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Dirigent
Musiker aus Leidenschaft

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Exzentrisch ausgelebte Körpersprache: Chefdirigent Teodor Currentzis.Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Teodor Currentzis beginnt seine Arbeit als Chefdirigent des neuen SWR Symphonieorchesters

Stuttgart. Ein „Gesualdo Dub“ mit Klavier, Synthesizer und Ensemble in fast völliger Dunkelheit. Ein Beethoven mit furiosem Körpereinsatz des Dirigenten. Eine barocke Suite, von Teodor Currentzis selbst zusammengestellt, in wechselnder Beleuchtung vom 70-köpfigen Orchester mit Ausnahme von Harfe, Cembalo und Celli von allen Musikern à tempo im Stehen gespielt: Zu einem „Surprise Concert“ hatte der SWR die Freunde, Verwandte, Abonnenten und Losgewinner in den Beethovensaal der Liederhalle geladen, und überraschend war nicht nur, dass man erst am Ende die Stücke und Komponisten erfahren konnte, die gespielt wurden. Am Tag darauf erläuterte der charismatische griechisch-russische „Klassikrebell“ seine Vorstellungen, wie er Musik mit seinen neuen Musikern den Konzertbesuchern nahebringen will.

„Ich spüre die große Motivation aller Orchestermitglieder, zusammen mit dem Publikum ein Abenteuer zu erleben“, sagt Currentzis, der in diesem Sommer mit seinem 2006 gegründeten „Music Aeterna“-Ensemble bei den Salzburger Festspielen alle Beethoven-Symphonien aufführte. „Wer zu meinen Konzerten kommt“, meint der 46-Jährige, „sollte immer etwas erfahren, was er nicht erwartet hat“. Dabei sind ihm Zuhörer, die bisher selten oder nie in einem Klassik-konzert waren, eigentlich am liebsten, denn von ihnen verspricht er sich die meiste Neugier und Begeisterung. Und dann findet er es überhaupt nicht schlimm, wenn zum Beispiel zwischen den einzelnen Sätzen einer Sinfonie geklatscht wird. Zu Beethovens Zeiten sei das ja auch üblich gewesen. Auch Musik im Dunkeln zu spielen, findet Currentzis eine Möglichkeit, deren Wirkung viel unmittelbarer zu erleben: „Es gibt viele Ideen, die wir ausprobieren sollten, um eine neue Beziehung zwischen uns Musikern und den Zuhörern herzustellen. Es geht um eine besondere Art von Rezeption.“

Das Zauberwort dafür ist Liebe. Teodor Currentzis erzählt von einer Studentin, die er fragte, ob sie jemals ihrer Mutter gesagt habe, dass sie sie liebe. Ja, als Kind, habe sie geantwortet. Und heute? Nicht mehr direkt. Der Dirigent bezieht diesen emotionalen Aspekt auch auf seine Arbeit mit dem Orchester. „Es ist eine ganz einfache Notwendigkeit. Unser ganzes Leben lang machen wir Musik, und die entscheidende Frage ist doch: Liebst du Musik? Es ist diese Leidenschaft der Seele, die in unserem Musizieren zum Ausdruck kommen muss, der Moment der Liebe.“ Routine sei gefährlich, Spontaneität und Emotion unabdingbar. Die Kunst dabei sei, diesen Moment immer wieder künstlich herzustellen. „Manchmal muss ich Bruckner dirigieren, obwohl ich gerade viel näher bei Messiaen bin. Doch im Augenblick der Aufführung ganz im betreffenden Werk aufzugehen, diese künstlich erzeugte Spontaneität muss das Publikum mitfühlen.“

Teodor Currentzis ist ein Musiker, der seine Leidenschaft auf dem Podium exzentrisch auslebt. Seine Körpersprache ist ungeheuer direkt und intensiv, forcierte Rhythmen wie zum Beispiel im Finale von Beethovens 7. Sinfonie hämmert er mit beiden Armen über die Köpfe des Orchesters in die Luft, bei Pianissimo-Stellen geht er weich in die Knie. Nach einem Konzert fühle er sich total erschöpft, „broken“, wie er sagt. Er nehme jedes Mal drei Kilo ab, auch am Tag danach sei noch eine große Leere in ihm, die sich dann mit neuer Energie für die nächste Probe oder das nächste Konzert auflade. Für „sein“ SWR Symphonieorchester, bei dem er – zunächst für fünf Jahre – als Chefdirigent verpflichtet ist, wünscht er sich eine lebendige Kompetenz in allen Stilen vom Barock bis zur Moderne. Nächste Woche gibt es zum Auftakt ein „Currentzis Lab“, bei dem er „face to face“ über die Möglichkeiten des Verstehens von Musik reden möchte, und am Donnerstag und Freitag Aufführungen von Gustav Mahlers 3. Sinfonie.