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Was ist flach, was ist rund?

Vor gut 30 Jahren wird im Landkreis ein neues Abfallsystem eingeführt, um mehr Müll zu recyceln. Damals wie heute sind die Bedenken in der Bürgerschaft groß.

Kreis Ludwigsburg. Wer hat’s erfunden? Nein, nicht die Schweizer. Es war ein Schwabe aus Poppenweiler, flink mit der Zunge und sprudelnd vor immer neuen Ideen. Eine davon führte vor gut 30 Jahren zu einem neuen alltäglichen Frage-und-Antworten-Spiel in Haushaltungen und Betrieben des Kreises Ludwigsburg: Was ist flach, was ist rund? Namenserfinder war Klaus Marbach, vormals Verwaltungschef der Kreiskrankenhäuser, dann Kämmerer des Landkreises, schließlich von 1989 an Geschäftsführer der neuen Landkreis-Tochter Abfallverwertungsgesellschaft (AVL).

Beim Start am 30. Januar 1992 kam zwischen Solitude und Prevorst keine Begeisterung auf. Doch der erste Protest hatte sich da schon gelegt, denn der erhob sich bereits zwei Jahre zuvor. Fast zeitgleich mit der Gründung der AVL krempelte der Kreistag das für viele bequeme System mit einer Mülltonne um. Sortieren und Trennen hieß nun das Motto. Deshalb beschloss das Gremium am 30. Juni 1989, die Grünen Tonnen einzuführen. Dem folgte auch der Enzkreis. Alle zwei Wochen holten die Müllkutscher den Inhalt ab: an einem bestimmten Tag Papier, Pappe, Kartonagen (PPK), am folgenden das Glas. Ursprünglich bekam jeder Haushalt grundsätzlich nur ein Gefäß. Dann hieß es: Zwei Wochen lang Altglas in der Tonne sammeln, das PPK-Material derweilen zwischenzulagern und dann umzufüllen, wenn das Behältnis leer ist, auf dass es am folgenden Tag abgeholt werden kann. Die Freude daran hielt sich in Grenzen. Wer Platz hatte, bestellte sich nach dem Abschluss der Einführung im Sommer 1990 eine zweite Grüne Tonne.

Der Recycel-Gedanke und das Platzproblem in einem verdichteten Landkreis wie Ludwigsburg vertrugen sich nach der Meinung vieler Menschen nicht. Sie beschäftigte viel stärker die große Frage: Wo stellen wir die Tonnen hin? Da kam Ärger auf, ja, des Volkes Zorn kochte hoch. Die Proteste füllten die Leserbriefspalten der LKZ. Kreisräte mussten sich am Telefon oder auf der Straße Standpauken anhören. Das alte System mit der schwarzen und einzigen Tonne habe sich doch bewährt. Mehr sei nicht notwendig. Eineinhalb Jahre später kam „flach und rund“ hinzu. Sozusagen als Garnierung des Ökosystems der Abfallwirtschaft. Dass dies 2021 zum Hit erklärt werden würde, hatte damals niemand gedacht. Denn die Resonanz war alles andere als freundlich. Heute werden Lobesworte für das bewährte System gefunden, das unbedingt verteidigt werden müsse.

Drei Jahrzehnte danach bereitet die Kreispolitik den Abschied von diesem Sondersammelsystem vor. Aus flach und rund wird gelb und blau. Plötzlich ist das Trennen recycelbarer Wertstoffe in Grünen Tonnen so beliebt wie noch nie. Und die eine entscheidende Frage wiederholt sich: Wohin mit der zusätzlichen Tonne?

Die Geschichte begann mit einer gewaltigen Panne bei der AVL. Ein bisschen ist es wie bei den aktuellen Impfproblemen: viel Turbulenzen und mächtig Ärger. Denn die Umstellung auf das neue Wertstoff-Sammelsystem im ganzen Landkreis ließ die Auslieferung des so heiß begehrten Abfallkalenders 1992 stocken. Die neue Recycel-Welt verzögerte die Produktion, die neuen Leerungstermine erfuhren die Haushalte und Betriebe erst, als das neue Jahr schon vier Wochen alt war.

In der Zwischenzeit überbrückte die AVL mit höchst informativem Lesestoff verheißenden Terminlisten für jede Gemeinde und ihre Abfallbezirke: Wann werden Hausmüll, flach und rund, wann Sperrmüll und Schrott abgeholt? Allein in der Stadt Ludwigsburg mussten die Menschen peinlichst darauf achten, in welchem der 13 Bezirke sie wohnten.

All dies erhöhte nicht gerade die Akzeptanz. Als Anfang der 90er Jahre die Verpackungsverordnung in Kraft trat, wollten Landkreis und AVL den Menschen nicht eine erneute Umstellung zumuten. Hersteller mussten das Material, mit dem ihre Waren verpackt wurden, zurücknehmen. Der Gesetzgeber schuf aber eine Ausstiegsklausel: Die Pflicht entfiel, wenn ein System die Verkaufsverpackungen einsammelte, sortierte und verwertete. Das war die Stunde des Dualen Systems Deutschland (DSD) und als Kennung des auf die Verpackungen gedruckten Grünen Punktes.

Gelber Sack, nein danke! Die Ablehnung des dünnen, gelblichen und durchsichtigen Kunststoffsacks löste die Suche nach einer Alternative aus. Der Kreis Ludwigsburg wollte ihn schon vor knapp 30 Jahren nicht und fand im benachbarten Enzkreis einen Juniorpartner, mit dem ihn eines verband: die Grünen Tonnen, kostenlos aufgestellt vom Knittlinger Entsorgungsunternehmen Pfitzenmeier und Rau (später Sita, jetzt Suez). Darauf wollten beide Landkreise nicht verzichten, sie passten ihr System an, Klaus Marbach erfand dafür die eingängige Bezeichnung „flach und rund“, zu beträchtlichem Teil finanziert von der DSD.

Die Sonderrolle, die sich Ludwigsburg und der Enzkreis sicherten, passte den Herrschern über die Grünen-Punkt-Milliarden nicht. Immer wieder wollten sie aussteigen. Mehrmals drohte das Ende des Ludwigsburger (Sonder-) Wegs. Letztlich gelang es immer wieder, die Krise beizulegen. Doch wie 1993 sorgte jetzt ein neues Gesetz für ein neues System: das Verpackungsgesetz mit strengeren Maßstäben für das Recyceln von Wertstoffen.

Viele meinen, die gesamte Entsorgung liege in Landkreis-Regie. Ein Irrtum. Just der erschwert auch den auf Jahresende 2021 geplanten Abschied vom bisherigen System. Für die künftige blaue Tonne und das Leere-Flaschen-Körbchen (alternativ Altglas-Tonne) sind die inzwischen zehn eigenständigen privatwirtschaftlichen Unternehmen unter dem Label DSD allein zuständig, die jedem Vertrag mit Stadt- und Landkreisen mit Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen. Damit nicht nebeneinander mehrere lokale Systeme mit unterschiedlichen Ansprechpartnern den Menschen auf die Nerven gehen, versuchten die Kreispolitiker erneut, alles zu einem System zu verflechten. Jetzt wie vor knapp 30 Jahren. Für sie spricht der Kreistag das letzte Wort.

Wie seinerzeit braten die DSD-Firmen den beiden Landkreisen wieder eine Extrawurst: kein Gelber Sack, weiterhin das Abholen von Altglas an den Haustüren und – erstmals – freie Wahl zwischen Glas-Körbchen und Glas-Container. Altpapier wandert weiterhin in die einzig verbleibende Grüne Tonne. Und weil manches Material mit dem gelben Punkt im (kommunalen) Altpapierbehälter landet, überweist DSD jetzt erstmals dem Landkreis dafür Geld. Nutznießer: Haushalte und Betriebe, weil damit die jährlichen Müllgebühren gedrückt werden können.

Das Duale System setzt in den anderen Land- und Stadtkreisen nicht nur weiterhin auf den Gelben Sack, sondern auch auf große Container an zentralen Plätzen, zu denen Altglas gebracht werden soll, um es dort farbenrein zu trennen. Ein Bringsystem, unter dem das jeweilige Ortsbild leidet, auch weil die Flaschen wegen Überfüllung nicht im Behälter, sondern davor ihren Platz finden.

Was neu ist, wird kritisch beäugt. Doch die Kernstücke der Abfallwirtschaft bleiben auch nach der neuerlichen Umstellung 2022 unverändert: Grüne Tonne, Recyclinghöfe, Grüner Punkt, Rest- und Biomüll, Verpackungsgesetz. Die zentrale Frage bleibt: Was gehört wohin?