1. Startseite
Logo

Ungeimpfte Pflegekraft im Klinikum: „Wir brauchen mehr Zuspruch, keine Kritik“

Konfliktstoff: Nur 75 Prozent der Pflegekräfte im Klinikum sind geimpft. .Foto: pikselstock/stock adobe
Konfliktstoff: Nur 75 Prozent der Pflegekräfte im Klinikum sind geimpft. . Foto: pikselstock/stock adobe
Sie werden in der Pandemie so dringend gebraucht und stehen dabei unter großem Druck. Nicht nur, dass das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Pflegeheimen eine ohnehin kräftezehrende Arbeit ausübt. Ihr Impfstatus steht im Fokus des öffentlichen Interesses. Wie fühlt sich das an? Eine ungeimpfte Krankenschwester erzählt.

Ludwigsburg. Zwischen Geimpften und Ungeimpften tun sich Gräben auf. Im Freundeskreis, in Familien, unter Kollegen. Unsere Berichterstattung über eine Pflegekraft des Klinikums, die Angst hat, zur Arbeit zu gehen, weil sie die Diskussionen mit ungeimpften Kollegen belasten, hat nicht nur unsere Leser bewegt. Auch im Klinikum schlagen die Einblicke in den Alltag einer Krankenschwester hohe Wellen.

Beim Pflegepersonal in den RKH-Kliniken Ludwigsburg-Bietigheim liegt die Impfquote tatsächlich nur bei rund 75 Prozent. RKH-Klinikenchef Professor Jörg Martin würde eine Impfpflicht deshalb befürworten. „Je weiter das Pflegepersonal von potenziellen Covid-Patienten entfernt ist, desto mehr nimmt die Impfquote ab“, so Martin. Auf Covid-Stationen läge die Impfquote bei rund 95 Prozent.

„Unsere Mitarbeiter kommen nicht an ihre Grenzen, sondern haben diese teilweise längst überschritten“, hieß es deshalb in dieser Woche in einem Appell der Klinikenleitung an die Bevölkerung. Doch die Aufrufe, sich impfen zu lassen, erzielen selbst bei den Mitarbeitenden nicht den gewünschten Effekt.

Wie stellt sich die Situation für ungeimpfte Pflegekräfte dar? „Wir brauchen Zuspruch und keine Kritik“, erzählt eine Pflegekraft im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie ist schon seit vielen Jahren im Beruf, eine zupackende Krankenschwester mit Herz, wie man sie sich in der Not an seinem Krankenbett wünschen würde. Doch gilt das auch in Zeiten von Corona? Denn die erfahrene Kraft ist ungeimpft, sie sagt, aus gesundheitlichen Gründen, bei denen wohl auch die Angst vor schweren Thrombosen eine Rolle spielt. „Ich bin einfach noch nicht so weit“, sagt sie. Eine von den radikalen Impfgegnern sei sie nicht, „ganz und gar nicht“. „Ich fliege nicht in den Urlaub, besuche keine Restaurants oder den Kölner Karneval und gehe nicht mit Tausenden anderen ins Fußballstadion“, sagt sie. „Ich finde die Sprüche und Kritik von geimpften Kollegen sehr ansteckend.“ Sie halte sich penibel an die Hygieneregeln, lasse sich täglich testen. „Eigentlich müssten dies doch auch die Geimpften tun, die sich bisher zweimal wöchentlich testen“, findet sie. Schließlich könnten die trotz Impfung den Virus weitergeben.

Um „dem Druck und der Schikane“ zu entgehen, haben sich inzwischen viele der ungeimpften Kollegen entgegen ihrer Überzeugung impfen lassen. Das findet sie nicht richtig. „Wir müssen doch die Krise rumkriegen, ohne gegeneinander zu arbeiten“, appelliert sie. Auch der öffentliche Druck sei belastend. Besonders vor den Kollegen auf den Intensivstationen habe sie den allerhöchsten Respekt. Was würde sie tun, wenn eine Impfpflicht fürs Pflegepersonal eingeführt würde? Auch mit dieser Frage haben sie manche Vorgesetzte schon konfrontiert. „Im Zeitalter eines Pflegenotstands kann man das doch nicht machen“, ärgert sie sich. „Wenn die Impfpflicht kommt, werde ich den Beruf verlassen.“

Im Klinikum versucht man sich derweil die vergleichsweise geringe Impfquote in der Pflege sowie im Wirtschafts- und Versorgungsdienst zu erklären. Könnte der hohe Frauenanteil in der Pflege ein Grund sein? „Es gibt dazu keine validen Befragungsergebnisse“, heißt es in einer Stellungnahme von Klinikleitung und Betriebsrat. „So können wir uns in Bezug auf die Gründe nur auf die allgemeinen Aussagen beziehen, die man in den Medien nachlesen kann. Als Grund ist dort beispielsweise die Befürchtung zu lesen, dass es zu einer Unfruchtbarkeit kommen kann oder dass es zu schweren Nebenwirkungen wegen der Einnahme von Hormonen, der Pille, kommen kann.“ Im Wirtschafts- und Versorgungsdienst könnte es der hohe Anteil an Beschäftigten unterschiedlicher kultureller Herkunft und die damit verbundenen Vorbehalte sein, heißt es weiter.

Die Resonanz auf die klinikinternen Impfkampagnen seien bisher gering. „Dennoch bleiben wir dran und versuchen es weiter“, so Professor Martin und Betriebsratschef Martin Oster. Der RKH-Klinikenchef plädiert schon lange für eine Impfpflicht in den sensiblen Bereichen nach französischem Vorbild. Dass Impfdiskussionen auch in Pflegeteams für Konflikte sorgen, verwundere nicht. „Es sollte jedem in Führungsverantwortung die Gefahr bewusst sein, dass brisante gesellschaftliche Themen auch in Unternehmen und an Arbeitsplätze gelangen können.“

Von der Darstellung über eine vergiftete Arbeitsatmosphäre zwischen Geimpften und Ungeimpften im Klinikum und den Ängsten, wie sie jüngst von einer geimpften Pflegekraft geäußert wurden (wir berichteten), sei man überrascht gewesen, heißt es. Der Artikel hat dennoch Geschäftsführung und Betriebsrat zu einem gemeinsamen Aufruf veranlasst, dass solche Vorfälle zeitnah gemeldet werden sollten, um „schnelle Deeskalationen zu ermöglichen“, so Jörg Martin und Martin Oster. „Die geäußerten Erlebnisse werden sehr ernst genommen und scheinen eher ein Einzelfall zu sein.“