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Reportage
Das sagen die Bürger im Kreis zur gekippten Ausgangssperre

Der Andrang der Kundschaft hält sich nach 20 Uhr vielerorts in Grenzen.
Der Andrang der Kundschaft hält sich nach 20 Uhr vielerorts in Grenzen.
Die Familie Härdter hat in ihrem Supermarkt in Neckarweihingen die Öffnungszeiten bereits verlängert. Fotos: Holm Wolschendorf
Die Familie Härdter hat in ihrem Supermarkt in Neckarweihingen die Öffnungszeiten bereits verlängert. Foto: Holm Wolschendorf
Michael Hoch tankt in Marbach. Er hat nicht vor, nach dem Spruch des VGH wieder mehr Menschen zu treffen.
Michael Hoch tankt in Marbach. Er hat nicht vor, nach dem Spruch des VGH wieder mehr Menschen zu treffen.
Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat die nächtliche Ausgangssperre kassiert. Unsere Zeitung hat sich im Landkreis umgehört, was die Bewohner zu diesem Urteil sagen – natürlich nach 20 Uhr.

Kreis Ludwigsburg. In der Ludwigsburger Innenstadt sind am Freitagabend nur wenig Menschen unterwegs. Es ist kalt, das Thermometer zeigt minus vier Grad an. Durch die eisigen Straßen huschen Passanten, die es vor allem in den Supermarkt in der wohlig warmen Wilhelmgalerie zieht. Die Fußgängerzone ist fast menschenleer. Im Kiosk Almi an der Kirchstraße wartet Taylan Tepeoglu auf Kundschaft. „Morgens ist die Innenstadt tot, abends läuft es ein bisschen besser“, sagt er. Tepeoglu hat sein Geschäft, eine Mischung aus Kiosk und Supermarkt, erst Mitte November eröffnet. Der erneute Lockdown erwischte ihn auf dem falschen Fuß. „Ich war gerade in der Aufbauphase, hatte noch nicht viele Stammkunden“, erzählt er. „Jetzt kämpfe ich, bin voll auf Sparkurs.“ Die Miete müsse er weiterhin zahlen, vom Staat habe er noch keinen Cent an Unterstützung bekommen.

Die Aufhebung der Ausgangssperre ist für ihn immerhin ein Lichtblick, Tepeoglu hat seine Öffnungszeiten verlängert. Von montags bis donnerstags arbeitet er jetzt bis 22 Uhr, freitags und samstags sogar bis Mitternacht. „Es ist schon sehr knapp“, so der Inhaber. „Mal sehen, wie das weiterläuft. Besser wird es erst, wenn die ganzen Geschäfte wieder aufmachen.“

Die Öffnungszeiten verlängert hat auch der Edeka in Neckarweihingen. Während der Ausgangssperre war um 19.45 Uhr Feierabend, ab sofort können Kunden wieder bis 21 Uhr einkaufen. „Aber es kann ja jederzeit wieder passieren, dass Kretschmann etwas durch den Äther lässt“, sagt Thomas Härdter, der den Supermarkt mit seinen Söhnen Lucas und Janek führt. „Im Dezember habe ich von der Ausgangssperre einen Tag zuvor erfahren, als ich zufällig Radio hörte.“

Die Stimmung der Kundschaft sei gedrückt, berichtet Härdter. „Das kann man nicht mehr mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 vergleichen. Die Leute können nirgendwo mehr hin, alles hat geschlossen“. Probleme gebe es aber nur in absoluten Ausnahmefällen, auch die Maskenpflicht werde in aller Regel eingehalten. „Wir sind sehr zufrieden mit unseren Kunden“, sagt Härdter. „Und ich glaube, das beruht auch auf Gegenseitigkeit.“

Die Marbacher Altstadt ist am Freitagabend praktisch ausgestorben. Eine Frau ist auf der Suche nach ihrer Katze, die seit acht Tagen nicht mehr zu Hause aufgetaucht ist. „Sonst wäre ich um diese Uhrzeit nicht mehr draußen“, sagt sie. „Man kann ja sowieso nichts machen.“

Auch Ismael Yildirim ist auf der Straße. Er führt seinen Hund Pascha Gassi, einen grau-schwarzen Cane Corso. „Wir durften ja auch während der Ausgangssperre nach 20 Uhr raus, mit einem Hund geht das nicht anders“, sagt Yildirim. Ansonsten habe er sich aber strikt an die Vorgaben gehalten. „Diese Ausgangssperre war die richtige Entscheidung, weil die Infektionszahlen so hoch waren.“ Dass nach der Lockerung nun zu später Stunde Menschenmassen in die Altstadt einfallen, glaubt Yildirim nicht. „Man muss sich doch nur umschauen, bei der Kälte ist niemand unterwegs. Wo will man auch hin, die ganze Gastronomie hat zu.“

Ein wenig mehr Betrieb herrscht an der Tankstelle an der Rielingshäuser Straße, Michael Hoch tankt gerade sein Auto auf. „Ich habe natürlich nichts dagegen, dass ich jetzt abends länger raus kann“, sagt der Marbacher. Die Ausgangssperre sei zwar ein wenig lästig gewesen und habe das alltägliche Leben eingeschränkt. „Aber man konnte sich darauf einstellen, es hat ja einem guten Zweck gedient.“

Wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen sollten, habe er kein Problem mit einer erneuten Ausgangssperre. Hoch ist allerdings nicht der Meinung, dass sich die Aufhebung dieser Corona-Bestimmung nun als Infektionstreiber erweisen wird. „Ich kann jetzt abends länger raus. Aber das heißt nicht, dass ich mehr Menschen treffe.“

In der Bietigheimer Altstadt zeigt sich am Woxchenende das gleiche Bild wie im Marbacher Zentrum. Die Straßen verwaist, nur vereinzelt sind junge Leute in der Fußgängerzone und im Enzpark anzutreffen. Der 18-jährige Anwar aus Stuttgart hat sich an der Holzgartenstraße mit einem Freund getroffen. Die Ausgangssperre habe er als Belastung empfunden. „Ich muss bis 17 Uhr arbeiten. Dann nach Hause fahren, etwas essen, dann war der Tag gelaufen. Aber man will ja vielleicht auch mal mit einem Freund ein Feierabendbier trinken.“

In der Landeshauptstadt hätten sich fast alle Einwohner an die Ausgangssperre gehalten, so seine Einschätzung. Der junge Stuttgarter geht aber nicht davon aus, dass die Bestimmung viele Corona-Infektionen verhindert hat. „Ich denke, das hat keinen großen Unterschied gemacht.“ Er sieht das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs positiv. „Man fühlt sich jetzt viel freier“, sagt Anwar. „Und auch wieder ein bisschen mehr als Mensch.“