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Neue Meldestelle wirft Licht ins Dunkelfeld

Fast jeden zweiten Tag ein antisemitischer Vorfall registriert – Demokratiezentrum erwartet steigende Zahlen

Sersheim. Bei der zu Jahresbeginn installierten, landesweiten Meldestelle Antisemitismus sind in den ersten 16 Wochen des Jahres 51 Vorfälle gemeldet worden, die vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg auch als tatsächlich antisemitisch bewertet werden. Damit wird fast jeden zweiten Tag ein Vorfall gemeldet. In seinem 2019 vorgelegten Monitoringbericht für 20018 hatte das Demokratiezentrum insgesamt nur neun antisemitische Vorfälle aufgelistet.

Für Günter Bressau, den Landeskoordinator des bei der Landesjugendstiftung in Sersheim angesiedelten Netzwerks, hat diese Diskrepanz vor allem zwei Gründe: Zum einen die andere Quellenbasis – der Monitoringbericht wertet journalistische Medien und amtliche Drucksachen auf „antidemokratische“ Vorfälle im Südwesten aus, nimmt also nur Ereignisse auf, die an anderer Stelle schon gesichert belegt sind. Dagegen wenden sich die Meldestellen des Demokratiezentrums direkt an Betroffene. Schon länger gibt es die Meldestellen „respect!“ gegen antidemokratische Hetze im Netz sowie „Leuchtlinie“ als Anlaufstelle für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt.

Beide erhalten auch Hinweise auf antisemitische Beleidigungen und Angriffe, doch haben die davon Betroffenen – Grund zwei der steigenden Zahlen – mit der neuen Meldestelle erstmals einen direkten Ansprechpartner. Bressau erwartet daher eine weitere Zunahme der gemeldeten Vorfälle, je bekannter die Meldestelle etwa in jüdischen Gemeinden, aber auch in Schulen werde. Wo dies schon der Fall sei, stoße die neue Meldestelle auf große Zustimmung. Denn gerade bei antisemitischen Vorfällen sei das Dunkelfeld gewaltig, viele Betroffene schwiegen bisher.

Das Gros der Meldungen gilt laut Bressau der antisemitischen Hetze im Netz. Beleidigungen auf offener Straße oder im nachbarschaftlichen Umfeld seien deutlich seltener, körperliche Angriffe bisher glücklicherweise nicht vorgekommen – oder zumindest nicht gemeldet worden. Gleichwohl nennt Bressau drastische Beispiele auch aus der „analogen“ Welt – etwa eine Privatparty in Stuttgart, bei der die Nachbarschaft lautstark mit improvisierten antisemtischen „Raps“ beschallt wurde, oder judenfeindliche Schmierereien in einer Schultoilette mit dem Zusatz „Für unseren arischen Großvater“.

Eine Orientierung zum möglichen Ausmaß des Problems bieten weitere Zahlen: Den bereits damals bestehenden Meldestellen des Demokratiezentrums wurden 2019 insgesamt 3195 Fälle antidemokratischer Hate Speech im Internet gemeldet – 351 dieser Vorkommnisse mündeten in Anzeigen. Bressau macht darauf aufmerksam, dass Antisemitismus in allen antidemokratischen Ideologien eine Rolle spielt – und Rechts- und Linksextremisten sowie Islamisten verbindet.

Der Monitoringbericht 2018 listet 414 antidemokratische Vorfälle auf (davon 21 im Kreis Ludwigsburg). Dabei dominierte deutlich die Abwertung von Asylsuchenden mit 190 Fällen.