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Besser lernen in virtueller Realität

Würth-Entwickler Tobias Ladewig (links) und Schulleiter Oliver Schmider besiegeln die Kooperation. Für das Foto in der Erich-Bracher-Schule haben die beiden kurz ihre Schutzmasken abgenommen. Foto: Holm Wolschendorf
Würth-Entwickler Tobias Ladewig (links) und Schulleiter Oliver Schmider besiegeln die Kooperation. Für das Foto in der Erich-Bracher-Schule haben die beiden kurz ihre Schutzmasken abgenommen. Foto: Holm Wolschendorf

Kornwestheim. Wie wird ein Regal verschoben, wie richtig eingeräumt? Welche Produkte werden wo platziert? Welche Wege geht der Kunde? Für Auszubildende im Einzelhandel und im Verkauf sind das wichtige Fragen. In einer Berufsschule können ihnen diese Lerninhalte in der Regel nur theoretisch über Bücher vermittelt werden. Einen eigenen Supermarkt für die praxisnahe Ausbildung auf- oder andere Räume nachzubauen, das können sich Berufsschulträger schlicht nicht leisten.

Umso willkommener ist dem Leitungs- und Lehrerteam der Erich-Bracher-Schule (EBS) in Pattonville ein am Mittwoch gestartetes Pilotprojekt: Rektor Oliver Schmider und Tobias Ladewig von dem Bad Mergentheimer Unternehmen Würth Industrie Service unterzeichneten am Nachmittag in der Schule einen Kooperationsvertrag. Laut der Vereinbarung soll Virtual Reality (VR), also virtuelle Realität, in der beruflichen Bildung der EBS eingesetzt werden.

Die Technologie soll Azubis im Fachbereich Einzelhandel, also den Verkäufern und den Einzelhandelskaufleuten, dabei helfen, praxisnäher und damit nachhaltiger zu lernen. Über VR-Brillen tauchen sie in eine digitale, computergenerierte Realität ein, in eine dreidimensionale Umgebung, in der sie das üben können, was in ihren Berufen auf sie zukommt – etwa Ladenbau, Produktplatzierung, Regalbestückung. Der Lehrer kann in dem virtuellen Unterricht mit Live-Gefühl auch Schüler in separate Räume schicken, er kann Teilnehmer stummschalten, zu sich herholen und die Gruppe damit kontrollieren. Ein virtueller Übungsraum kann so oft geklont werden, dass alle Schüler mitmachen können und keiner abseits stehen muss oder vom digitalen Exerzieren ausgeschlossen wird. Die Software namens VR Toolbox läuft laut der Firma auf jedem Endgerät, das Geschehen kann also auch auf mehreren Bildschirmen mitverfolgt werden.

Das Potenzial dieser Technologie sei „unglaublich“, sagte Schmider. Mit dem VR-Einsatz an seiner Berufsschule betrete man Neuland, „das ist eine neue Art der Ausbildung“, ein Lernen „entlang der Echtrealität“. Zwischen Theorieunterricht und der praktischen Anwendung von Wissen bestehe „ein großer Unterschied“.

Außerdem führe das Projekt Wirtschaft und berufliche Schule zusammen, davon profitierten beide Seiten, so Schmider. Ladewig betonte, dass die Kooperation auch der Firma zugutekommen könnte – dann, wenn bei Würth Industrie Service Mitarbeiter eingestellt würden, die die VR-Technologie schon aus der Berufsschule kennen: „Diese Leute haben einen Vorteil.“

Der Schulträger, der Landkreis Ludwigsburg, zahlt dem Unternehmen in der Projektphase einen niedrigen fünfstelligen Betrag – für Lizenzgebühren, schulbezogene Entwicklungs- und Personalkosten, Bereitstellung der Technologie. So mussten die Entwickler beispielsweise den Haupteingang und das Foyer der EBS digital konstruieren, sogar an die realen Getränkeautomaten wurde dabei gedacht. Wer sich in der virtuellen Realität bewegt, geht in diesem dreidimensionalen Raum nicht nur an diesen Automaten vorbei, sondern betritt zuvor auch die Schule, geht durch das Foyer, steigt die Treppe hinauf – all das ist mit Hilfe von Fotos so realistisch nachempfunden, dass die digitale Version der echten Schule täuschend ähnlich sieht.

Auf diese Weise können für Azubis auch Läden, Regale, Produkte und Kunden nachgestellt werden. Wichtig ist das vor allem für Lehrlinge in kleineren Betrieben, die etwa in Tankstellen oder Handyshops arbeiten – also dort, wo die Ausbildungsstrukturen nicht so professionell sind wie etwa bei großen Handelsketten.

Der vom Schulträger gezahlte Betrag decke gerade so die Kosten der Firma, sagt Ladewig, „wir verdienen daran nichts.“ Auch die Universität Konstanz ist an dem Projekt beteiligt – der Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik begleitet es wissenschaftlich. Die Würth-Gruppe setzt die VR-Technologie bereits weltweit ein, etwa bei Schulungen und Vorträgen. Der Kontakt zum schulischen Bereich kam privat über Sven Kaufmann zustande. Der EBS-Lehrer betont, wie wichtig praktisches Erleben und Lernen für nachhaltiges Lernen von Auszubildenden sei: Primärerfahrungen seien besser als Sekundärerfahrungen.

Bald sollen kleine EBS-Schülergruppen die Technologie ausprobieren, im nächsten Schuljahr sollen dann ein oder zwei Pilotklassen damit lernen. Das Projekt ist zunächst auf ein Jahr angelegt, im Juli 2022 ziehen Schule und Firma eine Bilanz: „Wir sind gespannt auf die Ergebnisse“, sagt Schmider, „wir versprechen uns viel davon.“