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Hilfe und Beistand auf dem Weg in die Selbstständigkeit

Jannika Kewe ist Ansprechpartnerin für die WG-Bewohnerinnen.Foto: Holm Wolschendorf
Jannika Kewe ist Ansprechpartnerin für die WG-Bewohnerinnen. Foto: Holm Wolschendorf
Evangelische Jugendhilfe Hochdorf bietet einzigartiges sozialpädagogisches Betreuungsprogramm – Wohngemeinschaft für Mädchen und junge Frauen ab 16 Jahren

REMSECK. Manchmal schaut Nadja (18) mit ihren großen dunklen Augen zunächst Jannika Kewe an, bevor sie auf eine Frage antwortet. So als erhoffe sie sich ein aufmunterndes Nicken von der Sozialpädagogin, die seit etwa einem Jahr wohl ihre wichtigste Bezugsperson ist. Nadja hat elf Monate in einer Wohngemeinschaft für Mädchen und junge Frauen der Evangelischen Jugendhilfe Hochdorf gelebt. In dieser Zeit hat sie Rüstzeug bekommen, um Schritt für Schritt selbstständig zu werden. Anfang Oktober bezog die zierliche junge Frau eine Ein-Zimmer-Wohnung in Stuttgart, wo sie auch zur Schule geht. „Es ist schwierig“, sagt Nadja auf die Frage, wie es ihr geht. „Zum Glück kann ich mich immer noch an Jannika wenden.“ Die Sozialpädagogin lächelt ihr zu. „Ich arbeite gerne mit den jungen Frauen und kann mitfühlen, wie es ihnen geht“, sagt Jannika Kewe. Jedes Mädchen sei anders. Für deren individuelle Unterstützung gebe es kein Rezept.

Die offizielle Bezeichnung für das Angebot der Jugendhilfe ist: Verselbstständigungsbetreuungsmaßnahme, kurz VBM. Die Wohngemeinschaft für bis zu vier Mädchen und junge Frauen im Hochdorfer Schulweg gibt es schon über 20 Jahre. Es sei allerdings immer noch ein einzigartiges Angebot im Landkreis, sagt Claudia Obele, die Vorstandsvorsitzende der Jugendhilfe Hochdorf. Unterstützung beim Selbstständigwerden biete der Verein auch an anderen Standorten, aber nicht in der Form einer Vierer-WG. Diese sei speziell für Mädchen ab 16 Jahren gedacht, die auch im sozialen Miteinander noch lernen müssen.

In der Wohngemeinschaft hat jede Jugendliche ein eigenes, abschließbarer Zimmer. Zwei Bäder, Wohnküche, Wohnzimmer und Balkon werden gemeinsam benutzt. Zwei Sozialpädagoginnen begleiten die jungen Frauen von Montag bis Freitag. Sie haben ihr Büro direkt in der WG. Am Wochenende und nachts sind die Mädchen allein. Eine Rufbereitschaft ist im Notfall aber immer erreichbar. Die Bewohnerinnen können ihren Tagesablauf individuell nach ihren Bedürfnissen sowie schulischen und beruflichen Anforderungen gestalten, haben aber die Möglichkeit, mit den anderen in Kontakt zu treten und Zeiten gemeinsam zu verbringen. Die jungen Frauen werden durch begleitete WG-Besprechungen, fachliche Anregungen und gemeinsame Unternehmungen in ihrem Zusammenleben unterstützt. „Die Mädchen sollen Erfahrungen sammeln und lernen, sich selbst etwas zutrauen. Dennoch haben sie hier das Gefühl, nicht alleine zu sein“, beschreibt VBM-Fachleiterin Eva Teufel das WG-Leben.

Der Weg in die Wohngemeinschaft führe immer über das Jugendamt, erklärt Claudia Obele. Mädchen, junge Frauen oder auch deren Eltern müssten sich mit ihrem Wunsch nach Unterstützung beim Allgemeinen Sozialdienst melden. Dort werde der genaue Hilfebedarf geklärt und dann gegebenenfalls bei der Evangelischen Jugendhilfe angefragt. „Die Familien können sich also nicht direkt bei uns melden“, stellt Obele klar. Erst nach einem Aufnahmeverfahren mit Gesprächen und einem Besuch vor Ort entscheiden die Mädchen selbst, ob sie nach Hochdorf kommen wollen. In der WG erfahren manche Jugendlichen zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sich jemand um sie kümmert. „Sie spüren hier Wärme und Heimeligkeit. Aber es ist nicht immer ein Honigschlecken. Unsere Mitarbeiterinnen erwarten auch etwas und es gibt Regeln – und auch mal Knatsch“, weiß Obele. Nadja formuliert es so: „Es ist eigentlich wie in einer kleinen Familie“.

Einkaufen, kochen, putzen, Wäsche waschen, sich das zur Verfügung stehende Geld einteilen, in der Schule oder am Arbeitsplatz klarkommen, die persönliche Entwicklung, der Umgang mit den Mitbewohnerinnen: Auf dem Weg in ein eigenständiges Leben gibt es viele Herausforderungen zu meistern. Dabei werden die jungen Frauen begleitet. Die Unterstützung endet nicht automatisch mit dem Auszug aus der WG. Solange das Jugendamt eine Betreuung für notwendig erachtet, bleibt der Kontakt zur Evangelischen Jugendhilfe bestehen. Auch Nadja wird jetzt noch regelmäßig von Jannika Kewe besucht. Sie habe viel gelernt, sagt die junge Frau, die als 17-Jährige nicht mehr bei ihrer Familie bleiben wollte. Was genau schieflief, sagt sie nicht. Sie habe sich dort nicht wohlgefühlt, die Situation sei über Jahre angespannt gewesen. So entschied sie sich, ihren Weg alleine zu gehen und wandte sich ans Jugendamt. Kurze Zeit lebte sie in Notunterkünften, bevor sie nach Hochdorf kam. „Schon beim ersten Besuch war mir klar: Hier will ich her“, erinnert sich Nadja an das Aufnahmeverfahren. Eine Woche später zog sie ein. Jetzt ist sie dabei, das Fachabitur am Berufskolleg für Fremdsprachen zu machen, und möchte gerne studieren. Claudia Obele und ihr Team drücken die Daumen, dass es gelingt.