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Demenz: Wenn das Vergessen den Alltag bestimmt

Die Marbacher Projektgruppe „Demenzfreundliche Stadt“, die Awo Marbach-Bottwartal, die Caritas, die Diakoniestation Marbach, die Demenz-Allianz Marbach-Bottwartal und die Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg präsentierten sich und ihre Angebote f
Die Marbacher Projektgruppe „Demenzfreundliche Stadt“, die Awo Marbach-Bottwartal, die Caritas, die Diakoniestation Marbach, die Demenz-Allianz Marbach-Bottwartal und die Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg präsentierten sich und ihre Angebote für Angehörige und Betroffene vor Beginn der Podiumsdiskussion in der Stadthalle. Foto: Ramona Theiss
Die bundesweite Woche der Demenz lenkt den Blick auf eine immer noch stigmatisierte Volkskrankheit. Bei einer Podiumsdiskussion in der Marbacher Stadthalle stand am Mittwochabend die Situation von Betroffenen und ihren Angehörigen im Mittelpunkt.

Marbach. Die nüchternen Zahlen sind erschreckend. Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland waren 2018 an Demenz erkrankt, täglich werden 900 neue Fälle diagnostiziert. Und weil die Gesellschaft älter wird, gehen Experten davon aus, dass sich die Zahl der Demenzkranken bis 2050 mehr als verdoppelt.

„Warum ist Demenz immer noch ein Randthema, fast ein Tabu?“, fragt Moderatorin Karin Götz die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Diagnose Demenz“, die die Marbacher Projektgruppe „Demenzfreundliche Stadt“ organisiert hat. Häufig liege das an einem gewissen Wunschdenken, vermutet Hartwig von Kutzschenbach, Vorsitzender der Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg. „Man hofft, dass es irgendwie an einem vorbeigeht.“

Auseinandersetzungen belasten familiäre Beziehungen

Die Mutter von Inès Stritter erkrankte im Alter von etwa 80 Jahren an Alzheimer. Sie sei bis dahin eine selbstbewusste und selbstständige Frau gewesen, die mit beiden Beinen im Leben stand, erzählt Stritter. Dann aber habe sie sich immer wieder Termine falsch gemerkt, häufig ihren Schlüssel und Geldbeutel verlegt.

Die Folge waren Diskussionen, bei denen die Mutter regelmäßig jegliche Schuld von sich wies. „Das ging etwa ein halbes Jahr so“, blickt Stritter zurück. Die Auseinandersetzungen hätten das enge Verhältnis immer stärker belastet. „Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, warum ich so mit ihr gestritten habe.“

Der Gang zum Hausarzt brachte dann Gewissheit. „Er sagte, dass meine Mutter auf dem Weg in die Demenz ist und ich mir sofort eine Vollmacht besorgen soll“, erinnert sich Stritter. „Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen.“ Diese Erfahrungen seien typisch, so von Kutzschenbach. Die beginnende Demenz gehe in aller Regel mit Konfrontationen einher, „weil die Angehörigen denken, dass sie Fehler richtigstellen müssen“.

Viele Betroffene sind verzweifelt, weil sie nicht mehr alleine zurechtkommen

Es sei nicht einfach, richtig auf diese Krankheit zu reagieren, meint Rainer Schaub, Chefarzt am Weinsberger Klinikum am Weissenhof, einer Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie. Die große Kunst bestehe darin, sich auf die Verfasstheit der Demenzkranken einzulassen. Deren Verhalten wirke auf Außenstehende häufig aggressiv. „Tatsächlich sind die Menschen einfach nur verzweifelt, weil sie merken, dass sie nicht mehr alleine zurechtkommen.“

Wer die Betroffenen bloßstelle, verschlimmere die Situation nur. Angehörige müssten sich bewusst machen, dass sie als Gesunde Verantwortung tragen, betont Schaub. Allerdings sei es wichtig, sich bei der Pflege nicht zu überfordern und Entlastungsangebote anzunehmen

Empathie im Alltag ist das A und O

Michael Herzog, Facharzt für Innere Medizin, stimmt seinem Kollegen zu. Denn mit der Pflege übernähmen die Angehörigen eine extrem schwierige Aufgabe, in gewisser Weise einen 24-Stunden-Job. „Da lässt es sich gar nicht vermeiden, dass man auch mal aus der Haut fährt.“

Empathie sei das A und O im alltäglichen Miteinander, so Herzog. „Es ist ganz wichtig, den Patienten das Gefühl zu vermitteln, dass man sie anschiebt. Sie spüren das, auch wenn es nur eine kurze Streicheleinheit ist.“ Mitunter sei es allerdings die bessere Lösung, die Angehörigen in ein Pflegeheim zu geben, ergänzt von Kutzschenbach, „sonst geht man selbst zugrunde“. In einem späteren Stadium der Krankheit sei für die Betroffenen ohnehin wichtiger, in einem fürsorglichen Umfeld als in den eigenen vier Wänden zu leben.

Stritter hat einen Tipp aus der Praxis. Es sei hilfreich, den Demenzkranken das Gefühl zu geben, dass sie selbst entscheiden. „So werden Aggressionen gar nicht erst ausgelöst. Man muss mit Tricks arbeiten, aber fair bleiben.“