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Kirchen suchen neue Wege aus dem Mitgliederschwund

Ökumenische Online-Zukunftswerkstatt aller Dekanate im Kreis mit akademischer und geistlicher Prominenz — Tenor: Praktische Begegnungen statt theologischer Diskurs

Kreis Ludwigsburg. Fast 100 Teilnehmer hatten sich am Samstag für die virtuelle ökumenische Zukunftswerkstatt des katholischen Dekanats und der evangelischen Dekanate im Kreis angemeldet. Einigkeit bestand darin, dass die Kirchen bei der Verkündigung des Evangeliums neue Wege einschlagen müssen.

Sie arbeite gerne mit Zahlen, sagt Birgit Weyel, Professorin an der Evangelischen Fakultät Tübingen. Und die Zahlen, die sie in ihrem Impulsreferat nennt, sind aussagekräftig. 1965 hätten noch 93 Prozent der Bevölkerung der evangelischen oder katholischen Kirche angehört, so Weyel. 2019 seien es nur noch 48 Prozent gewesen – „und seitdem gab es weitere Austritte“. Die Kirchen müssten sich auf weiter sinkende Mitgliedszahlen und schwindende Ressourcen einstellen, meint Weyel. „Viele Angebote werden nicht in der bisherigen Form weitergeführt werden können.“ Weyel fordert einen Paradigmenwechsel. Die Kirche müsse sich als Netzwerk verstehen, sich noch stärker über Orte und Menschen in ihrer Umgebung verankern. Sie müsse sich infrage stellen und intensiv den Kontakt zu „allen Menschen guten Willens“ suchen.

Wie Vernetzung gelingen kann, berichtet Professor Harald Schwillus vom Institut für katholische Theologie an der Universität Halle-Wittenberg. Im Osten der Republik, aber auch in migrantisch geprägten Stadtvierteln im Westens sei die Minderheitenkirche längst Realität. Etwa im Umfeld der Bochumer Friedenskirche, einer in den 1960er Jahren errichteten evangelischen Pfarrkirche. Das Quartier habe sich seither verändert, „heute leben dort weniger Christen und viele Zuwanderer“. Als der Unterhalt des Gebäudes nicht mehr finanzierbar war, entschied sich die Gemeinde, es in einen Stadtteiltreff mit öffentlichem Café umzuwandeln. „Die Kirche ist zu einem Kommunikationszentrum geworden, aber ein Ort des Gebets geblieben“, so Schwillus.

Nach den Impulsreferaten ist Gruppenarbeit angesagt, in Workshops wird über die künftige Rolle der Kirchen sinniert. „Nicht auf die anbietende, auf eine hinschauende und zuhörende Kirche setzen und Anknüpfungspunkte suchen“, lautet das Ergebnis der Arbeitsgruppe Marbach 1. „Vernetzung und Vielfalt, ohne die Kernbotschaft aus dem Blick zu verlieren“, so die Arbeitsgruppe Strohgäu Nord. Die Kirche müsse neue Liturgien entwickeln, fordern Teilnehmer aus Vaihingen.

Neue Perspektiven stehen auch bei einer Podiumsdiskussion mit Gabriele Arnold, evangelische Regionalbischöfin der Prälatur Stuttgart, und Weihbischof Thomas Maria Renz von der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Fokus. „Wir müssen wegkommen von einer Leerökumene“, meint Arnold. „Wir müssen theologische Fragen hintanstellen und pragmatische Orte der Begegnung schaffen.“ Die Missionierung sei nach wie vor Aufgabe der Kirchen, sagt Weihbischof Renz. Die Verkündung der Frohen Botschaft dürfe aber keine „Nebenabsichten“ verfolgen. „Es geht darum, den Glauben so vorzuleben, dass er auf kirchenferne Menschen attraktiv wirkt.“ In diesem Zusammenhang zitiert Renz Mutter Theresa: „Rede nur über deinen Glauben, wenn du gefragt wirst. Aber lebe so, dass du gefragt wirst.“