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Der Briefträger und das Buch

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Wolfgang Vogel hat eigentlich auf Post aus Ungarn gewartet, als Briefträger Joachim Auerbach am Morgen bei ihm klingelte, um ihm ein Buch zu schenken. Foto: Holm Wolschendorf
Briefträger Joachim Auerbach war gestern in besonderer Mission unterwegs. In seinen Fahrradtaschen hatte er nicht nur Briefe und kleine Päckchen, sondern auch jede Menge Bücher. Diese hat er anlässlich des Welttag des Buches, der am Sonntag war, unter seinen Kunden verschenkt. Wir haben ihn auf seiner Tour durch den Bezirk begleitet.

Ludwigsburg. Noch herrschen frische fünf Grad an diesem sonnigen Montagmorgen. Joachim Auerbach hat sein Rad gepackt. „Viel ist es nicht“, sagt er. Wie immer montags. Genug Platz also in der Lenkerkiste für die aktuellen Bestseller von Julie Zeh, Nora Roberts oder Robert Seethaler.

Vom Zustellstützpunkt in der Schwieberdinger Straße geht es mit dem E-Bike in Richtung Innenstadt. Der „Zehner“ ist Auerbachs Bezirk. Seit gut zwölf Jahren ist er zwischen Asperger Straße und Talstraße unterwegs. Bücher zum Verschenken hatte er allerdings noch nie im Gepäck.

„Ich hab heute keine Post für Sie“, sagt Auerbach, als die Haustüre geöffnet wird. Wolfgang Vogel ist irritiert. Warum klingelt dann der Briefträger? „Ich schenke Ihnen heute ein Buch.“ Vogel lächelt ungläubig, schaut den Zusteller an und scheint sich umzublicken, ob das nicht vielleicht eine Aktion von „Versteckte Kamera“ ist. Nein, ist es nicht, und Wolfgang Vogel entscheidet sich für Julie Zehs Roman Unterleuten. „Eigentlich hab’ ich auf Post aus Ungarn gewartet“, sagt er. Aber über das Buch freue er sich auch.

Auch die Müllabfuhr ist an diesem Morgen unterwegs. Auerbach zirkelt haargenau zwischen Hecken und Mülltonnen hindurch. Leise surrt das E-Bike. „Ein Hund hat mir mal in den Kittel gebissen, weil er das Geräusch nicht leiden konnte.“ Sonst komme er mit Hunden eigentlich gut aus. „Ich mag die.“

Hier und da erhält Auerbach auch eine Abfuhr. „Ich lese nicht“, sagt eine ältere Dame. Eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern im Hintergrund hat noch so viele Bücher auf Halde, dass sie die erst einmal lesen will. Und ein älterer Herr will dem Zusteller am liebsten einen Stapel alter Bücher mitgeben. Dafür freut sich Maren Breinich, die Auerbach auf der Straße vor dem Haus abfängt. „Ich nehm irgendwas“, freut sie sich über das unverhoffte Geschenk, und entscheidet sich für den Krimi Am dunklen Fluss.

Rund 20 Bücher, eine bunte Mischung der aktuellen Bestsellerliste, hat der Briefträger zum Verschenken dabei. Wen er damit beglückt, bleibt ihm selbst überlassen. „Ich weiß in etwa, wo jemand zu Hause ist, der sich über ein Buch freuen könnte“, sagt er.

„Was bin ich schuldig?“, fragt Irma Gutt aus dem Fenster heraus. Sie hat sich einen Roman für ihre Tochter ausgesucht. Das Buch ist ein Geschenk, und Geschenke kosten nichts. Bevor das Fenster wieder zu geht, streckt sie Joachim Auerbach noch eine Schachtel Pralinen entgegen, „weil ich Sie über Ostern nicht gesehen habe.“

Dass ausgerechnet Auerbach Bücher verschenkt, war nicht von ihm geplant. „Wir haben die Bezirke nach dem Zufallsprinzip ausgewählt“, sagt Gerold Beck von der Pressestelle der Deutschen Post.

Die Kunden im Zehner freut es: „Das ist aber nett!“, sagt eine Dame, die sich als „Leseratte“ bezeichnet. Als Auerbach bei Ingrid Meister klingelt, ist diese gerade beim Kochen („gefüllte Weinbergblätter“). „Ich lese, während das Essen brutzelt“, lacht sie und freut sich über Die Götter – Ruf der Krieger. Birgit Rohde ist total überrascht. „Ich dachte erst, ich hab was angestellt, bekomme einen Strafzettel.“ Das Buch-Geschenk findet sie eine „super Idee.“

Als Joachim Auerbach zurück in die Schwieberdinger Straße kommt, ist es mild geworden. Die gefüllten Weinbergblätter von Frau Meister sind bestimmt fertig gebrutzelt und die Vorfreude aufs Lesen bei allen Beschenkten groß.