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Corona
Ein Jahr Arbeit vernichtet

„Ich arbeite seit Herbst mehr oder weniger umsonst“: Gabriele Brose in ihrem Ingersheimer Reisebüro. Foto: Holm Wolschendorf
„Ich arbeite seit Herbst mehr oder weniger umsonst“: Gabriele Brose in ihrem Ingersheimer Reisebüro. Foto: Holm Wolschendorf
Reisebüros und -veranstalter sowie Busunternehmen im Kreis treffen die Beschränkungen hart

Kreis Ludwigsburg. „Die Situation ist dramatisch, viele von uns stehen vor dem Aus.“ Das sagt Gabriele Brose über die Lage der deutschen Reisebüros und -veranstalter. Diese Branche habe in der Coronakrise Umsatzverluste von insgesamt mehr als 80 Prozent zu verzeichnen – damit sei sie stärker gebeutelt als andere, in der Krise ebenfalls heftig getroffene Bereiche, etwa der Luftverkehr.

Brose führt seit 30 Jahren das Ingersheimer Reisebüro, sie betont, dass die Touristik „nicht nur aus großen Konzernen wie Tui und Lufthansa besteht. Fast völlig unbeachtet von Politik und Öffentlichkeit bleiben Tausende klein- und mittelständische Unternehmen dieser Branche“ – Betriebe, die jetzt, da seit Wochen nicht mehr gereist werden darf, schlimmstenfalls um ihre Existenz fürchten müssen.

Gabriele Brose etwa verdient seit Herbst 2019 kaum noch Geld – unverschuldet. Oder, wie sie es ausdrückt: „Ich arbeite seitdem mehr oder weniger umsonst.“ Denn im Oktober und November hätten die meisten ihrer Kunden Oster- und Pfingstreisen gebucht. Danach folgte das gewohnte Prozedere: Als Vermittlerin erhielt Brose, wie es bei einigen Veranstaltern üblich ist, nach der Anzahlung des Kunden eine Provision, die bei etwa sieben Prozent des Reisebetrags liege. „Mit diesem Geld muss ich Betriebskosten, Miete und Steuern zahlen“, am Ende bleibe ihr eine Nettorendite von einem Prozent.

Nun aber steht Brose mit komplett leeren Händen da. „Weil die Veranstalter Reisen ab Mitte März wegen Corona absagten, bekamen die Kunden ihr Geld erstattet. Das bedeutet für uns Reisebüros, dass wir die Provision, für die wir ja schon gearbeitet haben, an den Veranstalter zurückzahlen müssen.“ So verlieren Selbstständige wie Brose für den Betrieb des Reisebüros dringend benötigte Einnahmen – und müssen bei null Verdienst auch noch mehr arbeiten, weil sie stornieren und umbuchen müssen.

Terttu Jauss führt in Benningen tuja Reisen, ein Spezialreiseveranstalter für Skandinavien, vor allem Finnland. Die Reisewirtschaft sei besonders hart von der Coronakrise getroffen: „Ich glaube, dass in keiner anderen Branche der Verdienst rückwirkend vernichtet wurde.“ Jauss musste Reisen absagen und Kunden den Preis voll erstatten, fragte sich aber, woher sie dieses Geld nehmen soll. Denn die Beträge für Leistungen, die sie als Veranstalterin bereits bezahlt hatte, bekäme sie bei einer Stornierung häufig nicht mehr oder nicht sofort zurück. Beispiel Unterkünfte: Eine Umbuchung, höre sie oft, sei möglich, nicht aber eine Stornierung, weil das bereits bezahlte Geld schon vor Ort stecke, etwa in Gemeinde- und Naturschutzprojekten und in Gehältern. Und auch einige Fluggesellschaften „haben bis heute kein Geld für bereits ausgestellte Tickets erstattet, obwohl sie dazu verpflichtet wären“. Das heißt: „Ich muss die Summe, die ich den Kunden zurückzahlen muss, doppelt liquide haben.“

Die abgesagten Reisen machten 25 Prozent ihres Jahresumsatzes aus, sagt Jauss. Von der Politik erwarte sie, dass ein Fünftel dieses Umsatzausfalls erstattet werde und sie einen Paragrafen im Bundesgesetzbuch ändere. „Es kann nicht sein, dass bei höherer Gewalt die Veranstalter die Schäden begleichen müssen.“ Verliere ein Bauer seine Ernte wegen extremer Dürre, erhalte er von Bund und Ländern eine Entschädigung, wie 2018 geschehen. „Unsere ,Ernte‘ ist auch ausgefallen“, sagt Jauss über die Reisebranche, „wo ist unsere Entschädigung?“ Ohne das finanzielle Polster, das sie angelegt hatte, und ohne das Kurzarbeitergeld hätte sie ihre Mitarbeiterinnen entlassen müssen, sagt Jauss, „weil wir momentan und voraussichtlich bis Ende des Jahres keinen Cent verdienen“. Von einer Gutscheinlösung, wie die deutsche Regierung sie wollte – Kunden sollten statt einer Erstattung der Reisekosten einen Gutschein akzeptieren müssen – hält Jauss nichts: „Wir würden das Problem damit nur in die Zukunft verlagern.“ Die EU-Kommission lehnte dieses Ansinnen jüngst ohnehin ab.

Der Reiseveranstalter Spillmann, stolze 92 Jahre alt, hat eine eigene Busflotte – seit Mitte März aber stehen sämtliche 40 Fahrzeuge abgemeldet auf dem Betriebshof. „Das bedeutet einen Umsatzrückgang von 100 Prozent. Alle Reisen bis Juni sind abgesagt, alle Fahrten nach Italien und Frankreich sogar bis Herbst“, sagt Bülent Menekse, Geschäftsführer des Bietigheim-Bissinger Unternehmens. Die Busbranche treffe die Krise deshalb besonders hart, weil die Saison üblicherweise erst im März beginne und bis dahin keine finanziellen Reserven für das Geschäftsjahr aufgebaut werden könnten. Und weil die Betriebe „enorm hohe Kapitalkosten“ durch ihr Anlagevermögen – die Busse – hätten. Die 20 Spillmann-Mitarbeiter sind seit April in Kurzarbeit, für Reisegäste ist ein Notdienst eingerichtet.

An den Reisen für dieses Jahr arbeitete das Team seit März 2019, sagt Menekse, er und seine Mitarbeiter führten Tausende Telefonate, schrieben unzählige Mails, sie berieten und buchten, sie hatten Kosten fürs Drucken, für Werbung und Versand. „In einem Jahr Vorbereitungszeit sind das mehr als 20.000 Arbeitsstunden. Das wurde mit einem Schlag vernichtet“, sagt Menekse, der von einem „behördlichen Berufsverbot“ seit Mitte März spricht. Der Geschäftsführer fordert staatliche Hilfen („keine Überbrückungskredite, sondern echte Zuschüsse“) für die Branche – nicht nur für Lufthansa und andere Konzerne, auch und vor allem für kleine Reiseunternehmen.

Auch das vor mehr als 80 Jahren gegründete Kornwestheimer Unternehmen Hönes Busreisen hatte zeitweise all seine 15 Busse abgemeldet, derzeit steht 80 Prozent der Flotte still. Auch Geschäftsführer Holger Hönes spricht von einem „faktischen Berufsverbot“, das die Politik der Branche auferlegt habe. Umsätze von mehr als 500.000 Euro würden der Firma von März bis Ende August wegbrechen, „dabei sind nicht getätigte Buchungen noch nicht erfasst“. Alle, um die 20 Mitarbeiter, seien in Kurzarbeit. „Die Situation ist sicherlich existenzgefährdend“, sagt Hönes.

Vor Corona „waren wir bis zu den Sommerferien nahezu ausgebucht“. Dann untersagte die Politik Busreisen, was eine „immense Stornierungswelle“ auslöste, „es ging von 100 auf nahezu null herunter“. Die Corona-Soforthilfe des Landes sei „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Hönes fordert von der Politik Entschädigungen für den immensen Umsatzausfall und „einen Fahrplan, wie es weitergeht. Von Woche zu Woche denken ist kontraproduktiv und nicht förderlich für das Nervenkostüm.“