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Festakt
Juncker: Marx aus seiner Zeit verstehen

Festakt 200 Jahre Karl Marx
Jean-Claude Juncker: «Karl Marx war ein in die Zukunft hineindenkender Philosoph mit gestalterischem Anspruch.» Foto: Harald Tittel
Karl Marx muss aus seiner Zeit heraus verstanden werden. Darüber war man sich beim Festakt zum 200. Geburtstag von Marx einig. Ein neuer Blick auf ihn könne auch heute Antworten bringen.

Trier (dpa) - EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat davor gewarnt, Karl Marx für die Verbrechen des Kommunismus verantwortlich zu machen.

«Man muss Karl Marx aus seiner Zeit heraus verstehen», sagte Juncker am Freitagabend in Trier in der Konstantin-Basilika bei einem Festakt anlässlich der Eröffnung mehrerer großer Ausstellungen zum 200. Geburtstag des Denkers.

«Dass einige seiner späteren Jünger die Werte, die er formuliert hat und die Worte, die er zur Beschreibung dieser Werte gefunden hat, als Waffe gegen andere einsetzten, dafür kann man Karl Marx nicht zur Verantwortung ziehen.» Er sei ein «in die Zukunft hineindenkender Philosoph mit gestalterischem Anspruch» gewesen.

Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte bei dem Festakt vor etwa 1000 Gästen: «Die Verbrechen an Millionen von Menschen, die im 20. Jahrhundert in seinem Namen begangen wurden, können ihm nicht angelastet werden.» Heute habe man die Notwendigkeit erkannt, «Marx in seiner Zeit zu verorten und damit die historische Person und ihr Werk im historischen Kontext zu betrachten». Unmittelbar vor Beginn ihrer Rede wurde ein lautstark protestierender Zwischenrufer aus dem Gebäude geführt. Dreyer sagte: «Festakt hin oder her, es ist gut, dass man bei uns eine freie Meinung auch äußern darf.»

In Trier gibt es zum Geburtstag gleich drei große Ausstellungen, die von diesem Samstag an für Besucher offen sind. Im Zentrum steht die rheinland-pfälzische Landesausstellung «Karl Marx 1818-1883. Leben. Werk. Zeit.», bei der mehr als 400 Exponate aus elf Ländern in zwei Trierer Museen zu sehen sind. Zudem gibt es zwei Partner-Schauen im Museum am Dom und im Museum Karl-Marx-Haus, dem Geburtshaus von Marx.

Am Samstag wird eine große Karl-Marx-Statue enthüllt, die die Volksrepublik China der Stadt Trier zum Jubiläum geschenkt hat. Marx war am 5. Mai 1818 in Trier geboren worden und verbrachte die ersten 17 Jahre seines Lebens dort. Er gilt als geistiger Vater des Kommunismus und ist bis heute umstritten.

«Die Verhältnisse waren ungerecht, man konnte sich nicht in den damals herrschenden Frühkapitalismus verlieben», sagte Juncker. «Man kann sich auch heute noch nicht in einen blinden, besinnungslosen Kapitalismus verlieben. Ich jedenfalls nicht. Ich bin dafür, dass man Ungerechtigkeiten bekämpft. Dafür muss man nicht Marxist sein», sagte der Christdemokrat Juncker. «Alle Demokraten können und müssen das.» Marx habe sich für Gleichbehandlung eingesetzt, nicht für Gleichmacherei: «Das ist das Werk einiger seiner Erben.»

Der EU-Kommissionspräsident sagte, die in der EU formulierten sozialen Rechte müssten jetzt «lebendige Wirklichkeit» werden. «Die Europäische Union ist kein Fehlkonstrukt, aber ein wackeliges Gebäude. Unter anderem deswegen wackelig, weil die soziale Dimension bis heute das Stiefkind der europäischen Integration ist. Wir müssen das ändern.»

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte, Marx sei «die historische Leistung» nicht abzusprechen. Sie sei froh, dass man in den Trierer Ausstellungen den Denker differenziert betrachte. Das ganze Jubiläum sei «kein Jubelfeuer und kein Verdammen».

Der Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kurt Beck (SPD), berichtete, er spüre ein Löslösen «von bisherigen festen Meinungen und Positionen zu Marx». Es werde eher nach neuen Antworten auf dieselben Fragen gesucht.

Der Vizepräsident des Deutschen PEN-Zentrums, Ralf Nestmeyer, forderte in einem Brief von Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe eine Verschiebung der Enthüllung des Denkmals. Die Statue solle erst dann eingeweiht werden, wenn die chinesische Dichterin Liu Xia aus einem 2010 verhängten Hausarrest entlassen worden sei und ausreisen dürfe.

Heftige Kritik kam von der AfD: «Dem Kommunismus, der so viel Leid über viele Völker gebracht hat, sollte kein Denkmal gesetzt werden», hieß es in einer Erklärung des AfD-Bundesvorsitzenden Alexander Gauland vom Freitag.