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Historie
Ein Ort für viele Hoffnungen

Neues Minimuseum am Korntaler Saalplatz: In dem Bau zeigt die Evangelische Brüdergemeinde um den weltlichen Vorsteher Klaus Andersen (oben links) und den Ausstellungsbegleiter Jörg Schweizer die Anfänge der pietistisch geprägten Siedlung. Fotos: Holm
Neues Minimuseum am Korntaler Saalplatz: In dem Bau zeigt die Evangelische Brüdergemeinde um den weltlichen Vorsteher Klaus Andersen (oben links) und den Ausstellungsbegleiter Jörg Schweizer die Anfänge der pietistisch geprägten Siedlung. Foto: Holm Wolschendorf
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Zum Start ins Korntaler Jubiläumsjahr hat die Brüdergemeinde ein kleines Museum eröffnet. Es zeigt die Anfänge der pietistisch geprägten Siedlung – könnte aber auch der Ausgangspunkt für vieles mehr sein.

Korntal-Münchingen. Immer wieder hatte Gottlieb Wilhelm Hoffmann vor gut 200 Jahren beim württembergischen König einen Anlauf unternommen, um die Gemeinde Korntal gründen zu dürfen. Doch als nach 17 Versuchen und rund 30 Monaten die Genehmigung, das „Privilegium“, dann am 6. Oktober 1819 endlich da war, hatten er und seine Mitstreiter ein Stück weit Fakten geschaffen: Bereits am 9. Juli war der Grundstein für den Betsaal gelegt worden, bis heute das Zentrum der Brüdergemeinde. Und auch 200 Jahre später kam die Genehmigung für eine besondere Form der Erinnerung daran gerade noch rechtzeitig – nur wenige Stunden vor der Einweihung des kleinen Museums. Immerhin: Ganz so viele Monate sind von der Idee bis zur Fertigstellung des „Zeit.Raums“ Mitte Januar nicht vergangen.

Erst Ende 2017, Anfang 2018 habe man sich entschieden, in dieser Form an die eigene Geschichte zu erinnern, so der weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde, Klaus Andersen. „Wir hatten allerdings überhaupt keine Erfahrung mit Ausstellungsräumen. Aber wir haben es wie vor 200 Jahren gemacht und einfach die Initiative ergriffen“, sagt er und zeigt auf den Schriftzug, der die Wandtafeln gleich am Eingang ziert: „Glaube lebt von Hoffnung“ – und der auf so vieles passe.

Ein Platz für das kleine, in nur fünf Monaten erstellte Gebäude wurde zwischen dem Großen Saal und dem Landschloss gefunden, in Paul Blank vom Büro Kusspaprika den Architekten, ebenso mit Christian Herrmann, Leiter der Abteilung Historische Sammlungen der Württembergischen Landesbibliothek, jemand für das inhaltliche Konzept. „Er muss Badewannen voll gelesen haben“, so Andersen über die Durchsicht der vielen Protokolle, die unter anderem in einem Archiv im Kullenhaus lagerten. Und gefunden wurden viele weitere Personen für die Finanzierung des 300.000 Euro teuren Museums. „Wir sind dankbar, dass wir Sponsoren gefunden haben, die unsere Zielsetzung teilen“, so Andersen, denn ohne diese – zumeist Firmen sind auf der großen Tafel am Eingang aufgeführt – hätte man das nicht geschafft.

Auch derer, die die Gemeindegründung ermöglichten, wird gleich am Eingang gedacht, unter dem Titel „Visionäre des Glaubens“. Etwa Gottlieb Wilhelm Hoffmann, kaiserlicher Notar und von 1815 bis 1825 als Vertreter des Oberamts Leonberg Mitglied der württembergischen Ständeversammlungen. Er hatte die Vision, einen „Zufluchtsort“ zu gründen, an dem die vielen ausreisewilligen Christen der Region ihren Glauben frei leben könnten. Oder der auch international bekannte Pädagoge Dr. Gottlob Pfleiderer – dem Bereich Bildung ist ebenso ein Ausstellungsbereich gewidmet – sowie Michael Hahn, der eigentlich der erste Gemeindevorsteher werden sollte, dann aber kurz vorher starb, wie Jörg Schweizer erklärt, einer von vier Ausstellungsbegleitern. Neben den Infotafeln gibt es für die Besucher auch eine Kopie des wichtigsten Dokuments dieser Gründerzeit zu sehen: das vom König unterzeichnete Privilegium. Und in den Vitrinen liegen einige historische Gesangbücher ebenso wie Mitbringsel der Missionare.

Die Blicke auf sich ziehen auch die vielen alten Stiche an den Wänden, mit Ansichten des alten Korntals, aber ebenso von biblischen Orten wie Jerusalem. Und das Wandbild, das die im Pietismus beliebten Worte Jesu von den zwei Wegen am Ende der Bergpredigt aufgreift. Nur der schmale führt, vorbei an Sonntagsschule, Gottesdienst und milden Taten, ins Himmelreich. Der breite hingegen in die Verdammnis, vorbei an einer Spielhölle und einem Theater, weitere Gefahren wie Räuber und eine Eisenbahn lauern auf dem Weg. „Interessant, dass man damals die Bahn so negativ gesehen hat. Heute ist sie ja ein Segen für uns“, sagt Schweizer.

So wie die Güterkaufgesellschaft, ein laut Andersen „wesentlicher Teil“ der Gründungszeit, die dafür sorgen sollte, dass die Gemeinde wirtschaftlich autark sein konnte. Sie verpachtete die Grundstücke und organisierte die Versorgung mit Lebensmitteln durch die bis zur Aufhebung des Privilegiums einzigen beiden Geschäfte, informieren die Wandtafeln. Das war 1919, zu einer Zeit, als bereits ein Drittel der Einwohner kein Mitglied der Brüdergemeinde war. Der „schmerzliche Trennungsprozess“ von weltlicher und kirchlicher Gemeinde habe aber Jahre gedauert, so Andersen.

Ein weiterer Bereich der Ausstellung trägt den Titel „Glaube wird zur Tat“. Er erzählt von der frühen Gründung der Kinderrettungsanstalt durch Hoffmann und des Altenzentrums, dem heute nicht mehr existierenden Armen- und dem kleinen Krankenhaus sowie einem der ersten Kindergärten des Königreichs. Damit verbunden ist auch ein Teil am Ende des Ausstellungsrundgangs, auf den die Brüdergemeinde sicher gern verzichtet hätte: die Missbrauchsfälle in ihren Kinderheimen. Auf zwei Wandtafeln ist die Chronologie aufgeführt, ebenso die Bitte um Vergebung. „Es war uns wichtig, dass auch das seinen Platz hier findet. Es ist Teil unserer Geschichte“, so Andersen. Und Schweizer ergänzt: „Ich finde gut, dass das Thema in der Ausstellung enthalten ist. So schmerzlich das für uns alle ist.“ Eine der Tafeln gibt auch einen Ausblick auf die folgenden Schritte im Aufarbeitungsprozess.

Und ganz abgeschlossen ist auch die Entwicklung des Museums noch nicht, auch wenn zwei Besucherinnen an diesem Nachmittag schon von der „ansprechenden Gestaltung“ schwärmen und sich freuen, dass sie mal wieder Sütterlin lesen konnten. „Wir üben noch auf allen Ebenen“, so Schweizer. Etwa bei der Frage, ob die Öffnungszeiten alle so funktionieren. Wie man von außen besser auf den „Zeit.Raum“ hinweist, zum Beispiel mit einem großen Abbild Hoffmanns, und einer Erklärung für die „Privilegiumsbank“, auf der die Termine der 17 Eingaben Hoffmanns an den König zu lesen sind. Oder bei der Ausstattung, denn es gab zwar schon Anfragen für Führungen für Grundschüler, es fehlen aber altersgerechte Elemente. Und auch die Erwachsenen sollen ein weiteres Angebot bekommen, eine Leseecke mit weiterführendem Material und Einblicken in Kopien der historischen Dokumente. Zudem ist für Andersen denkbar, den Ausstellungsraum später für weitere Ausstellungen zu nutzen, etwa für die schon existierende in der Schwestergemeinde Wilhelmsdorf. „Es gibt schon eine Zehn-Punkte-Liste, was man noch alles machen kann“, so Andersen. Zumindest die offizielle Baugenehmigung – grünes Licht vom Baurechtsamt hatte man schon lange vorher – wäre dann ja schon mal da.

Info: Der Zeit.Raum ist geöffnet mittwochs von 10 bis 12 Uhr, freitags von 16 bis 18 Uhr sowie sonntags nach dem Gottesdienst.