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Graffiti von Schülerhand für die Unterführung

Graffitikünstler Tim Scheu (links) gibt Anleitung und Tipps. Foto: Andreas Becker
Graffitikünstler Tim Scheu (links) gibt Anleitung und Tipps. Foto: Andreas Becker
Gemälde aus der Dose: Schüler der Hirschberg- und der Eberhard-Ludwig-Schule haben eine Unterführung in den Eglosheimer Junkerleswiesen mit selbst gestalten Graffitis bemalt. Und das ganz legal.

Ludwigsburg. Es ist der Fußgängerdurchlass unter der B27 in Eglosheim zwischen dem großen Möbelhaus und den Schrebergärten sowie den Feldern nahe den Schulen, welche die Stadt offiziell als Leinwand aus Beton freigegeben hat. „Künstlerische Freifläche“ weist ein Schild am Tag der Malaktion auf das Pilotprojekt hin und bittet um Respekt und Toleranz. Gleich nebenan steht ein Mülleimer, speziell für Spraydosen.

Über den 20 Meter langen Tunnel rauschen Zehntausende Fahrzeuge am Tag hinweg. Unten die Unterführung ist nicht gerade eine exklusive Galerie mit Schnittchen und Schampus. Aber viele Eglosheimer Schüler nutzen in ihrem Alltag die Strecke, um dort gefahrlos von hüben nach drüben zu kommen, wo der Stadtteil von der Bundesstraße in Ost und West geteilt ist. Diesen Ort hatten sie sich für das bislang einmalige Kunstprojekt schon lange in einer Jugendkonferenz gewünscht.

Im Unterricht hat sich eine erste Gruppe auf das Thema Graffiti vorbereitet. „Wir haben Grundbegriffe gelernt wie Tag, Tease oder Hall of Fame und haben uns Bilder angeschaut, wie Farbverläufe gestaltet werden können“, erklärt Lehrerin Lisa-Katharina Reitinger. Mit Wasserfarben und Filzstiften wurde der eigene Name vorab im Graffiti-Style gestaltet, es wurden Entwürfe für die Bilder in der Unterführung gezeichnet. „Eine Supersache“, lobt sie.

Sergej beschreibt seine Idee: „Weil ich Gesichter nicht gut kann, habe ich es weggelassen. Die Punkte drumherum sind mir so eingefallen.“ Sein Graffiti sieht aus wie ein gesichtsloser Mann, der im roten Regen steht. Sophia kann dagegen sehr gut bunte Drachen malen, die sich winden. „Ich fange immer mit dem Kopf an.“

Zur Malaktion ziehen alle Handschuhe an, damit die Finger einigermaßen sauber bleiben, und sie tragen einen Mundschutz. Ausnahmsweise nicht wegen Corona, sondern wegen der Dämpfe beim Sprühen. Die Wand ist bereitet: Kurz davor waren in einem Teil der Unterführung die alten, illegalen Bilder unter einer Schicht weißer Farbe verschwunden.

Es geht los. Die Schülerinnen und Schüler geifen in die Vollen und zu den Farben. 40 Dosen stehen bereit. Es gibt keine Hilfslinien, deren Zwischenräume einfach nur ausgemalt werden. Jeder kann sich selbst frei verwirklichen. Die ersten Sprühstöße kommen noch etwas zögerlich, das legt sich aber schnell, das Vertrauen in das eigene Können wächst zusehends. Wie auch der Stolz, wenn die jungen Maler auf das Geschaffene schauen.

Am Ende dieses ganz besonderen Kunstunterrichts, ist das Gesamtwerk noch unvollendet. Es wird mit der Zeit wachsen und sich entwickeln.

Tim Scheu leitet die Jugendlichen an, wie sie ihre Kopfbilder an die Hand und die Finger übertragen, wo sie noch nachbessern könnten, wo die Proportionen noch nicht so recht harmonieren. „Aber es gibt kein richtig und kein falsch“, so der Grafittikünstler und Pate des Projekts. Der Lehrer an der Tammer Realschule sieht die Dose als Werkzeug wie einen Pinsel, er versteht gekonnte Graffitis als eine Kunstform wie Renaissancegemälde auch. Wichtig sei, sich vorher zu überlegen, was man machen wolle. Einfach nur drauflos sprühen, sei zum Scheitern verurteilt. Ein gutes Ergebnis dagegen könne einen aufbauen und zufrieden machen, wie die gelungene Aufführung eines Tanzes oder Songs.

Einige andere Projekte hat Scheu bereits begleitet. Unter anderem das Jugendcafé in der Ludwigsburger Oststadt, auch ein Teilstück entlang der Asperger Bahnlinie, oder eine Fläche bei seinem Arbeitgeber in Tamm.

Die Eglosheimer Unterführung solle nicht das letzte Projekt legaler Flächen für Graffiti-Kunst bleiben, hofft Arndt Jeremias, Teamleiter der städtischen Kinder und Jugendförderung. Statt wilder Schmierereien soll jungen Menschen die Gelegenheit gegeben werden, sich künstlerisch auszudrücken und sich so besser mit ihrer Heimatstadt zu identifizieren. Die Strombergstraße in der Ludwigsburger Weststadt habe er im Auge, sagt Jeremias, oder einen Bereich rund um den Bahnhof, an dem mehr Publikum vorbeikommt.

Jeremias ist sich auch ziemlich sicher, dass das neue Eglosheimer Kunstwerk nicht in einer Nacht- und Nebelaktion beschädigt wird. „In der Sprayer-Szene gilt der Codex, dass fremde Bilder nicht zerstört werden.“

Für das Projekt haben sich diejenigen in der Stadtverwaltung zusammengetan, die bisher aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit Graffiti zu tun hatten: die Kinder- und Jugendförderung, die Technischen Dienste, der Fachbereich Sicherheit und Ordnung sowie der Fachbereich Kunst und Kultur.