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Giftige Beziehung landet vor dem Amtsgericht

Immer wieder hat ein 34-jähriger Ludwigsburger seine Freundin verletzt. Dafür muss er jetzt ein Jahr ins Gefängnis. Archivfoto: Maurizio Gambarini/dpa
Immer wieder hat ein 34-jähriger Ludwigsburger seine Freundin verletzt. Dafür muss er jetzt ein Jahr ins Gefängnis. Foto: Maurizio Gambarini/dpa
Ein 34-Jähriger hat seine Freundin immer wieder schwer verletzt. Trotzdem verteidigt ihn das Opfer vor Gericht und will ihm noch eine Chance geben. Die Richterin und die Staatsanwältin können es kaum fassen. Am Ende bleiben sie hart.

Ludwigsburg. Das Drama kündigt sich schon vor der Sitzung an. „Ich verzeihe ihm. Ich will nicht, dass er in den Knast muss. Jeder hat eine zweite Chance verdient“, erzählt die 44-Jährige dem Reporter im Flur des Amtsgerichts, noch bevor die Verhandlung begonnen hat. Das ist ein Vorgeschmack auf das, was die Frau wenig später im Zeugenstand von sich geben wird. Sie hängt an dem Angeklagten. Sie schreibt ihm Briefe ins Gefängnis. Für Außenstehende ist das alles nur schwer nachvollziehbar.

Auf der Anklagebank sitzt ein hagerer Mann, dem bisher eigentlich alles im Leben misslungen ist. Im Sommer hat er seine Freundin mehrfach so schwer verletzt, dass er seit Mitte Juli in Untersuchungshaft sitzt. Er hat keine Ausbildung gemacht, nie längerfristig irgendwo gearbeitet. Sein Vorstrafenregister zählt 34 Einträge. Mehrfach saß er bereits im Gefängnis. Seit seiner Jugend ist der Ludwigsburger alkohol-, drogen- und medikamentenabhängig. Weil er eine Zeit lang sogar heroinsüchtig war, ist er seit acht Jahren im Methadonprogramm.

Das Opfer gibt sich eine Mitschuld

Ein kontrolliertes Leben ist dem 34-Jährigen fremd und sein Verhalten gegenüber seiner Freundin fügt sich in dieses Bild. Drei Vorfälle aus dem Sommer standen am Montag zur Anklage. Die Liste seiner Gewalttaten dürfte aber wesentlich länger sein. Denn bereits im Januar hat seine Freundin ein Kontaktverbot gegen ihn erwirkt, welches sie freilich selbst immer wieder gebrochen hat.

Im Mai besucht sie den Mann in seiner Wohnung, es kommt zum Streit, der 34-Jährige schlägt die Frau mit der flachen Hand und mit der Faust, tritt sie mit den Füßen, hält ihr ein Messer an den Hals und brüllt: „Ich stech Dich ab. Dafür gehe ich gerne 15 Jahre in den Knast.“ Einen Monat später kommt es zu einem noch gravierenderen Vorfall. Im Streit wirft er der Frau einen Metallgegenstand ins Gesicht. Die 44-Jährige wird dabei schwer am Auge verletzt, verliert das Bewusstsein und muss operiert werden. Die Verletzung ist so schwer, dass Teile ihres Schädelknochens durch eine Prothese ersetzt werden müssen. Nur wenige Wochen später, ereignet sich am 4. Juli der nächste Übergriff. Nach einem Streit um Geld schleift der 34-Jährige die Frau durch halb Ludwigsburg in seine Wohnung, schlägt sie, tritt sie, beleidigt und beschimpft sie und verletzt sie mit einem Messer am Oberschenkel. Nur mit Mühe gelingt es der Frau, einen Hilferuf an ihre Mutter abzusetzen und aus der Wohnung zu entkommen.

„Ich verzeihe ihm. Seit er im Gefängnis ist, habe ich genug Zeit gehabt, mir alles zu überlegen“, sind die ersten Worte des Opfers im Zeugenstand. Doch damit nicht genug. Sie trage eine Mitschuld an der Eskalation, habe ihn immer wieder provoziert. Die Richterin, die beiden Schöffinnen und die Staatsanwältin können ihren Ohren kaum glauben. Vor ihnen liegen die Ordner, die etliche Fotos enthalten, die zeigen wie brutal zugerichtet die Frau nach den „Vorfällen“ ausgesehen hat – Hämatome am gesamten Körper.

„Gegen Gefühle kann man nichts machen“, sagt das Opfer. Die Richterin kann es kaum glauben und erinnert die Frau an ihre verzweifelten Anrufe bei der Polizei, beim Gericht, an die etlichen Anzeigen, an das Kontaktverbot. „Jetzt kann alles anders werden. Geben Sie uns doch eine Chance“, kontert die 44-Jährige.

Entsprechend schwer läuft die Befragung zu den einzelnen Übergriffen. Die 44-Jährige will sich kaum noch an die Taten erinnern, spielt die Gewalt und Bedrohungen herunter. Ihre Strafanträge wegen Beleidigung zieht sie noch während der Zeugenaussage zurück. Dieser Teil der Anklage fällt damit weg. Am Ende fragt sie Richtung Richterbank: „Darf ich ihn in den Arm nehmen?“. Der Angeklagte sitzt nicht weit von ihr. Doch der Wunsch bleibt unerfüllt.

„Er hat keine guten Nerven“, bescheinigt die Mutter des Opfers dem Angeklagten. Sie hat ihrer Tochter nach den Übergriffen immer wieder geholfen, ist mit ihr zum Arzt oder ins Krankenhaus gefahren. Doch auch die Mutter des Opfers verteidigt den Mann und verharmlost alles. „Er wollte ihr bestimmt nicht so weh tun.“ Er sei betrunken gewesen. Die Taten seien vergessen und verziehen.

Ein Ludwigsburger Polizist, der immer wieder mit dem Paar zu tun hatte, erzählt, wie der Frau immer wieder geraten wurde, sich von dem Mann fernzuhalten. „Doch sie denkt immer wieder auf’s Neue, vielleicht ist es dieses Mal besser“, so der Polizist. Trotz des Annäherungsverbots habe sie sich immer wieder mit ihm getroffen.

Die Staatsanwältin fordert am Ende ein Jahr und vier Monate Haft für den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Mann habe seine Taten vor Gericht zwar weitgehend eingeräumt und stand bei allen Übergriffen offenbar unter Rauschmitteln, da er bereits mehrfach vorbestraft ist und ein besonders hohes Aggressivitätspotenzial habe, sieht sie keine Möglichkeit, die Strafe zur Bewährung auszusetzen.

Ein letztes Wort hat er nicht parat

Selbst der Anwalt des 34-Jährige fordert ein Jahr Haft. Zur Frage der Bewährung äußert er sich nicht. Ein letztes Wort hat der Angeklagte nicht parat. „Nein, ich möchte nichts sagen.“ Dafür seine Freundin. „Ich warte auf Dich, egal wie lange es dauert“, ruft sie ihm vor der Urteilsverkündung durch den Gerichtssaal zu.

Das Urteil lautet am Ende ein Jahr Haft für den Angeklagten. „Wir konnten leider nicht so viel Positives über sie feststellen“, bilanziert die Richterin. Weder seine diversen Abhängigkeiten, noch seine Aggressivität noch seine Unfähigkeit, sich um eine Arbeit zu kümmern, habe der Mann in der Vergangenheit in den Griff bekommen. „Sie brauchen Struktur, Arbeit, etwas das ihnen Halt gibt“, so die Richterin. „Sie brauchen Hilfe, bevor wir sie wieder herauslassen können.“

Der Angeklagte nimmt das Urteil regungslos hin. Es scheint, als habe er resigniert, als sei es ihm momentan vielleicht sogar lieber, im Gefängnis zu leben, anstatt draußen in seiner chaotischen Suchtexistenz. Als der Verurteilte in Handschellen rausgeführt wird, ergreift die 44-Jährige noch einmal die Chance: „Soll ich auf Dich warten?“, ruft sie ihm zu. „Du kannst dann zu mir ziehen.“