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Corona
RKH-Chef: Es ist zwei nach Zwölf

Auch in Ludwigsburg nimmt die Belastung der Intensivstationen durch Covid-Patienten wieder deutlich zu. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Auch in Ludwigsburg nimmt die Belastung der Intensivstationen durch Covid-Patienten wieder deutlich zu. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
„Wir stehen am Anfang einer akuten Krise der Krankenhausversorgung“, sagt Johannes Naser. Der Ludwigsburger Oberarzt und Intensiv- mediziner hat soeben über die Belegungssituation in den Intensivstationen der Regionalen Kliniken-Holding und in ganz Baden-Württemberg referiert. Seine Diagnose ist klar und wird von RKH-Chef Jörg Martin bestätigt: Die Lage sei „extrem ernst“, sagt er – auch im Kreis Ludwigsburg.

Kreis Ludwigsburg. In ihren fünf großen Häusern in den Landkreisen Ludwigsburg, Karlsruhe und Enz kann die RKH derzeit 96 Intensivbetten betreiben, nur eines war am Mittwochmorgen noch frei: im größten Haus, dem Ludwigsburger Klinikum, das mit aktuell 49 Intensivbetten mehr als die Hälfte der RKH-Kapazitäten anbietet. 18 davon sind Beatmungsplätze, bereits sechs – also ein Drittel – werden von Coronapatienten belegt. „Wir erleben eine dynamische Entwicklung“, sagt Dr. Naser im Blick auch auf die Landeszahlen: Der Schwellenwert von 390 Covid-Patienten in baden-württembergischen Intensivstationen werde voraussichtlich am Wochenende erreicht. Im Land würde dann in der kommenden Woche die sogenannte Alarmstufe ausgelöst, private Kontakte würden weiter eingeschränkt, im öffentlichen Leben träte die 2G-Regel in Kraft.

Das fordert zwar auch die RKH-Führung um Professor Martin und den Ludwigsburger Intensivchef Professor Götz Geldner, der die Intensivkapazitäten im Land steuert. Nur im Raum Heidelberg, sagt er, gebe es derzeit noch freie Betten. Doch 2G allein wird nach Ansicht der RKH-Spitze nicht reichen, um die vierte Welle zu brechen. Die bleibe zwar, erläutert Naser, in erster Linie eine „Pandemie der Ungeimpften“. Aber weil die Impfung eben nicht zu 100 Prozent schützt, komme es mit steigenden Inzidenzen auch vermehrt zu Impfdurchbrüchen: „Das ist einfache Mathematik“, so Naser, zumal der Impfschutz sechs Monate nach dem zweiten Piks abnimmt. „Wir erkennen keinen Wellenbrecher, sehen das Bemühen darum in der Politik derzeit auch nicht und müssen befürchten, dass die Welle einfach so weiterrollt.“ Die Universitätskliniken in Ulm und Freiburg sagen vorher, dass im Südwesten in zwei Wochen bereits 800 Normal- und 600 Intensivbetten für Coronakranke gebraucht werden; die RKH erwartet, bis dahin die Bettenzahl in ihren Covid-Normalstationen von derzeit 79 auf 150 aufstocken zu müssen.

„Wir stehen vor der realen Gefahr einer Überlastung unserer Intensivkapazitäten“, resümiert RKH-Chef Martin. Verschiebbare Eingriffe müssten wieder in großer Zahl abgesagt werden, um zusätzliches Pflegepersonal für die Coronapatienten abstellen zu können, es werde zu Engpässen bei den Beatmungsplätzen kommen, Notfallpatienten könnten möglicherweise nicht mehr im nächstgelegenen Krankenhaus aufgenommen werden. Die Lage sei „extrem angespannt“, sagt Martin: „Es ist nicht fünf vor, sondern zwei nach Zwölf!“

Auch für ihn ist klar: Eigentlich wäre jetzt der Bund in der Pflicht. Aber: „Die Politik hat keinen Plan.“ Im Gegenteil, seufzt der Klinikenchef: Seit Wochen werde „alles verharmlost, alles ist angeblich nicht so schlimm. Die Geimpften halten sich für sicher, sind es aber nicht.“ Zur 2G-Regel müssen daher nach Forderungskatalogen der Intensivmediziner und der RKH an die Bundespolitik, die maßgeblich der Ludwigsburger Intensivchef Geldner mitgeschrieben hat, auch die kostenlose Testung auch von Geimpften und Genesenen, die Boosterimpfung für alle sowie flächendeckend niederschwellige Impfangebote kommen. Martin setzt sich außerdem für eine Impfpflicht für Klinikpersonal ein.

Denn tatsächlich ist die Impfquote bei der RKH zwar insgesamt hoch, insbesondere im Pflegebereich mit 74 Prozent Geimpften aber holdingintern deutlich unterdurchschnittlich. Im Streit um die Impfung seien die Krankenhäuser „keine Welt für sich, sondern ein Spiegel ihrer Umgebung“, kommentiert das der Bruchsaler Intensivchef Professor Martin Schuster. Die Konflikte erschwerten die Arbeit von ansonsten gut eingespielten Pflegeteams. Mit einer Impfpflicht, glaubt Martin, wäre dieser Konflikt „nach 14 Tagen vergessen“. Es soll aber nicht nur Sanktionen gegen nicht geimpfte Pflegekräfte, sondern vor allem eine Stärkung des Pflegebereichs geben. Denn dass der unter dem Dauerstress der Pandemie weiter Personal verliert, das den Beruf wechselt oder Arbeitszeiten reduziert, ist (wie mehrfach berichtet) ein Hauptgrund der aktuellen Kapazitätsengpässe. Geldners Forderungskatalog etwa verlangt daher ausdrücklich eine neue Pflegeinitiative.

Trotz Frustration und Krisenstimmung: Es wird in Ludwigsburg kein zweites Bergamo geben, verspricht Martin: „Wir werden auch diese Welle meistern!“ Allerdings befürchtet RKH-Krisenstabschef Dr. Stefan Weiß, dass sie ohne einschneidende Schritte noch bis in Frühjahr andauert. Zum Schaden aller anderen Patienten.