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Muskelkrankheit
Der Junge, der anderen Hoffnung gibt

Michael kann jetzt schon ganz alleine sitzen und sich mit seinem Lieblingsspielzeug beschäftigen. Doch seine Mutter Marina Mantel ist immer in der Nähe – falls der Eineinhalbjährige die Kraft verliert und umfällt. Foto: Holm Wolschendorf
Michael kann jetzt schon ganz alleine sitzen und sich mit seinem Lieblingsspielzeug beschäftigen. Doch seine Mutter Marina Mantel ist immer in der Nähe – falls der Eineinhalbjährige die Kraft verliert und umfällt. Foto: Holm Wolschendorf
Michaels Geschichte hat in diesem Jahr bewegt wie kaum eine andere. Der kleine Ludwigsburger, der an Muskelschwund leidet, hat vor drei Monaten die Infusion bekommen, die ein längeres Leben verspricht. Seitdem geht es ihm stetig besser – das gibt Eltern, deren Kinder dieselbe Krankheit haben, Hoffnung.

Ludwigsburg. Michael liegt auf dem Boden. Sein Blick fällt auf ein Spielzeugboot, das etwa einen Meter von ihm entfernt liegt. Kurz schaut der Eineinhalbjährige zu seiner Mutter. Doch Marina Mantel schüttelt den Kopf. „Das schaffst du selbst, Michi“, sagt sie. Also rollt Michael sich ein paar Mal um die eigene Achse und hält schließlich das Boot in der Hand. Auf seinem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus.

Auch Marina Mantel lächelt. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass Kinder wie Michael, die an der schlimmsten Form von Spinaler Muskelatrophie (SMA) leiden, rollen und selbstständig sitzen können. Doch Michael ist ein Kämpfer – das hat seine Mutter schon vor einem halben Jahr gesagt, als die Familie eine Spendenaktion für den Kleinen startete. Ziel war es, ein 2,1 Millionen Dollar teures Medikament, das bisher nur in den USA zugelassen ist, für Michael zu finanzieren. Nach turbulenten Wochen übernahm schließlich die Krankenkasse die Behandlung, vor drei Monaten bekam Michael das Medikament als Infusion.

Noch im Krankenhaus zeigte er die ersten Fortschritte, er konnte sich plötzlich vom Rücken auf den Bauch drehen. Bis zu dem Moment im Dezember, wo er selbstständig sitzt und sich auf sein Spielzeugboot zurollt, war einiges an Durchhaltevermögen und Training gefragt. Von Michael selbst, aber auch von seiner Familie. Noch immer trainieren seine Eltern jeden Tag mit ihm auf einer Vibrationsplatte. Das soll seine Muskulatur stärken. „Er macht ganz gut mit – meistens“, sagt Marina Mantel. Manchmal habe er eben einfach keine Lust, das zu machen, was seine Eltern wollen. „Wie jedes andere Kind auch“, so die Mama.

Trotz der vielen Fortschritte ist Michael kein gesunder Eineinhalbjähriger. Er kämpft immer noch mit dem Atmen und dem Lungensekret – an manchen Tagen mehr als an anderen. Das liegt an seiner geschwächten Lunge, die sich wegen seiner Krankheit nicht weiterentwickelt hat. Erst seit der Infusion wird das Organ stärker. „Das ist normal. Die Teststudien haben gezeigt, dass die Lunge erst sechs Monate nach der Behandlung wieder komplett hergestellt ist“, sagt Marina Mantel. Doch die Dauer-Hustenanfälle, die Michael und seine Eltern vor einigen Wochen noch manchmal nächtelang wach gehalten hatten, sind Geschichte. „Seine Hände sind jetzt auch so stark wie die von anderen Kindern in seinem Alter“, erzählt Michaels Mutter. Der beweist sein Können, indem er einen Baustein von seinem Spielzeugboot klaubt – und dabei lächelt.

Michaels Lächeln ist in den vergangenen Wochen deutschlandweit berühmt geworden. Im Fernsehen, Radio und in Zeitungen und Zeitschriften war er bereits zu sehen. Nach dem ersten Bericht in der LKZ schlug dem Jungen auch in Ludwigsburg und Umgebung eine Welle der Solidarität entgegen. Viele Menschen spendeten Geld oder entwickelten Ideen, wie Spenden gesammelt werden können. „Alle haben für ihn gekämpft“, sagt Marina Mantel, die es immer noch nicht ganz glauben kann, wie viele Menschen ihrem Sohn geholfen haben. „Wir müssen uns bei so vielen bedanken.“

Doch das Thema ist für die Familie aus Eglosheim nicht abgehakt, jetzt, nachdem Michael seine Behandlung bekommen hat. Unzählige Kamerateams, Journalisten und Fotografen waren bei der Eglosheimer Familie zu Gast. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, in den Wochen vor Weihnachten sind Michael und seine Mutter fast jeden Tag mit Interviews und Fernsehaufnahmen beschäftigt. Doch für Marina Mantel ist Rückzug derzeit keine Option. „Ich möchte das Thema weiter präsent halten“, sagt sie. „Für die anderen Kinder.“ Denn Michaels Geschichte ist zu einem Präzedenzfall geworden und gibt Familien, die auch ein Kind mit SMA haben, Hoffnung. „Wir wissen, wie man sich mit dieser Diagnose fühlt“, so Marina Mantel. Wie es ist, mit anzusehen, wenn das eigene Kind körperlich immer schwächer wird, während es sich geistig weiterentwickelt. „Deshalb kämpfen wir weiter.“

Nach Michael hat auch John aus Sachsen das Medikament bekommen. Marina Mantel weiß außerdem von einigen anderen Kindern, die eine Zusage von der Krankenkasse haben, aber keinen Arzt finden, der die Behandlung übernimmt. Das liege daran, dass Ärzte vorsichtig sind bei der Behandlung mit einem noch nicht zugelassenen Medikament – wegen der Haftung. Ein weiterer Grund dafür, dass die Europäische Arzneimittelagentur das Medikament schnell auch in Europa zulassen sollte, findet Marina Mantel. „Ich bin mir sicher, dass jeder Arzt behandeln würde, wenn es klare Regeln gäbe und die Haftung geklärt wäre“, sagt sie.

Immer noch fahren Michael und seine Eltern regelmäßig nach Heidelberg, wo er die Infusion bekommen hat. „Ein Tag in der Woche ist damit belegt“, so Marina Mantel. Der behandelnde Arzt möchte Michael weiterhin sehen. Bei diesen Untersuchungen wird auch sein Blut geprüft. Michaels Leberwerte sind noch nicht gut – doch auch das sei normal, sagt seine Mutter, die sich genau mit den Teststudien auseinandergesetzt hat.

Interviewtermine, Arzttermine – nach Ruhe in der Vorweihnachtszeit hört sich das wahrlich nicht an. „Wir sind noch gar nicht dazu gekommen, Plätzchen zu backen oder zu dekorieren“, sagt Marina Mantel eine Woche vor dem Fest. Doch die Weihnachtstage wollen sie in Ruhe verbringen – zusammen mit der Familie. „Wir hätten uns vor einem halben Jahr nicht vorstellen können, dass es Michael diese Weihnachten so gut geht“, sagt Marina Mantel.

So viele Wunder habe die Familie dieses Jahr schon erlebt. Dass so viele Menschen ihnen geholfen haben, dass die Krankenkasse zugesagt hat, ein Arzt gefunden wurde und es Michael jetzt schon so viel besser geht, zählt sie auf. „Jetzt hoffen wir auf ein weiteres Wunder: dass Michael irgendwann krabbeln, vielleicht sogar laufen kann.“