1. Startseite
  2. Lokales
  3. Stadt Ludwigsburg
Logo

Cannabis
Richter und Arzt warnen vor Legalisierung

Eine Möglichkeit, Cannabis zu konsumieren, ist es, die Droge mit Tabak zu vermischen und als Joint zu rauchen.Archivfoto: Daniel Karmann/dpa
Eine Möglichkeit, Cannabis zu konsumieren, ist es, die Droge mit Tabak zu vermischen und als Joint zu rauchen. Foto: Daniel Karmann/dpa
Schon bald könnte Cannabis legalisiert werden. Zumindest scheint in den Koalitionsverhandlungen darüber Einigkeit zu herrschen. Welche fatalen Folgen die Droge vor allem für Jugendliche hat, erleben Richter und Mediziner jeden Tag. Im Gespräch mit unserer Zeitung warnen sie vor einem zu laxen Umgang mit Cannabis.

Ludwigsburg. Cannabis ist in vielen größeren Städten praktisch eine Selbstverständlichkeit. Wer will, kommt an die Droge ran. Auch in Ludwigsburg ist der Stoff überall und zu jeder Zeit verfügbar, bestätigt die Polizei. Zwar ist Cannabis vor allem bei jungen Menschen beliebt, doch der Konsum geht bis weit hinauf in gesetzte, bürgerliche Kreise. Was läge also näher als eine Legalisierung und damit eine Entkriminalisierung, um die Behörden zu entlasten?

Polizei und Gerichte haben jedenfalls eine Menge mit dem Thema zu tun. Deutschlandweit geht es um rund 200000 Delikte im Zusammenhang mit Cannabis – jedes Jahr. Auch im Kreis Ludwigsburg sind die Zahlen hoch. Von der Polizei registriert wurden in den vergangenen vier Jahren folgende Cannabis-Fallzahlen: 2020: 1184 Fälle; 2019: 1204 Fälle; 2018: 1195 Fälle; 2017: 1002 Fälle. Sie machen einen Großteil der Rauschgiftkriminalität im Kreis aus.

Jugendrichter Ulf Hiestermann vom Ludwigsburger Amtsgericht sieht die Diskussion über die Legalisierung sehr skeptisch. Viele Fragen sind für ihn bislang völlig ungeklärt. Für wen wird Cannabis legalisiert (Altersfreigabe), in welchen Mengen und mit welchem THC-Gehalt? Der THC-Gehalt (Tetrahydrocannabinol) ist entscheidend dafür, wie stark die Droge wirkt. In den vergangenen Jahren ist es den Züchtern gelungen, diesen Wert immer weiter nach oben zu schrauben. Auch die Frage, wo die Droge verkauft werden soll, ist bisher ungeklärt. In den Koalitionsverhandlungen ist nur von „lizenzierten Fachgeschäften“ die Rede.

Ob am Ende überhaupt viele Fälle für das Amtsgericht wegfallen würden, zweifelt Hiestermann an. Von einer Legalisierung für Jugendliche ist bisher auch nicht die Rede.

„Der Schwarzmarkt wird bei einer Legalisierung nicht verschwinden“, ist Hiestermann sicher. Mit fatalen Folgen für Jugendliche. Da alle Erwachsenen auf den legalen Erwerb umsteigen könnten, würden die Schwarzmarktpreise fallen und die Drogen für Jugendliche dadurch immer leichter zu bekommen sein. Der illegale Verkauf wird die Gerichte damit weiter beschäftigen. Und nicht nur das. Was ist mit Autofahren unter Drogeneinfluss? Oder angenommen, ein Erwachsener kauft sich legal Cannabis und gibt es an Jugendliche weiter. Auch das wird weiterhin eine Straftat bleiben.

Aus seinem Alltag am Jugendgericht kann Ulf Hiestermann davon berichten, welche fatalen Folgen Cannabis-Konsum gerade für Jugendliche haben kann. „In Extremfällen kann der Konsum bis zur Psychose führen.“ Das erlebt der Richter immer wieder. Viel häufiger als diese Extremfälle seien aber Beispiele, bei denen Jugendliche durch die Droge jegliche Antriebskraft verlieren und in eine allgemeine Lethargie verfallen. Gerade für Jugendliche hat das schwerwiegende Folgen, erklärt Hiestermann. Sie lernen in der Schule, müssen sich um Bewerbungen kümmern oder sind in der Ausbildung, stehen also vor vielen Hürden. Wer in diesem Lebensabschnitt in Antriebslosigkeit verfällt, verbaut sich schlimmstenfalls das komplette Leben. „Diese soziale Wirkung wird politisch oft unterschätzt“, bemängelt Hiestermann. Und wäre eine Legalisierung für Erwachsene nicht ein fatales Signal für Jugendliche?

Auch Professor Hermann Ebel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin am Ludwigsburger Krankenhaus, sieht eine Legalisierung „aus medizinischer Sicht ganz klar kritisch“. Mit seiner Haltung sei er nicht allein. Auch in anderen Psychiatrien sehe man das so.

Jeder zweite bis dritte junge Patient (15 bis 25 Jahre), mit dem die psychiatrische Klinik in Ludwigsburg zu tun hat, sei aktuell ein Cannabiskonsument oder in der Vergangenheit einer gewesen, sagt Ebel. Es sei medizinisch erwiesen, dass Cannabis eine Psychose (mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder Denkstörungen) auslösen kann. Zumindest bei allen Personen, die eine Veranlagung dazu haben. Und der Konsum der Droge erhöhe das Risiko, dass die Psychose ausgelöst wird.

Cannabis wird außerdem mit Schizophrenie in Verbindung gebracht. Durch den Drogenkonsum könne der Zeitpunkt des Ausbruchs im Leben nach vorne verlagert werden, erklärt Ebel. Für junge Konsumenten sei die Droge auch deshalb gefährlich, weil die Entwicklung des Hirns noch nicht vollständig abgeschlossen ist und es dadurch zu irreparablen Zellschäden kommen kann.

Akute Symptome einer (schizophrenen) Psychose bekomme man mit Medikamenten oft in den Griff. Was bleibt, seien bei chronischen Cannabis-Konsumenten oft schwere Motivationsstörungen, Antriebslosigkeit, kurzum eine „Scheißegal-Stimmung“. Ebel schätzt, dass lediglich ein Drittel dieser Patienten den Zustand von vor der Psychose wieder erreicht. Ein Drittel bleibt eingeschränkt und bei einem Drittel seien die Folgen so schlimm, dass die Betroffenen den Rest ihres Lebens als Dauerinvaliden fristen – „das ist eine der schlimmsten Erkrankungen, die der Mensch bekommen kann“.

Nach den Erfahrungen von Professor Ebel ist die Anzahl der Cannabis-Konsumenten, die aufgrund von Psychosen in die Klinik müssen, seit etwa zwei Jahrzehnten stabil. Trotzdem warnt er vor einer Verharmlosung der Droge, etwa indem man sie mit Alkohol gleichsetzt. Gegen den Alkohol sei es in unserer Kultur ungleich schwerer anzukommen. „Aber warum soll man jetzt auch noch mit Cannabis so leichtfertig umgehen?“.