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Dialoge aus Württemberg

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Der Germanist Hans-Ulrich Simon, die Mitglieder der Akademie für Gesprochenes Wort und die Musiker im Schloss.Foto: Holm Wolschendorf
Kerner zu Ehren: ein Abend mit Text und Musik der Haake-Stiftung im Marmorsaal des Schlosses

Ludwigsburg. Ein Briefwechsel zwischen dem in Ludwigsburg geborenen Dichter und Arzt Justinus Kerner und der Reiseschriftstellerin Emma von Suckow war der literarische Aufhänger der zweiten diesjährigen Veranstaltung der Haake-Stiftung im Marmorsaal des Schlosses. Fast 840 Briefe haben sich die beiden Zeitzeugen des schwäbischen Biedermeier in den Jahren 1838 bis 1862 geschrieben, und in ihnen spiegelt sich der Übergang vom Ständestaat zur bürgerlichen Gesellschaft im Württemberg des 19. Jahrhunderts.

Der Germanist und Autor Hans-Ulrich Simon, der den Briefwechsel im Februar dieses Jahres unter dem Titel „Stuttgarter Gesellschaft um 1850“ herausgegeben hat, zeichnete bei der literarisch-musikalischen Soiree im Marmorsaal die historischen und biografischen Hintergründe. Mitglieder der Akademie für Gesprochenes Wort lasen Auszüge, Patrick Bebelaar und Matthew Bookert sorgten für die jazzige musikalische Korrespondenz.

Zu Beginn kreisen die Briefe der mit einem Offizier in der Stuttgarter Residenz verheirateten Emma von Suckow noch vornehmlich um Klatsch und Tratsch am Königshof. Beim Besuch des russischen Thronfolgers (1839) in Stuttgart oder der Heirat der Zarentochter Olga mit dem späteren König Karl von Württemberg (1846) geht es um Bälle und Garderobe.

Isabelle Boslé las diese Plaudereien mit entzückender Contenance, und es gelang ihr auch, die Wandlung der lebenslustigen Offiziersgattin zur sympathisierenden Beobachterin der 1848er-Revolution in Württemberg anschaulich zu machen.

Justinus Kerner, andererseits, ist zwiespältig in seiner Haltung gegenüber den demokratischen Forderungen seiner Freunde, mag in Weinsberg nicht „aus aller Poesie fallen und politisieren“. Felix Heller gibt ihm Stimme und Profil, und Bebelaar und Bookert sorgen für die fulminante Begleitmusik: der Pianist mit virtuosen Variationen über Jazz-Evergreens, der Tubaspieler mit einer tollen Fantasie über den „großen afrikanischen Löwen“, der irgendwo in den Briefen erwähnt wird. Als der republikanische Aufruhr Stuttgart erreicht, knallt und fetzt es im Tongemälde der beiden ganz schön, und nach der Auflösung des württembergischen Parlaments 1849 durch das Militär wird wild gejazzt.

Dem musikalischen Epitaph auf die gescheiterte Revolution folgt die briefliche Chronik der Folgen im Privaten: Kerners Sohn Theobald geht als Republikaner ins französische Exil. Nach seiner Rückkehr wird er 1850 zu zehn Monaten Festungshaft auf dem Hohenasperg verurteilt. Ein gelungener Abend der Haake-Stiftung.