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Tayfun Tok (Die Grünen) im Porträt: „Aus Chancen etwas machen“

Der 34-jährige Tayfun Tok aus Murr kandidiert zum ersten Mal für den Landtag. Foto: Ramona Theiss
Der 34-jährige Tayfun Tok aus Murr kandidiert zum ersten Mal für den Landtag. Foto: Ramona Theiss
Nach dem innerparteilichen Coup gegen Daniel Renkonen will Tayfun Tok das Direktmandat der Grünen im Wahlkreis Bietigheim-Bissingenverteidigen

Murr. Da kommt einer, der gerade mal sechs Jahre politische Erfahrung im Murrer Gemeinderat gesammelt hat, und hebt innerparteilich einen Abgeordneten aus dem Sattel, der seit zehn Jahren Politik im Stuttgarter Landtag macht. So geschehen im September 2020, als der 34-jährige Tayfun Tok bei der Kandidatennominierung der Grünen für den Wahlkreis Bietigheim-Bissingen Platzhirsch Daniel Renkonen überflügelt. Ein denkwürdiger Tag für den jungen Murrer, der seinen für viele überraschenden Erfolg lächelnd mit dem Satz „Man hat mich unterschätzt“ begründet.

Unterschätzt hat man wohl, dass Tok das Unternehmen Nominierung nach eigener Aussage ein Jahr lang vorbereitet, Gespräche geführt, mobilisiert hat. Das habe er besser hinbekommen als Renkonen, außerdem seien sie zwei ganz unterschiedliche Typen. Renkonen bezeichnet Tok als „kühlen Finnen“, dem vor allem bei Fragen der Verkehrspolitik keiner etwas vormache. Er aber habe den Delegierten ein anderes Angebot unterbreitet, sei emotionaler, habe mit seiner Kandidatur „die ganze Gesellschaft im Blick“. Und damit habe er bei der Nominierungsveranstaltung wohl einen Nerv getroffen. Jetzt freilich spürt Tok auch den Druck, das Direktmandat zu verteidigen, das Renkonen 2016 im Wahlkreis geholt hat.

Unterschätzt zu werden, das kennt der Sohn einer aus der Türkei stammenden, alleinerziehenden Mutter, der „nicht mit der Taz, sondern mit Discounterprospekten am Küchentisch“ aufgewachsen ist. „Sie war so mutig, sich von ihrem Mann zu trennen und sich aus patriarchalischen Strukturen zu befreien. Von ihr habe ich viel abbekommen.“

Tok rechnet seiner Mutter hoch an, dass sie ihn zum CVJM und in den Fußballverein geschickt hat, dass er Abitur machen und studieren konnte – Politische Ökonomie und Geschichte an der Justus-Liebig-Universität in Gießen; darauf sattelte er eine Weiterbildung zum geprüften Betriebswirt (IHK). Aktuell ist er bei einer gesetzlichen Krankenkasse im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung tätig. Dieser Weg, der für den 34-Jährigen nicht selbstverständlich war, ist auch das, was ihn politisch antreibt. Mut machen will er, sagt Tok, und zwar nicht nur jungen Menschen mit Migrationshintergrund, sondern allen, die aus einfachen Verhältnissen stammen, „will ich zeigen, was man aus seinen Chancen machen kann, wenn man an sich glaubt, an sich arbeitet“.

Der Grünen-Kandidat nennt ein Beispiel aus seinen Jugendhauszeiten, wo ihn Gleichaltrige für sein gutes Deutsch bewunderten. „Denen hab ich erklärt, dass das nicht vom Himmel fällt, sondern dass ich viel lese und mir jeden Begriff aufschreibe, den ich nicht kenne, und so meinen Wortschatz erweitere.“ So sei er für viele ein Vorbild geworden, „das bedeutet aber auch Verantwortung, und der will ich auch mit meiner Kandidatur gerecht werden“. Die gesellschaftliche Vielfalt, die er ein Stück weit verkörpere, sei im Landtag noch nicht ausreichend repräsentiert.

Natürlich hat auch ein Tayfun Tok Vorbilder, seine Mutter, die Gewerkschafterin, gehört dazu, aber auch Cem Özdemir. Der gebürtige Uracher war 1994 einer der ersten Bundestagsabgeordneten mit türkischen Eltern. Im Stuttgarter Wahlkreisbüro Özdemirs, der gerne mit dem Synonym des „anatolischen Schwaben“ kokettiert, hat der Murrer von 2013 bis 2015 gearbeitet. „Ich habe viel von Cem Özdemir gelernt, vor allem, wie man Menschen von sich überzeugen und begeistern kann“, sagt Tok. Und er hat gelernt, dass Netzwerken elementarer Bestandteil der Politik ist.

Bei den Grünen ist der VfB-Fan seit mehr als 15 Jahren, und es schwingt ein bisschen Stolz mit, wenn er darauf verweist, dass er und seine Kollegin Ellen Mohr-Essig 2014 als erste Kandidaten der Partei in den Murrer Gemeinderat eingezogen sind. Murr, das Bottwartal, den Landkreis verbindet er mit dem Begriff Heimat. Der Spaziergang führt durch die Marbacher Holdergassen, „weil ich geschichtlich interessiert bin und ein Faible für historische Stadtkerne habe“. Toks Frau stammt aus Mengen bei Sigmaringen, und die Holdergassen waren einer der ersten Orte, die er ihr hier gezeigt hat. Mittlerweile haben die beiden einen 18 Monate alten Sohn. „Er erfordert zum einen ein besseres Zeitmanagement, zum anderen erdet er mich, lässt mich meine Verantwortung spüren und verbindet mich noch stärker mit der Region. Ich will ihm eine lebenswerte Welt hinterlassen.“

Info: Weitere Informationen zur Landtagswahl bieten wir Ihnen auf www.lkz.de/landtagswahl-2021. Auf unserem Instagram-Kanal (@ludwigsburgerkreiszeitung) unter dem Highlight „Landtagswahl“ finden Sie zudem kurze Porträts der Kandidaten in Videoform.