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Therapiehunde im Krankenhaus begleiten Menschen in den Tod: „Keiner soll alleine sterben“

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Blair.
Blair.
Zazu.
Zazu.
Zazu bei einer Patientin im Klinikum.
Zazu bei einer Patientin im Klinikum.
Die Menschen, die auf Station M1 des Ludwigsburger Klinikums liegen, wissen, dass sie nicht mehr gesund werden. Sie haben kaum mehr Termine für den Rest ihres Lebens. Samstags aber ist immer ein besonderer Tag. Denn dann kommt der Hund. Sabine Hertweck und Diana Gruhl begleiten mit ihren Vierbeinern Zazu und Blair Menschen auf ihrer letzten Reise.

Ludwigsburg. Mancher Patient lässt sich samstags extra früher waschen, um fertig zu sein, wenn der Besuch kommt. Der Besuch kommt auf vier Pfoten und in Begleitung einer jungen Frau. Normalerweise dürfen Hunde nicht ins Ludwigsburger Klinikum. Aber für Zazu und Blair wird eine Ausnahme gemacht. Die beiden sind Therapiebegleithunde, sie sind sozusagen beruflich im Einsatz.

„Der Hund ist ein Eisbrecher“, sagt Sabine Hertweck. Seit eineinhalb Jahren ist sie mit ihrem fünf Jahre alten silbernen Labrador Zazu im Einsatz. Wenn andere Leute samstagmorgens über den Markt bummeln, sich im Café treffen oder das Auto waschen, gehen die beiden zu Patienten auf der Palliativstation. „Wir werden dort erwartet.“ Da werden Äpfel und Sorgen gleichermaßen geteilt. Es wird umarmt, gelacht, geweint.

Emotionale Gespräche mit den Tieren

„Wir gehen durch alle Zimmer“, erzählt Diana Gruhl, die mit Blair, einer hübschen, dreieinhalb Jahre alten Labradorhündin im Einsatz ist. Wenn die Tür zum Patientenzimmer aufgehe und der Hund dastünde, dann habe man erst mal ein Thema. Manchmal schaffe sie aber nur zwei, drei Zimmer, „weil die Gespräche so lange dauern“. Das sind keine Begegnungen, von denen man einfach wegläuft. „Manchmal ist es das letzte Gespräch“, sagt Hertweck. „Uns werden Dinge anvertraut, mit denen die Patienten ihre Angehörigen nicht belasten wollen.“ Es sind Gespräche, die sonst mit niemandem geführt würden. Da geht man nicht. Da bleibt man. „Das sind so vertrauensvolle Gespräche, und es gibt keinen wertvolleren Lohn als der Dank und eine Umarmung.“

Der Rest des Lebens, der den Patienten auf der Palliativstation bleibt, ist klein. Es geht um die letzten Dinge. Um das, was wirklich wichtig ist. Mit einer jungen Mutter hat Sabine Hertweck eine Bucket List am Krankenbett erstellt. „Es war ihr Wunsch, dass wir aufschreiben, was ihre Kinder nach ihrem Tod Schönes machen und erleben sollen.“ Das sind Momente, die gehen Sabine Hertweck, die selbst Mutter ist, nah. „Aber wenn es reicht, ein einziges Kind zu retten, damit es Momente findet, in denen es all seine Traurigkeit vergessen kann, dann hat es sich gelohnt.“

Seit gut eineinhalb Jahren sind Zazu und Blair als Therapiebegleithunde im Einsatz. „Eine Freundin sprach uns an, die das für den Malteser Hilfsdienst in Aschaffenburg macht“, erinnert sich Hertweck. Über ein Jahr dauerte die Ausbildung, seither sind sie im Einsatz. Nicht nur auf der Palliativstation, auch zum Beispiel in der Bietigheimer Schule am Gröninger Weg, wo ein Mädchen mit Hilfe der Hunde Vertrauen gefasst und seine Angstzustände überwunden hat. Oder auch im Altersheim und in der Obdachlosenunterkunft. „Aber die Palli ist die schönste Einrichtung“, sagen die beiden Frauen. Vielleicht, weil da das Leben so präsent ist, dass es schon beinahe wehtut.

Zazu und Blair kommen auf leisen Pfoten. Sie stellen keine Fragen. Sie sind einfach da. Sie schnuppern, sie schmusen und sie spekulieren auch mal auf einen Apfelschnitz vom Essenstablett. „Hunde nehmen die Emotionen auf“, sagt Sabine Hertweck. „Wenn sich ein Patient auf die Reise macht, dann legt sich der Hund oft vors Bett.“ Es sei, als würde der Hund mitgehen wollen bis an den Punkt, an dem es nicht weitergeht.

Von den Hunden geht eine besondere Ruhe aus

„Ich halte oft kalte Hände“, sagt Hertweck. „Keiner soll alleine sterben, und die Palli ist so überlastet.“ Wenn dann Angehörige nicht da sind oder nicht da sein können, bleiben Sabine Hertweck und Diana Gruhl mit Zazu und Blair am Bett sitzen. „Danach gehe ich in den Wald. Man muss es auch hinter sich lassen.“ So seltsam es klingen mag: „Ich geh immer freudig nach Hause, die Hunde geben auch uns Kraft“, erzählt Diana Gruhl.

Und doch gibt es Momente, die den beiden Frauen schwerfallen. „Wir weinen auch mit den Patienten und deren Angehörigen. Bei uns muss keiner stark sein.“ Die Geschichte eines schwer erkrankten Mannes hat Sabine Hertweck tief berührt. Der unheilbar kranke Mann hatte aufgehört zu essen und zu trinken, um schneller sterben zu können. Seine Angehörigen haben es nicht geschafft, das auszuhalten. Es waren Zazu und sie, die den Mann begleitet haben.

Über die Schwestern auf Station sagen die beiden Frauen, „das sind die Könige“. „Wir bewundern deren Arbeit und sind so dankbar, einen kleinen Teil dazu beizutragen.“ Das Pflegepersonal anerkennt das Engagement. Sie sagen: „Ihr seid mehr wert als die Psychologen.“ Denn die Ruhe und das Vertrauen, das von ihren Hunden ausgeht, ist etwas Besonderes. Es ist eine Begegnung, die keinen Gegenwert einfordert. Eine Begegnung, die so unmittelbar ist, dass sie nichts weiter braucht als die bloße Gegenwart. „Wir beobachten das zum Beispiel, wenn jemand Angst hat“, erzählt Sabine Hertweck. Etwa vor einer schweren Untersuchung, wie bei einem MRT. „Da bleib ich dann mit Zazu drin, und die Patienten werden tatsächlich ganz ruhig.“ Manchmal legen Zazu und Blair ihre Schnauzen auf die Bettkante. Dann lassen sie sich streicheln und kraulen. Manchmal sitzen sie einfach nur neben dem Bett. Natürlich gibt es auch Patienten, die keinen Hundebesuch möchten. „Das respektieren wir“, so Diana Gruhl. Es ist ein Angebot, das sie machen. Wer es annimmt, tut dies auf eigenen Willen hin. Seit vergangener Woche dürfen Sabine Hertweck und Diana Gruhl jedoch nicht mehr mit Zazu und Blair ins Klinikum. Corona zwingt auch sie, draußen zu bleiben. Leider. Ob sie bei ihrem nächsten Besuch wieder auf bekannte Gesichter treffen? „Ich freue mich immer, wenn ich jemanden wiedersehe“, sagt Gruhl. Denn es bedeutet, dass der Mensch nicht ins Hospiz gegangen oder gestorben ist.

Für die beiden jungen Frauen hat sich die Sicht auf ihr Leben durch dieses Ehrenamt verändert. „Man geht demütig mit ganz bestimmten Situationen um. Man freut sich manchmal richtig, wenn man das Gemotze der Kinder zu Hause hört“, sagt Sabine Hertweck. „Ich würde jeden Job aufgeben, aber diesen nicht!“

Info: Wer Interesse an der Arbeit hat, findet den Kontakt zu Sabine Hertweck und Diana Gruhl über Instagram @therapiebegleithundlbe. Hunde sollten absolut zuverlässig sein, keinen Knacks haben und niemanden beißen.