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Joachim-Ronge-Haus in der Seestraße
34 Menschen mit psychischer Erkrankung haben in Asperg eine neue Heimat und bessere Chancen gefunden

Sie sind froh über die Möglichkeiten, die das Joachim-Ronge-Haus bietet: Tanja Kurz und Lisa Hahn vom Bewohner-Beirat, Betreuer Jan Warrelmann, Namensgeber und „Gründervater“ Joachim Ronge sowie PSN-Geschäftsführerin Angelika Tinter (von links). Foto
Sie sind froh über die Möglichkeiten, die das Joachim-Ronge-Haus bietet: Tanja Kurz und Lisa Hahn vom Bewohner-Beirat, Betreuer Jan Warrelmann, Namensgeber und „Gründervater“ Joachim Ronge sowie PSN-Geschäftsführerin Angelika Tinter (von links). Foto: Holm Wolschendorf
Fürs Psychosoziale Netzwerk Ludwigsburg – kurz PSN – ist das Joachim-Ronge-Haus ein Leuchtturmprojekt: Seit September leben in dem Neubau in der Asperger Seestraße insgesamt 34 psychisch kranke Menschen in einer Wohnform, die in ihrer Ausstattung und der Kombination von individuellen Apartments, Gruppenbereichen und sozialer Bindung sowie fachlicher Begleitung im Kreis neue Maßstäbe setzt.

Asperg. „Die freundlichen, hellen Räume tun auch der Seele gut“, sagt Tanja Kurz und lächelt. Lisa Hahn kann das nur bestätigen: Im eigenen kleinen Apartment und doch in einer Gruppe leben, sich frei und flexibel zwischen Selbstversorgung und Teilnahme an der häuslichen Gemeinschaft und ihren sozialen Möglichkeiten entscheiden zu können, habe sie selbst, aber auch die Gruppe gestärkt: „Wir sind hier enger zusammengewachsen“, berichtet Lisa Hahn.

Neuer Standort ist fürs Psychosoziale Netzwerk das Ende einer Odyssee

Sie engagiert sich wie Tanja Kurz im Bewohnerbeirat des Joachim-Ronge-Hauses. Die beiden jungen Frauen sind im September gemeinsam mit 24 Mitbewohnern aus der Ludwigsburger Königsallee – der vorherigen PSN-Wohnstätte für Menschen mit psychischer Erkrankung im Kreis – nach Asperg gezogen, acht weitere Mitbewohner sind dank zusätzlicher Plätze neu in der Gruppe. Der Bedarf nach stationärer Begleitung im Landkreis ist freilich größer: „Auf unserer Warteliste stehen immer zehn bis zwölf Anfragen“, erzählt Angelika Tinter.

Was das Psychosoziale Netzwerk ist und tut

Das Psychosoziale Netzwerk Ludwigsburg – kurz PSN – ist eine gemeinnützige GmbH, die psychisch erkrankten Menschen, die nicht mehr dauerhaft in einer Klinik behandelt werden müssen, die außerklinische Hilfen aus einer Hand bieten will. Devise des Netzwerks ist es dabei, seinen Klienten im Verbund die individuell passende Unterstützung und Begleitung auf dem Weg zu einer möglichst selbstständigen Lebensführung anzubieten zu können.

Zum stationären Angebot mit fachlicher Rundumbegleitung in Asperg – und zuvor in der Ludwigsburger Königsallee – kommen daher unter anderem zwei Tagesstätten in Ludwigsburg und Ditzingen, die ambulant und kostenlos eine tagesstrukturierende Begleitung anbieten, sowie ambulant begleitete Außenwohngruppen und Wohngemeinschaften.

Das PSN bietet sich Erkrankten und ihren Familien außerdem als Anlauf-, Beratungs- und Vermittlungsstelle an, das schon bei der Suche nach dem richtigen Ansprechpartner und der richtigen Begleitung und Betreuung unterstützt, und es unterhält einen Integrationsfachdienst, der Kranke und Behinderte auf dem Weg zu einer Beschäftigung – sei es in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – unterstützt.

Inspirator und „Gründervater“ des PSN ist Joachim Ronge, von 1979 bis 1999 Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Ludwigsburger Klinikum. Er wollte vom Klinikum aus die damals noch fehlenden sozialpsychologischen Strukturen und Angebote für Patienten aufbauen, die weiterhin erkrankt, dabei aber wieder so stabil waren, dass ein weiterer Klinikaufenthalt nicht mehr angezeigt war. Deshalb gründete Ronge zunächst den Verein zur Förderung der psychischen Gesundheit, aus dem im Jahr 2001 das PSN hervorging. Für seinen Einsatz für den Aufbau außerklinischer Hilfen für psychisch kranke Menschen im Landkreis Ludwigsburg wurde Dr. Ronge mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. (pro)

„Für uns ist mit dem Umzug eine Odyssee zu Ende gegangen“, betont die PSN-Geschäftsführerin im selben Atemzug. Denn die alte, der Ausstattung nach doch noch recht heimähnliche Bleibe in der Königsallee entsprach den Vorgaben schon länger nicht mehr. Doch es dauerte Jahre, bis sich auf dem angespannten Wohnungsmarkt im Kreis eine passende und finanzierbare Möglichkeit auftat. Tinter und der frühere Ludwigsburger Psychiatrie-Chef Dr. Joachim Ronge betonen daher, wie dankbar sie ihrem Vermieter, dem örtlichen Bauunternehmer und Investor Hans-Peter Betz, und der Stadt sind: Die Kommunalpolitik habe das Projekt stets unterstützt, die Stadtgesellschaft ihre neuen Nachbarn offen und freundlich aufgenommen. Man habe in Asperg verstanden, „dass niemand Befürchtungen oder Vorbehalte gegenüber psychisch Kranken haben muss, die gut behandelt und kompetent begleitet werden“, zeigt sich Ronge erleichtert.

Besondere Wohnform und kompetente Betreuung schützen vor Rückfällen

Tatsächlich leiden die Bewohnerinnen und Bewohner des Joachim-Ronge-Hauses an allen möglichen Krankheitsbildern „des schizophrenen und manisch-depressiven Formkreises“, die vielfach im Ruf der Unberechenbarkeit stehen. Aber: Die Bewohner in der Seestraße sind nach einer akuten Erkrankung wieder so stabil, dass sie bei richtiger Medikation zwar noch einer längeren stationären Begleitung bedürfen, eine weitere klinischen Behandlung aber weder medizinisch geboten ist noch der Lebenssituation angemessen wäre. Deshalb steht ihnen ein multiprofessionelles Team, das sich – so Ronge – durch „hohe Fachkompetenz und besondere Empathie“ auszeichne, tagsüber mit einem breiten Spektrum etwa sozialpsychologischer Angebote bei, die sie bei einer allmählichen Wiedereingliederung in den „normalen“ Alltags unterstützen sollen. Die betreuende Nachtschicht besteht nicht durchweg aus Fachpersonal, kann sich bei eventuellen Krisenfällen jederzeit auf eine Fachrufbereitschaft stützen. „Rückfälle sind bei uns aber generell sehr selten“, berichten Lisa Hahn und Tanja Kurz. Bei Erkrankten, die „draußen“ leben, kämen sie vermutlich häufiger vor.

Der Tag beginnt für Bewohner, die nicht in ihrem Apartment bleiben wollen, mit Frühstück und Spaziergang in der Gruppe. Danach folgen Angebote, die sie dazu befähigen sollen, sich wieder an einen strukturierten Tagesablauf zu gewöhnen. Bewegungsangebote oder Singen gehören ebenso dazu wie Küchen- und Reinigungsdienst: „Wir sind hier kein Hotel“, betont Angelika Tinter. Sondern ein Inklusionsprojekt.

Lesen ist mehr als eine Kulturtechnik

Ein wichtiges Angebot, das Tanja Kurz gern annimmt, ist die Lesezeit. Gemeinsame Lektüre und das Gespräch darüber seien für psychisch Kranke besonders wertvoll, sagt Joachim Ronge. Beides fördere kognitive Kompetenzen, die im Falle psychischer Krankheiten sowohl durch die Primärerkrankung als auch durch die Medikation eingeschränkt sein könnten.

Lisa Hahn ist wieder so stabil, dass sie in den Theo-Lorch-Werkstätten arbeiten kann. Sie freut sich über das kleine Einkomment, ist aber auch froh, in Asperg ein Zuhause zu haben, das sie stärkt. Wenn sie gegen 16.45 Uhr heimkomme, sei sie müde und freue sich, dann an der gemeinschaftlichen Mahlzeit teilnehmen und in der Gruppe sitzen zu können. Möglich ist diese Balance aus relativer Selbstständigkeit und institutionellem Schutz auch dank der Lage des Hauses in einem Wohnumfeld mit Einkaufsmöglichkeiten und S-Bahn-Anschluss vor der Haustür.