1. Startseite
Logo

Aussage steht gegen Aussage

Gericht verurteilt 34-Jährigen wegen sexuellen Übergriffs in einer Physio-Praxis

Schwieberdingen. Es gab Tumult, Aussage stand gegen Aussage – doch am Schluss glaubte das Gericht der Belastungszeugin und verurteilte einen 34-jährigen Mann zu einem Jahr und sechs Monaten Haft – ausgesetzt zur Bewährung. Den Vorwurf formulierte die Richterin so: „Ihre Hände hatten nichts im BH der Frau zu suchen.“ Erschwerend kam der Tatort hinzu: die Kabine einer Physiotherapiepraxis. Dort arbeitete der junge Mann als Mädchen für alles – Terminplanung, Telefondienst, Räume desinfizieren – nur nicht als Physiotherapeut, denn dafür war er nicht ausgebildet. Allerdings war er der Ehemann der Chefin und ging seiner Frau gelegentlich zur Hand, zum Beispiel um Patienten zu halten. Eine der Patientinnen war eine 26-jährige Frau, die wegen ihres Bandscheibenvorfalls in Behandlung war und sich in guten Händen fühlte. Bis zu einem Tag Anfang Mai vergangenen Jahres, als sie am Abend nach der Behandlung Anzeige gegen den Ehemann der Physiotherapeutin erstattete.

Was damals in der Kabine geschehen war, schilderte sie als Zeugin eloquent, wortreich und immer wieder von Weinen geschüttelt: sie angezogen auf der Liege, der Angeklagte hinter ihr sitzend. Dann waren seine Hände plötzlich unter ihrem Kleid und in ihrem BH. „Und was haben die da gemacht?“, wollte die Richterin wissen. „Muss ich es sagen?“, weinte die Zeugin. Er habe angefangen, ihre Brüste zu kneten, und sie habe den Eindruck gehabt, er wolle sie küssen. Ins Gesicht geschlagen – wie es in der Vernehmung bei der Polizei stand – habe sie ihn nicht, aber weggestoßen. „Ich bin ehrlich!“, beteuerte die junge Frau mehrfach. Dann sei sie gegangen. Er habe ihr mit dem Finger an den Lippen bedeutet, zu schweigen, nichts seiner Frau zu sagen. Seit dem Vorfall habe sie Alpträume und Panikattacken.

Zwei Monate später erhielt der Mann Kenntnis von den Vorwürfen. Er musste eine Speichelprobe abgeben; der BH der Frau war da schon bei der molekulargenetischen Untersuchung. Ergebnis: DNA-Spuren im Inneren beider BH-Körbchen, vom Angeklagten und von einem weiteren Mann.

Die junge Frau hatte ihren Vater zur Verstärkung mit ins Gericht gebracht, der sich nach ihrer Aussage lautstark in die Verhandlung einmischte und Drohungen gegen den Angeklagten ausstieß, die im Tumult kaum zu verstehen waren. Er werde ihm das antun, was er seiner Tochter angetan habe, destillierten Richterin, Staatsanwältin und Verteidiger aus dem Geschrei heraus.

„Ich bin niemals allein mit Patienten“, ließ der Angeklagte seine Dolmetscherin übersetzen. Er und seine Frau waren vor sechs Jahren von Griechenland nach Deutschland gekommen und hatten 2019 die Praxis gekauft. Er demonstrierte, wie er hinter der Frau gesessen, unter ihren Achseln durchgefasst und seine Arme vor der Brust der Patientin verschränkt hatte, um sie zu halten, während seine Frau an ihr arbeitete. „Ich habe Schwestern, ich habe eine Tochter, ich habe gekämpft, um eine Familie zu gründen. Ich würde nichts tun, was das in Gefahr bringt!“, sagte er im Schlusswort.

Die Staatsanwältin sah das in ihrem temperamentvoll vorgetragenen Plädoyer ganz anders: „Es war genau so, wie die Zeugin es schildert! Ich habe noch nie eine so glaubhafte Aussage gehört!“ Die Reaktion der jungen Frau sei ganz typisch für Opfer eines sexuellen Übergriffs. Sie forderte zwei Jahre Haft ohne Bewährung und 3000 Euro Sühnezahlung an den Weißen Ring.

Der Verteidiger des jungen Mannes dagegen hatte „erhebliche Zweifel“ an der „sehr impulsiven“ Darstellung der Zeugin und fragte sich und das Gericht, warum sein Mandant sich in der noch nicht abbezahlten Praxis seiner Frau an einer Patientin vergreifen sollte – „Da wär’ er doch blöd!“ Die Frage blieb ebenso unbeantwortet wie die nach dem Motiv der Frau, eine solche Geschichte frei zu erfinden. Die Richterin schloss sich der Ansicht der Staatsanwältin an. Zwar habe der sexuelle Übergriff nur kurz gedauert, dafür aber in einer beschützten Atmosphäre stattgefunden: „Sie haben die schutzlose Position der Frau ausgenutzt!“ Das vierstündige Verfahren, die Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten – drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt – und 3000 Euro als Sühne an den Weißen Ring seien hoffentlich eindrucksvoll genug, denn: „So etwas darf nie wieder passieren!“