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Festival
„Mut gegen Rechts“ - Spielwiese der Gegenöffentlichkeit

Die Band „Die Netzwerker“: Dieter Knobloch, Klaus Schneider, Tanja Sandberger, Uwe Bahnweiler und Alexander Kraus. Foto: Andreas Becker
Die Band „Die Netzwerker“: Dieter Knobloch, Klaus Schneider, Tanja Sandberger, Uwe Bahnweiler und Alexander Kraus. Foto: Andreas Becker
15 Gruppen setzen beim Festival der Initiative „Mut gegen Rechts“ auf dem Akademiehof ein Zeichen gegen Ausgrenzung

Ludwigsburg. Straßenfestatmosphäre macht sich am Samstagnachmittag auf dem Akademiehof breit, beim zweitägigen Festival der Initiative „Mut gegen Rechts“ wird das Areal zur bunten Spielwiese einer kritischen Gegenöffentlichkeit. Verschiedene Gruppen, Initiativen und Vereine informieren an Ständen über ihre Arbeit. Auf der Kulturbühne vor dem Albrecht-Ade-Studio stimmen die Netzwerker, die Band des Psychosozialen Netzwerks, den Reinhard-Mey-Klassiker „Über den Wolken“ an. Zwei junge Männer, die ihrem Aussehen nach sonst eher härteren Klängen zugeneigt sind, setzen vor der Bühne zu einem wilden Paartanz an.

In der Vergangenheit wurde auf dem Innenstadtcampus in der Seestraße gefeiert. Mit dem Ortswechsel geht eine inhaltliche Neuausrichtung einher, neben der Musik stehen in diesem Jahr gesellschaftspolitische Themen stärker im Fokus. Vorträge, Workshops und eine Podiumsdiskussion am Sonntag – am zweiten Tag gibt es neben der Kulturbühne eine eigene Vortragsbühne – befassen sich insbesondere mit sozialer Ungleichheit.

„Probleme wie Obdachlosigkeit, Geschlechterungerechtigkeit, Rassismus oder die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung haben sich in der Coronakrise weiter verschärft“, sagt Daria Schroth, Sprecherin von „Mut gegen Rechts“. Das Festival solle gesellschaftlichen Akteuren die Möglichkeit bieten, sich öffentlich zu präsentieren. „Wir wollen den Rahmen schaffen, in dem Betroffene selbst auf soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam machen und diese Probleme in die Gesellschaft tragen können.“

Das Spektrum der beteiligten Initiativen ist entsprechend breitgefächert. Großen Wert hat „Mut gegen Rechts“ darauf gelegt, dass jeder mitfeiern kann. „Ein Gebärdendolmetscher ist da, wir haben für Barrierefreiheit gesorgt und ein Hygienekonzept entwickelt, Getränke und Kuchen werden zu solidarischen Preisen verkauft“, betont Schroth. „Das Festival soll die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens widerspiegeln.“

Soziale Ungerechtigkeiten bekämpfen

Die Netzwerker jedenfalls wissen dieses Angebot zu schätzen. „Es hat unheimlich Spaß gemacht, hier zu spielen“, sagt Bandleader Alex Kraus nach dem Konzert. Zuletzt waren die Netzwerker im Februar 2020 in der Friedenskirche aufgetreten. „Es war ein bisschen ungewohnt, nach so langer Zeit wieder vor Publikum zu spielen“, meint Kraus. „Aber dann hat alles gut funktioniert, auch die Zuschauer haben super mitgemacht.“

Nico Nissen von Trottwar beschäftigt sich in seinem Vortrag mit Obdachlosigkeit. Der Stuttgarter Verein bietet Menschen mit geringem Einkommen in mehr als 20 baden-württembergischen Städten, auch in Ludwigsburg, durch den Verkauf der gleichnamigen Straßenzeitung eine Perspektive. „Wir schaffen Arbeitsplätze für Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance hätten“, sagt Nissen. Einheimische Verkäufer seien allerdings nur schwer zu finden. „Bei uns melden sich viele Osteuropäer, aber kaum Deutsche“, so Nissen. Das heiße nicht, dass es unter Deutschen keine soziale Not gebe. Vielmehr würden die Verkäufer stigmatisiert und machten sich angreifbar. „Unsere ausländischen Mitarbeiter bekommen Pöbeleien auf der Straße häufig gar nicht mit, weil sie es nicht verstehen“, sagt Nissen. Das „Mut-gegen-Rechts“-Festival bietet erfreulich innovative Ansätze zur Auseinandersetzung mit Ausgrenzung und sozialer Ungleichheit. Nissen etwa wirbt für eine Aktion, bei der Neugierige spontan in die Rolle eines Verkäufers schlüpfen können.

Wenn es um Obdachlosigkeit geht, dann weiß Autor Richard Brox, worum es geht. Drei Jahrzehnte lang lebte er auf der Straße. Der Lesung aus seiner Biografie „Kein Dach über dem Leben“ lauschten rund 50 Zuhörer. Darin beschreibt er seine ganz eigenen Erfahrungen mit der Obdachlosigkeit, die Schattenseiten der Gesellschaft und ihre soziale Verwahrlosung. „‚Mut gegen Rechts‘ ist für mich eine Art Leuchtturmprojekt gegen Hass und Hetze“, sagt er. Sein Buch ist mittlerweile in der neunten Auflage. Allein im deutschsprachigen Raum wurden 40000 Exemplare verkauft.

Auch beim Klimacamp hat man festgestellt, dass viele Menschen auf Unterstützung angewiesen sind. 15 junge Mitglieder von Fridays for Future und Campus for Future Ludwigsburg haben von Freitag bis Sonntag ihre Zelte vor dem Theaterturm aufgeschlagen, in Schichten ist das Camp durchgehend besetzt.

Natürlich geht es vor allem darum, für die Gefahren des Klimawandels zu sensibilisieren. Teil des Camps ist aber auch ein Zelt von Foodsharing Ludwigsburg, der Verein setzt sich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln ein. „Jeder kann Obst, Gemüse, Brot und Backwaren vorbeibringen oder mitnehmen“, erklärt Camperin Anna Wackerow das Konzept, das auf rege Nachfrage gestoßen sei. „Viele waren völlig fassungslos, haben sich bedankt und gleich eine ganze Tasche vollgepackt. Ich hatte schon den Eindruck, dass diese Menschen die Lebensmittel gut gebrauchen können.“