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Der grüne Hügel wird bunt

Kein Ende, sondern Transformation: Szene aus der „Walküre“. Foto: Enrico Nawrath/dpa
Kein Ende, sondern Transformation: Szene aus der „Walküre“. Foto: Enrico Nawrath/dpa
„Blutkünstler“ Hermann Nitsch untermalt die Bayreuther „Walküre“, auch die Klangfarbe ist neu

Bayreuth. Es macht laut „Platsch“ im Bayreuther Festspielhaus. Mit Schwung klatschen die Assistenten des berüchtigten Aktionsmalers Hermann Nitsch zu den Klängen von Richard Wagners „Walküre“ alle Farben des Regenbogens auf den Boden, werfen mit den Inhalten unzähliger Farbeimer geräuschvoll um sich. Und das vor Zuschauern, die oft schon pikiert die Nase rümpfen, wenn jemand neben ihnen husten muss.

Diesem Publikum mutet Nitsch bei seiner Malaktion am Donnerstagabend bei den Wagner-Festspielen auf dem Grünen Hügel also einiges zu: „Winterstürme wichen dem Wonne – platsch – mond“. So hat sich Siegmunds Arie in Bayreuth wohl noch nie angehört. „In mildem Lichte leuchtet der Lenz – platsch, platsch.“

Es ist Nitschs Debüt auf dem Grünen Hügel, auf den er sich schon lange gesehnt hat, wie er im Vorfeld sagte. Seine Aufgabe: eine konzertante „Walküre“ illustrieren. Sie soll einen musikalischen Vorgeschmack geben auf den kompletten „Ring des Nibelungen“ in einer Neuinszenierung von Regisseur Valentin Schwarz, der schon für 2020 geplant war, wegen Corona aber nun erst im kommenden Jahr Premiere feiern soll.

Kein tierisches Blut – oder etwa doch?

Nitsch, der mit seinem berühmten Orgien-Mysterien-Theater in einem österreichischen Schloss eine Art Gegenentwurf zu Bayreuth geschaffen hat, wolle „versuchen, mit der Farbenkraft der wagnerschen Musik im positiven Sinn zu konkurrieren“, schreibt er im Programmheft. Konkurrenz macht er der Musik zweifellos – ob das aber „im positiven Sinn“ geschieht, liegt wohl im Auge des Betrachters. Denn es gibt durchaus laute Buhs, als seine Mal-Assistenten sich am Schluss der Aufführung verbeugen. Und das obwohl die Bilder, die auf der Bühne bis dahin entstanden sind, dem von Nitsch versprochenen „Farbrausch“ schon sehr nahe kommen.

Eigentlich, das gibt Nitsch ebenfalls im Programmheft unumwunden zu, habe er einfach nur seinen Stiefel durchziehen wollen. Normalerweise nutzt er für seine Malaktionen in erster Linie tierisches Blut und Gedärme. Ob er selbst entschied, darauf zu verzichten und sich mit dem zu begnügen, was er „Vorstufen“ zu seinem Theater nennt, oder ob vielleicht Festspielleiterin Katharina Wagner (um ihr zum Teil sehr konservatives Publikum wohl wissend) ihm möglicherweise dringend dazu riet, ist unbekannt. Nitsch räumt auch ein, er habe sich an seinen Vorsatz dann doch nicht ganz halten können: „Die Gewalt und Pracht der Musik“ habe ihn dazu verleitet, doch direkt darauf einzugehen. Dabei bezieht er sich allerdings wohl eher auf den Text als auf die Musik, zu der die geschütteten und geworfenen Farben rhythmisch in keinerlei Beziehung zu stehen scheinen.

Als Siegmund (Klaus Florian Vogt) und Sieglinde (Lise Davidsen), die Zwillinge, sich treffen und lieben, taucht Nitsch das in leuchtendes Rot. Als Fricka (Christa Mayer) Wotan (Tomasz Konieczny) sagt, was sie davon hält, dass er Kinder mit einer anderen hat, erscheint ein neidisches Gelb auf den riesigen Leinwänden, die die Bühne einrahmen. Zum Schluss, als Wotan Brünnhilde (Iréne Theorin) auf den Drachenfelsen verbannt, werfen die Assistenten, die Nitsch vom Bühnenrand aus mit Farbtafeln anleitete, wie er sagte, verschiedene Rot-Töne an die Wand. Feuer.

Zwei Mal – beim Tod Siegmunds und ganz zum Schluss bei der Verbannung Brünnhildes – ist auch eine Nitsch-Spezialität zu sehen: Kreuzigungsszenen. Einmal davon sogar mit einer Flüssigkeit, die doch verdächtig nach Blut aussieht. Die Szenen stehen, so sagen es Nitsch-Kenner, bei ihm nicht für ein Ende, sondern für Transformation. Schließlich hat Siegmund Siegfried in Sieglindes Bauch hinterlassen, als er stirbt. Und jedem Wagnerianer ist auch klar, dass Brünnhildes Verbannung mitnichten das Ende bedeutet.

Dennoch gelingt es Nitsch nicht, das Publikum so richtig mitzunehmen an diesem Premierenabend. Und auch musikalisch überzeugt die Aufführung nicht restlos. Der Finne Pietari Inkinen, einige Jahre Dirigent des Ludwigsburger Festspielorchesters, muss Unmutsbekundungen über sich ergehen lassen für eine blasse, zurückhaltende Interpretation der zweiten Oper aus Richard Wagners Mammutwerk „Der Ring des Nibelungen“ – und das, obwohl Buhs für einen Dirigenten in Bayreuth eher nicht an der Tagesordnung sind. Im kommenden Jahr soll Inkinen alle vier „Ring“-Opern dirigieren. Dann darf er ruhig ein, zwei Schippen drauflegen.

Das gilt auch für die neue Bayreuther „Brünnhilde“ Iréne Theorin, die eher höflichen Applaus bekommt. Den bekommt auch Wotan-Einspringer Tomasz Konieczny. Er hatte die Rolle nur wenige Tage vor der Premiere von Günther Groissböck übernommen, der sie sich nach Angaben der Festspielleitung derzeit wegen der langen Coronapause nicht zutraut.

Uneingeschränkten Jubel gibt es dagegen für die Bayreuther Allzweckwaffe Vogt als etwas leidenschaftslosen Siegmund und vor allem eine stimmgewaltige Davidsen als Sieglinde, die Theorins Brünnhilde mühelos an die Wand singt.