werden von Tönen und Geräuschen unterstützt, unterbrochen oder hinterfragt, von Wolfgang Fernow am Kontrabass und Schroeder am Schlagzeug produziert.

Sie fallen auch mal in dramatische Steigerung mit ein. Roman Müllers perfekte Spielereien lassen da keine Wahl. Dann wird der Jongleur, mehr Theater als Zirkus, unter den weißen Diabolohälften erst einmal begraben. Daneben rezitiert Marcus Jeroch einen Text von Enzensberger über das Verbot, Personen in Brand zu setzen. Einem erotischen Annäherungstanz von Zinzi und Evertjan folgt deren fantastische Hand-auf-Hand-Akrobatik. Nach diesem Wunder für die Augen gibt es wieder Extravagantes für das Ohr, eine Predigt Jerochs mit Friedhelm Kändlers „Proligion“ und andere philosophisch-dadaistische Wortjonglagen.

Schön nah kommen sich kluge Gedanken und ästhetische Spielerei, als Jeroch wie kommentierend hinter dem wieder erwachten Diabolomann steht. Clownereien spielen ihre Rolle, wie auch bei Jerochs Apparate-Jonglage. Oder bei Zinzis Torkelei mit einem Beil. Nach messerscharfen Balanceakten zieht sie eine Blockflöte aus dem Strumpf. Der letzte akrobatische Höhepunkt, Ulla Tikkas Tänze auf dem Seil, zeigt die Grenzen auf. Die Gleichzeitigkeit der Dinge funktioniert nicht immer. Tikkas Kunst ist so mutig und groß, dass der Sinnesapparat sich gegen die Texte wehrt, selbst wenn sie von Kafka stammen.