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Impfgegner bedrängen Kinderärzte

Eine Kinderärztin impft einen Jungen mit dem Corona-Impfstoff. Archivfoto: David Young/dpa
Eine Kinderärztin impft einen Jungen mit dem Corona-Impfstoff. Foto: David Young/dpa
Ärzte werden immer häufiger von Impfgegnern bedrängt, beklagen Vertreter von Medizinerverbänden. Das musste jetzt auch die Kinderarztpraxis „3Käsehoch“ in Besigheim erfahren: Im Vorfeld einer Impfaktion für Schüler haben die Mediziner Anfeindungen per E-Mail erhalten, in den sozialen Netzwerken wurde zu Protestaktionen vor der Praxis aufgerufen. Auch wenn es dazu schließlich nicht kam, die Verunsicherung im Vorfeld war groß.

Besigheim. Seit dem Sommer impfen die Kinderärzte Dr. Harald Rickert, Jürgen Knirsch und Matthias Birke in ihren Praxen „3Käsehoch“ in Besigheim und Bönnigheim Jugendliche ab zwölf Jahren gegen Corona. „Aber so etwas wie jetzt haben wir noch nie erlebt“, berichtet der Kinder- und Jugendarzt Jürgen Knirsch im Gespräch mit unserer Zeitung. Am Mittwochnachmittag hatte die Besigheimer Praxis außerhalb der regulären Sprechstunde eine Impfaktion speziell für Schüler von Besigheimer Schulen angeboten. Die Resonanz war gut, rund 40 Jugendliche hatten sich für die Erstimpfung angemeldet.

Die Eltern waren zuvor von den Schulleitern über das Angebot informiert worden. Wenig später bekommt die Arztpraxis plötzlich auffällig schlechte Bewertungen auf Onlineportalen – offenbar von Impfgegnern, die mit der Praxis überhaupt nichts zu tun haben. Auch E-Mails erhalten Jürgen Knirsch und seine Kollegen, die Absender sind wohl der Querdenker-Szene zuzuordnen: „Uns wurde unter anderem vorgeworfen, einen experimentellen Impfstoff auszuprobieren und dass wir Ärzte nur am Geldverdienen interessiert seien. Die Kinder würden wir als Versuchskaninchen nutzen“, berichtet der 47-Jährige. Auch dass die „Halbgötter in Weiß“ noch zur Rechenschaft gezogen würden, ist in den Mails zu lesen. In den sozialen Netzwerken wird darüber hinaus zu Protesten aufgerufen, am Tag der Impfaktion vor der Praxis in Besigheim. Besorgte Eltern informieren die Kinderärzte darüber.

Knirsch und seine Kollegen wenden sich an die Polizei, die bereits im Bilde ist und ohnehin auf die Praxis zukommen wollte. Denn die Beamten haben die üblichen Kanäle der Impfgegner und Verschwörungsszene im Blick. Deutschlandweit sei ein ähnliches Vorgehen bei vielen Impfaktionen zu beobachten, sagt Manuel Gehring, der Leiter des Besigheimer Polizeipostens. In einschlägigen Gruppen würden die Impftermine von Arztpraxen bekanntgegeben und zum Protest aufgerufen. Nicht immer fänden dann aber auch tatsächlich Aktionen statt.

Für Besigheim war keine öffentliche Demonstration angemeldet und es blieb ruhig vor der Praxis; die Impfungen gingen ohne Probleme vonstatten. Die Polizei war trotzdem vor Ort und hat sich davon überzeugt, dass alles in Ordnung ist. Ebenso wie einige Schulleiter, beispielsweise Frank Hielscher. Der Rektor des Christoph-Schrempf-Gymnasiums hat sich vor Ort mit einigen Eltern und Schülern unterhalten. Vereinzelt habe auch er E-Mails von verärgerten Eltern bekommen, die nicht damit einverstanden gewesen seien, dass die Schule eine Impfaktion mitorganisiere. Dies sollte Sache der Familien sein, so der Tenor der Schreiben. „Es gab aber keine Beleidigungen oder Bedrohungen“, sagt Hielscher. Darüber hinaus habe es aber auch viele positive Rückmeldungen gegeben von Eltern, die froh darüber seien, dass sie ihre Kinder in der Praxis impfen lassen konnten. „Es war eine absolut freiwillige Aktion, niemand wurde gedrängt“, betont der Rektor. Genau so habe man das auch an die Eltern und Schüler kommuniziert. Bewusst habe man kein Impfangebot am Gymnasium gemacht, „denn es sollte kein Druck ausgeübt werden“ auf die Jugendlichen, die sich nicht impfen lassen wollen. Als tolle Aktion bezeichnet Maximilian-Lutz-Realschulrektor Christoph Hofer das Angebot der Kinderärzte. Er berichtet von lediglich „einer kritischen Stimme“, ansonsten habe es keine negativen Reaktionen gegeben. Ebenso wenig wie an der Friedrich-Schelling-Gemeinschaftsschule.

Weitere Fälle wie der in Besigheim seien ihr im Kreis nicht bekannt, sagt Karin Bender. Die Ludwigsburger Ärztin ist im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte die Obfrau für den Landkreis und impft in ihrer Praxis auch Jugendliche ab zwölf Jahren. Bedrängt oder bedroht worden sei sie deshalb noch nicht. Auch von Kollegen habe sie nichts dergleichen gehört, „und das wäre sicher thematisiert worden“. Allerdings habe es bisher auch nur wenig größere Aktionen wie jetzt in Besigheim gegeben: „Wir impfen alle unspektakulär im Praxisalltag.“ Einen Leitfaden dafür, wie man sich am besten verhält, sollte man von Impfgegnern bedrängt werden, gebe es ihres Wissens nach zwar nicht. „Aber der Berufsverband hat eine juristische Stelle, an die man sich jederzeit wenden kann.“

Jürgen Knirsch und seine Kollegen sind froh, „dass jetzt alles so geräuschlos vonstattenging“. Trotzdem bleibt die Fassungslosigkeit. Zwar habe er sich nie persönlich bedroht gefühlt, sagt der 47-Jährige. Die Sorge galt aber stets den jugendlichen Patienten, die sich nicht eingeschüchtert fühlen sollten. Die Praxis hatte ihnen einen Lageplan mitgeschickt, wie sie den Eingang über den Hinterhof erreichen, damit sie im Zweifelsfall nicht an den Demonstranten vorbeimüssten. „Dass sie sich versteckt in die Praxis bewegen müssen, ist absurd.“