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Unvergessen und präsent

Moderator Kai Uwe Peter, Präsident der Deutschen Schillergesellschaft. Foto: Andreas Becker
Moderator Kai Uwe Peter, Präsident der Deutschen Schillergesellschaft. Foto: Andreas Becker
Christian Holtzhauer, Mannheimer Intendant und Künstlerischer Leiter der Internationalen Schillertage. .Foto:dpa
Christian Holtzhauer, Mannheimer Intendant und Künstlerischer Leiter der Internationalen Schillertage. . Foto: dpa
Wollte eigentlich etwas kürzer treten: Elisabeth Schweeger geht. Foto: die arge lola/p
Wollte eigentlich etwas kürzer treten: Elisabeth Schweeger geht. Foto: die arge lola/p
Auftaktgespräch zum Projekt „Fehlt Ihnen/Dir Schiller?“ am Deutschen Literaturarchiv Marbach

Marbach. Im Vorfeld herrscht Konsens auf dem virtuellen Podium: „Nein“, so lautete die einhellige Antwort der drei Gäste, die das Deutsche Literaturarchiv (DLA) zum Auftaktgespräch des Projekts „Fehlt Ihnen/Dir Schiller?“ eingeladen hat, auf ebendiese Frage. Allerdings aus doch ganz unterschiedlichen Gründen und mit einigen Einschränkungen, wie im Verlauf der eineinhalbstündigen Veranstaltung am Sonntagvormittag deutlich wird.

Schließlich sei Schiller ja noch da, argumentiert Christian Holtzhauer, nachdem er zwei Ausschnitte aus „Die Räuber“ zu Gehör brachte: „Seine Stücke werden immer noch gespielt, seine philosophischen Schriften sind da, seine Gedichte sind da – sein Werk ist relativ gut erforscht und steht uns zur Verwendung, zum Gebrauch zur Verfügung“, sagt der Schauspielintendant und künstlerische Leiter der Internationalen Schillertage, hinter dem das Mannheimer Nationaltheater zu sehen ist, an dem Schillers erstes Drama 1782 seine Uraufführung erlebt hat und das seit 2018 seinen Arbeitsplatz darstellt.

Nach wie vor sei das Theaterverständnis hierzulande stark von Schiller geprägt, vor allem in Bezug auf die „Text- und Sprachfixiertheit“, so Holtzhauer. Freilich wirke die „testosterongeschwängerte Welt“ der „Räuber“ aus gegenwärtiger Perspektive betrachtet überkommen, würde man eine Frauenfigur wie Amalie heute so nicht mehr auf die Bühne stellen, räumt der 47-Jährige ein. Gleichwohl plädiere er dafür, sowohl nach zeitgenössischen Texten Ausschau zu halten als auch diese historischen Stoffe immer wieder zu überprüfen.

Mit einem Auszug aus „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ eröffnet Elisabeth Schweeger, die künstlerische Leiterin der Akademie für Darstellende Kunst Ludwigsburg, ihren Redebeitrag. Auch wenn der darin geäußerte Anspruch an die Funktion des Theaters für die Zivilgesellschaft noch heute „unverzichtbar“ sei, gleiche der Wahrheitsanspruch einer Institution, von der aus „das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet“ (Schiller) vor dem Hintergrund der Globalisierung einer Anmaßung.

Schiller könne also nicht die Lösung sein, meint Schweeger. Dennoch sei die Reibung an ihm sinnvoll und notwendig, um die „Dissonanzen zu reflektieren“ und „neue Wege, neue Ästhetiken, neue Orte“ zu erschließen. Zudem habe Schiller in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche gewirkt, worin sich doch auch Parallelen zur Gegenwart erkennen ließen. Tatsächlich sei es dem Bürgertum gelungen, mit dem Theater einen „eigenen Kommunikationskanal aufzubauen“, pflichtet Holtzhauer bei.

Als Dritten im Bunde des „dramatischen Frühschoppens“ stellt Kai Uwe Peter, der als Präsident der Deutschen Schillergesellschaft in die Rolle des Moderators geschlüpft ist, den Choreograf, Regisseur und Tänzer Laurent Chétouane vor. 2004 hat der Franzose am Hamburger Schauspielhaus „Don Karlos“ mit August Diehl und Devid Striesow inszeniert. Hier trägt er einen Teil des berühmten Monologs des Marquis von Posa vor, lenkt den Blick vom Inhalt auf die Form und schärft dankenswerterweise auch die Wahrnehmung für die Musikalität in Schillers Schriften. Wie das heftige Pathos, die enthusiastische Schwärmerei dort stets ins Nicht führen, eben darin bestehe für ihn die Aktualität Schillers, bekundet Chétouane mehrfach: „Es wird vorgeführt, was ein modernes Subjekt sein könnte und gleichzeitig seine Grenze, die Unmöglichkeit dessen.“ Der Widerspruch zwischen universellem Denken und subjektivem Begehren sei Schillers Texten immanent und vom Autor auch bewusst so angelegt, ist Chétouane sich sicher. Unter diesem Aspekt halte er einen Vergleich von Schiller mit Goethe und Kleist für instruktiv.

Eine Anregung, die möglicherweise im weiteren Verlauf des von DLA-Museumschefin Heike Gfrereis und ihrer Mitarbeiterin Janina Schindler konzipierten Projekts aufgenommen wird: Bis zum 14. Juli wird eine Gruppe von 18 Stipendiaten – von denen je drei durch die Gäste des Auftaktgesprächs benannt wurden – die Ausgangsfrage weiter bearbeiten.

Die Ergebnisse werden sukzessive im neu geschaffenen virtuellen Ausstellungs- und Forschungsraum des DLA unter www.literatursehen.com veröffentlicht.

Info: Die Abschlussveranstaltung zu „Fehlt Ihnen/Dir Schiller?“ mit Burkhard C. Kosminski, Jagoda Marinić und Kathrin Röggla ist für den 14. Juli geplant.