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Porträt
„Ich möchte in Deutschland bleiben. Für immer“

Nasir Ahmad Hajimohamad bei seiner Arbeit im Speisesaal des Seniorenstifts Marbach mit einem Bewohner.
Nasir Ahmad Hajimohamad bei seiner Arbeit im Speisesaal des Seniorenstifts Marbach mit einem Bewohner.
Singen ist Nasirs großes Hobby. Beim vergangenen Sommerfest des Seniorenstifts hat der 20-Jährige afghanische und deutsche Lieder gesungen, eine Heimbewohnerin sang mit und der Hausmeister begleitete die beiden mit der Gitarre. Fotos: privat
Singen ist Nasirs großes Hobby. Beim vergangenen Sommerfest des Seniorenstifts hat der 20-Jährige afghanische und deutsche Lieder gesungen, eine Heimbewohnerin sang mit und der Hausmeister begleitete die beiden mit der Gitarre. Foto: privat
Nasir Ahmad Hajimohamad floh vor drei Jahren vor den Taliban. Seither lebt der junge Afghane in Ludwigsburg. Seit er hier ist, hat er mehrere Praktika gemacht. Inzwischen ist er als Küchenhilfe in einem Seniorenstift fest angestellt. „Deutschland ist gut für mich“, sagt der 20-Jährige. Trotzdem muss er bangen. Aus Angst vor Abschiebung kann er oft nicht schlafen.

Ludwigsburg. Bei den Heimbewohnern ist Nasir Ahmad Hajimohamad sehr beliebt. Wenn er im Speisesaal das Frühstück herrichtet, unterhält er sich viel mit den Senioren. Hin und wieder singt er auch mit ihnen. Das Lied „Die Gedanken sind frei“ zum Beispiel, erzählt der 20-Jährige. Singen ist sein Hobby. Er stand auch schon bei Fugato, dem Musikprojekt der Württembergischen Philharmonie Reutlingen mit Flüchtlingen, auf der Bühne. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er jetzt schon im Seniorenstift in Marbach. Immer wenn er länger frei hat, fragen alle nach ihm. Er ist immer fröhlich und lacht viel.

Dabei hat er eigentlich viele Probleme. Bei der Arbeit kann Nasir abschalten. Wenn er aber in seinem Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft in Ludwigsburg ist, ist sein Kopf voll. Es ist nicht sicher, ob Nasir in Deutschland bleiben darf. Dabei möchte ihn sein Arbeitgeber unbedingt halten. Er arbeitet sehr gut.

Nasir hat in seiner Heimat, einem Dorf am Rand des Hindukuschs, keine richtige Schulausbildung erhalten. Neben landwirtschaftlichen Arbeiten auf den Feldern seines Vaters arbeiteten er und sein Bruder für die deutsche Armee – mit Lkw-Transportfahrten und hauswirtschaftlichen Arbeiten im Militär-Camp. „Wir bekamen deshalb große Probleme mit den Taliban“, erzählt Nasir. Sein Bruder wurde getötet. Er selbst kam knapp mit dem Leben davon. Zum Großteil zu Fuß und per Bus kam er nach Deutschland. „Die deutschen Soldaten waren sehr nett“, sagt er. Deshalb entschied er sich, nach Deutschland zu gehen.

Das Ankommen war aber nicht immer einfach. „Deutschland ist eine ganz andere Welt“, sagt der junge Mann. „Die Kleidung ist anders, Frauen tragen kurze Röcke.“ Auf dem Weg nach Deutschland entsorgte er seine afghanische, weite Kleidung und zog zum ersten Mal in seinem Leben eine Jeans an. Das war unangenehm, erzählt er. „Die Hosen in Europa sind so eng“, sagt er und lacht. „Auch das Essen ist anders.“ Im Flüchtlingsheim kocht er viel afghanisch, mit Reis und Fleisch, Karotten, Rosinen, erzählt er. Aber er mag auch Spaghetti mit Tomatensoße und Kartoffelsalat.

Auch sonst ist der 20-Jährige der deutschen Kultur gegenüber sehr aufgeschlossen, sagt Brigitte Heidebrecht. „Er hat keine Berührungsängste.“ Die Ludwigsburgerin unterstützt Nasir dabei, hier Fuß zu fassen. Die beiden haben sich in der Flüchtlingsunterkunft kennengelernt. Als Tanzpädagogin kam die Ehrenamtliche des Arbeitskreises Asyl 2015 ins Flüchtlingscafé und bat darum, afghanisch tanzen zu lernen. Nasir tanzte mit ihr. In Afghanistan hätte er es nie gewagt, mit einer Frau zu tanzen, erzählt er.

Heidebrecht nimmt den jungen Mann seither an der Hand, sie unterstützt ihn in allem, was mit beschränkten Deutschkenntnissen schwierig zu bewältigen ist: Umgang mit Behörden, Arbeitssuche oder Besuche beim Rechtsanwalt. „Sein Asylantrag wurde abgelehnt“, sagt Heidebrecht. Jetzt befinde er sich in der Klage – seit einem Jahr. Wie diese ausgehe, sei ungewiss. „Die Chance für junge Afghanen ist sehr vage.“ Falls er verliert, bekommt er eine Duldung. Das heißt grundsätzlich, dass jederzeit die Polizei kommen kann und man abgeschoben wird. „Auch wenn derzeit in Baden-Württemberg meist nur straffällige Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben werden – die jahrelange Unsicherheit macht kein schönes Lebensgefühl. Und erschwert die Integration der jungen Männer“, so Heidebrecht. Auch für die Integrationshelfer sei es nicht einfach. „Wir geben uns große Mühe, und dann müssen wir fürchten, dass alles nichts gebracht hat.“

Nasir schläft schlecht, erzählt er. „Ich habe Probleme hier, ich habe Probleme in Afghanistan.“ Er erzählt von seinem kranken Vater, der in Pakistan in einem Krankenhaus ist und operiert werden musste. Nasir schickte den Eltern Geld für die Operation. Seine Schwester und sein kleiner Bruder leben bei der Großmutter. Ab und zu telefoniert er mit ihnen.

Immerhin hat er in Deutschland Heidebrecht kennengelernt. Sie hilft ihm nicht nur bei seiner Entwicklung. „Er gehört mittlerweile zur Familie“, sagt sie. Auch Weihnachten verbringt der 20-Jährige bei ihr und ihrer Familie. „Weihnachten ist sehr schön mit den geschmückten Bäumen“, sagt Nasir. „Er ist schon halb Deutscher,“ sagt Heidebrecht und lacht. Der 20-Jährige will in Deutschland bleiben. „Für immer“, betont er. Derzeit sucht er nach einem WG-Zimmer. Nasir will raus aus der Flüchtlingsunterkunft und am liebsten mit Deutschen zusammenwohnen. „Damit ich noch besser Deutsch lerne“, sagt er. „Es gibt eigentlich auch keine Alternative zu Deutschland, da die Taliban hinter ihm her sind“, so Heidebrecht. Nasir sagt: „Ich kann doch nicht mit der Jeans zurück ins afghanische Dorf.“