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Polizei
„Aufklärungsquote spricht dagegen“

Ein Polizist vor seinem Streifenwagen. Foto: dpa
Ein Polizist vor seinem Streifenwagen. Foto: dpa
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Chef des Landeskriminalamtes sieht trotz großer Herausforderung und Personalmangels keine Gefahr für Ermittlungsarbeit

Stuttgart/Ludwigsburg. Ein mutmaßlich islamistischer Gefährder wird bis zu seiner Festnahme mehrere Monate rund um die Uhr überwacht. Am Ende stehen zwar ein Ermittlungserfolg und die Genugtuung, möglicherweise einen Anschlag in Karlsruhe verhindert zu haben. Aber eben auch 50.000 Einsatzstunden für die etwa 50 Polizistinnen und Polizisten, die an der Beobachtung des 29-jährigen Deutschen beteiligt waren. Ein Gefährder von etwa 100, die aktuell in Baden-Württemberg leben. Zwar gelten nicht alle von ihnen als Gefährder mit hohem Risiko. „Aber es vergeht kein Tag, an dem wir nicht an irgendjemandem dran sind“, sagt der Präsident des Landeskriminalamtes, Ralf Michelfelder, im Gespräch mit unserer Zeitung.

Anschläge verhindern und die allgemeine Kriminalitätsbekämpfung fordern der Polizei einiges ab. Im vergangenen Jahr machten 24.327 Beamte im Vollzugsdienst mehr als drei Millionen „Mehrarbeitsstunden“, wie das Innenministerium auf Anfrage mitteilte. Ein Großteil der Mehrarbeit konnte durch Freizeit und Vergütung ausgeglichen werden. Diese Stunden würden in Stellen ausgedrückt etwa 1130 zusätzlichen Arbeitsplätzen entsprechen. Aber 1,38 Millionen Stunden schieben die Beamten noch vor sich her.

Und auch wenn Baden-Württemberg in den Augen von Innenminister Thomas Strobl (CDU) eines der sichersten Bundesländer ist – die Zahl der Straftaten sank im vergangenen Jahr um 1,3 Prozent auf knapp 572.173 Fälle; gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote auf 62,7 Prozent –, die Arbeitsbelastung für die Polizistinnen und Polizisten nimmt zu. Das sieht auch der LKA-Chef so und nennt als besonders personalbindendes Beispiel neben der Terrorabwehr die Cyberkriminalität. „Eine ganz große Herausforderung dabei ist die Masse an Daten, die wir sicherstellen.“ Dabei lässt nicht nur die Kriminalität im Internet Informationsberge entstehen. Bei den Ermittlungen zur Dieselaffäre etwa gegen mehrere Unternehmen im Südwesten seien 1000 Terabyte Daten sichergestellt worden. „Auf voll beschrifteten DIN-A4-Seiten ausgedruckt bedeutet das einen Stapel von 50.000 Kilometern Höhe“, sagt Michelfelder. Ob nun Cyberkriminalität oder Abgasskandal, die Datenflut kann nicht nur Licht ins Dunkel bringen, sie birgt auch Risiken: „Meine größte Sorge ist, dass wir bei der Auswertung etwas übersehen oder zu spät sehen“, räumt der LKA-Chef ein. Das wirft die Frage auf, ob die zunehmende Arbeitsbelastung für die Polizisten grundsätzlich Ermittlungen gefährdet. „Geringeres Straftatenaufkommen und höhere Aufklärungsquote sprechen klar dagegen“, widerspricht Michelfelder.

Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, sieht dies freilich ganz anders. Nicht nur, weil zur statistischen Wahrheit auch gehört, dass die Gewalttaten im öffentlichen Raum (plus fünf Prozent auf 27.500 Fälle) und die Sexualdelikte (plus 21 Prozent auf 2673 Fälle) zugenommen haben.

„Die Polizei fährt permanent Überlast“, so Kusterer gegenüber unserer Zeitung. Die Folgen seien nicht nur „gesundheitliche Defizite bis hin zum Burn-out“. „Total überforderte“ Beamte würden vor Aktenbergen sitzen und es nicht immer schaffen, alles durchzuarbeiten. „Uns sind Fälle bekannt, in denen Polizeibeamte deshalb sogar wegen einer Strafvereitelung in Amt angeklagt wurden“, berichtet der Gewerkschaftschef und warnt: „Auf den Tischen der Polizei liegen Vorgänge, bei denen wir jeden Tag hoffen, dass nichts passiert. Und dabei handelt es sich nicht um irgendwelche Akten zum Ladendiebstahl.“ Es gehe auch um Gefährder und Schwerstkriminelle.

Um sich vor Vorwürfen der Strafvereitelung zu schützen, empfehle die Polizeigewerkschaft den Beamten deshalb, sogenannte Überlastungsanzeigen zu stellen. „Leider wird davon wenig Gebrauch gemacht“, sagt Kusterer. Den Grund dafür sieht er darin, dass die Beamten befürchteten, bei der nächsten Beurteilungsrunde schlechter abzuschneiden.

Um die Belastung für die Polizei abzumildern, fordert der Gewerkschaftschef mehr Stellen. Kusterer nennt es einen Skandal, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sich einem Personalzuwachs, wie von Innenminister Strobl gefordert, verweigere. Strobl hatte zusätzlich 2000 Stellen bis zum Jahr 2026 für den Vollzugsdienst ins Spiel gebracht, Kretschmann hatte dies aber mit Verweis auf die Haushaltslage zurückgewiesen. „Der Ministerpräsident verschließt die Augen vor massiver Überlastung in der Polizei und den Sicherheitsorganen“, kritisiert Kusterer nun.

Konkrete Stellenforderungen äußert LKA-Präsident Ralf Michelfelder nicht. Dass aber bei den Beratungen zum Doppelhaushalt 2020/21 auch für die Polizei mehr Geld herausspringen muss, lässt er mit Verweis auf die gestiegenen Herausforderungen anklingen. Allerdings ist ihm noch ein ganz anderer Punkt wichtig. „Natürlich ist es für jeden Einzelnen eine körperliche Belastung“, räumt er angesichts des hohen Arbeitsaufkommens ein. Doch die Beamten machten ihren Job gerne, so der LKA-Chef weiter: „Und das zeichnet die Polizei aus, dass die Leute da sind, wenn man sie braucht. Da mag untertags auch mal gebruddelt werden, aber wenn es zählt, steht jeder da.“