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Zwischen Poetik und Polemik

Die Tapete erinnert an die 70er Jahre: Hier gibt es Gedichte von Peter Rühmkorf auf Knopfdruck.Foto: Holm Wolschendorf
Die Tapete erinnert an die 70er Jahre: Hier gibt es Gedichte von Peter Rühmkorf auf Knopfdruck. Foto: Holm Wolschendorf
Die Ausstellung „Laß leuchten! – selbstredend und selbstreimend“ im Schiller-Nationalmuseum widmet sich Peter Rühmkorf

Marbach. „Komm! So links wie nötig und so hoch wie möglich“ dichtet Peter Rühmkorf 1975 im „Mailied für eine junge Genossin“. Bei keinem anderen deutschen Nachkriegsschriftsteller lagen Klassenkampf und Antikenverehrung, Polemik und Poetik so eng beisammen wie im Werk des 2008 verstorbenen Lyrikers. Ab Sonntag erinnert die Ausstellung „Peter Rühmkorf. „Laß leuchten! – selbstredend und selbstreimend“, die zunächst bis Juli im Altonaer Museum in Hamburg gezeigt wurde, im Marbacher Schiller-Nationalmuseum an das Wirken des scharfsichtigen und scharfzüngigen Literaten.

Auf der Schillerhöhe fügt sie sich neben Ausstellungsprojekten zu Hölderlin, Paul Celan und Else Lasker-Schüler nahtlos ins Jahresmotto „Sprachen der Poesie“ ein. Der hanseatisch-schwäbische Brückenschlag liegt in Rühmkorfs Fall auf der Hand: Bereits 1980 hatte der 1929 geborene Lyriker seinen Vorlass dem Deutschen Literaturarchiv übereignet, wohingegen die im Arno Schmidt Stiftung dessen Urheberrechte verwaltet.

Kunstvolle Projektionen auf Glas

Hamburg wiederum war Rühmkorf über Jahrzehnte hinweg zur Wahlheimat geworden. Daher hat das Kuratorenteam um Susanne Fischer und Friedrich Forssman seine Ausstellung gleich für beide Orte konzipiert. Zur Einstimmung schweift der Blick über die Elbe: Videomonitore erlauben die bewegte Szenerie vor dem Fenster von Rühmkorfs Arbeitszimmer in Oevelgönne wahrzunehmen. Gegenüber hängt die Originaltischplatte seines Schreibtischs und wirkt ein wenig wie eines der Objektbilder von Daniel Spoerri, so viele Lebensspuren haben sich in die Platte eingeschrieben.

„Bei der Ausstellungskonzeption hat uns die Lyrik am meisten am Herzen gelegen“, sagt Fischer. Dementsprechend widmet sich der überwiegende Teil der Schau Rühmkorfs Gedichten. In den vier Räumen des rechten Flügels des Nationalmuseums, die mittels eines Punktrasterteppichbodens in Siebzigerjahre-Farben optisch zusammengeschlossen wurden, kann man zehn Gedichte auf Knopfdruck erkunden. Hier zeigt sich auf engem Raum das große inhaltliche Spektrum seiner Dichtung: Den programmatischen Auftakt macht „Laß leuchten!“ von 1993, dem die Ausstellung ihren Titel verdankt.

In kunstvollen Projektionen auf schwarze Glasscheiben geworfen und im Raum zum Schweben gebracht, erscheint mal Wort für Wort von unten, mal ordnen sich die Verse nach und nach aus einem Buchstabennebel an. Jedem der Gedichte wurde ein Pate oder eine Patin zur Seite gestellt: Unter anderen kommen Pia Frankenberg, Nora Gomringer, Jan Philipp Reemtsma und Jan Wagner zu Wort. Ihre Kommentare und Analysen können über Kopfhörer verfolgt werden.

Im Schillersaal kann man sich in die Produktionsbedingungen seiner Lyrik vertiefen. 700 Seiten hat Rühmkorf noch zu Lebzeiten aus seinem Vorlass, der mit nahezu genauso vielen grünen Kästen den größten Einzelnachlass in Marbach darstellt, zu seinem Gedicht „Selbst lll/88“ zusammengetragen. Während deren Faksimlies auf einer fünfzig Quadratmeter großen Wandinstallation zu sehen sind, erlauben zwei Monitore, die Dokumente einzeln zu sichten und die Kontexte zu erschließen.

Rühmkorf war kein Einzelgänger

Im rechten Flügel widmet sich die Schau unter der Überschrift „Leben & Arbeiten“ sechs verschiedenen Themengruppen: „Erinnern & Schreiben“ beleuchtet Familien- und Zeitgeschichte, etwa am Beispiel des Mauerfalls, „Arbeit & Rausch“ Werkzeuge und Stimulanzmittel – köstlich selbstironisch: Neben einem Einmachglas voller Cannabisblätter ist auch eine handelsübliche Packung „Dichtungshanf“ zu sehen, von Rühmkorf in der Schreibtischschublade aufbewahrt.

Weitere Themenblöcke gelten seiner Tätigkeit als Redakteur für konkret, Dramatiker, „Lyrik-Schlachthof“-Betreiber und Lektor, seinem gesellschaftspolitischen Engagement und – selbstredend – seinem Verhältnis zu Frauen. Vieles zeigt ihn gut vernetzt: „Ein Einzelgänger war er nicht“, so Fischer. Dass Rühmkorf auch ein Pionier disziplinübergreifender Nachkriegskunst war, wird zum Abschluss in „Jazz & Lyrik“ mit einem „Rühmkorf-Kino“ (Forssman) deutlich: Dort sind Ausschnitte von Auftritten mit deutschen Jazzgrößen wie Herbert Joos, Albert Mangelsdorff, Michael Naura, Wolfgang Schlüter und Eberhard Weber zu sehen.

Info: Die ausgesprochen sehenswerte Schau läuft bis zum 1. August 2021. Zur Ausstellung erscheint das Marbacher Magazin 171/172: „Laß leuchten! Peter Rühmkorf – selbstredend und selbstreimend“, 192 Seiten, 18 Euro.