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„Können nicht planen, dass wir drinbleiben“

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Foto: Baumann
Im November vergangenen Jahres unterschrieb Ralf Bader seinen Vertrag als neuer Trainer der SG BBM Bietigheim. Die Handballer lagen damals in der zweiten Liga gut im Rennen, doch die Saison war noch jung. Nachdem die SG den Aufstieg geschafft hat, geht es für Bader nun vom Drittligisten Neuhausen in die beste Liga der Welt.

Bietigheim-Bissingen. „Damit hat Bietigheim nicht gerechnet, also geht es dem Verein im Grunde wie mir“, sagt der ehemalige Bundesligaspieler. Warum die Saison auch im Falle eines Abstiegs zum Erfolg werden könnte, erklärt Bader im Interview mit unserer Zeitung. Am 26. August geht es für die SG mit dem Spiel bei der HSG Wetzlar los.

Wie sind Ihre Eindrücke nach den ersten Tagen mit der Mannschaft?

Ralf Bader: Neben den vielen Tests war mir in der ersten Woche wichtig, das komplette Spektrum abzudecken. Wir haben uns Angriff, Abwehr und Fitness schon angeschaut. Ich habe dabei positive Eindrücke gesammelt. Wir sind dieses Jahr sehr breit aufgestellt. Das war unser Plan, dass eventuelle Verletzungen uns nicht unnötig einen Punkt kosten, den wir vielleicht zum Überleben brauchen. Wir haben einen Kader, mit dem wir auch mal schwere Zeiten überstehen können, weil wir genug gute Spieler haben.

Ab welchem Zeitpunkt waren Sie in die Planungen der kommenden Saison einbezogen?

Eigentlich ab dem Punkt, an dem die Vertragsunterschrift stattgefunden hatte, wurde ich sofort einbezogen, was ich sehr positiv fand. Es war jedoch nicht so, dass ich alleine Entscheidungen treffen musste. Das wäre mir auch unangenehm gewesen, weil ich relativ weit weg war und Verein und Mannschaft nur von außen betrachtet habe. Es war von Anfang an ein Gremium, das über bestimmte Personalien diskutiert hat. Wir haben uns dann geeinigt, wie wir vorgehen.

Sie sagen, der Kader ist gut aufgestellt. Heißt das, es gibt keine weiteren Neuzugänge?

Unser Kader ist vollständig – auch wenn man natürlich niemals nie sagen sollte. Unser Plan ist auf jeden Fall nicht, bei den ersten Verletzungen gleich in die Not zu kommen, Leute nachverpflichten zu müssen. Es ist nicht einfach, kurzfristig Spieler zu finden, die uns weiterbringen und gleichzeitig ins Team und zur SG passen. Ich denke, die Erfahrung hat Bietigheim in der ersten Liga schon gemacht und daraus haben die Verantwortlichen gelernt.

Kann die SG mit dem derzeitigen Kader in der besten Liga der Welt bestehen?

Unser Kader ist sehr entwicklungsfähig, das sieht man am Alter. Auch auf den zentralen Positionen haben wir sehr junge Spieler. Wir haben vereinzelt Spieler, die etwas weiter sind und Erfahrung aus der ersten Liga mitbringen. Es gibt auf jeden Fall die Chance, den Klassenerhalt über die mannschaftliche Geschlossenheit schaffen zu können, und natürlich wollen wir in der 1. Liga bleiben. Das wichtigste Ziel ist aber, dass wir in zwei bis drei Jahren eine Mannschaft entwickelt haben, die in der ersten Liga dauerhaft bestehen kann. Das ist auch der Plan des Konzeptes 74321. Wir sind jetzt erst im zweiten Jahr und der Verein wirft durch den Aufstieg das mittelfristige Ziel nicht über den Haufen, was ich auch sehr gut finde.

Das heißt, das Konzept gilt auch im Falle eines direkten Wiederabstieges?

Wenn wir absteigen, muss das Umfeld das beurteilen können und sagen: die SG steht aber besser da als davor. Die ersten Spiele waren leistungsmäßig schlechter als am Ende. Dann sind wir auch zufrieden. Wir können es nicht planen, dass wir drinbleiben. Das ist zu schwierig.

In der ersten Bundesliga-Saison war Bietigheim vor allem körperlich unterlegen. Wurde darauf dieses Mal geachtet?

Wir haben Körperhöhe verpflichtet und haben nun drei Leute, die über zwei Meter groß sind. Darauf habe ich schon geschaut, vor allem im Innenblock. Ich werde weiter 6:0 decken wollen, das hat die Mannschaft im letzten Jahr gut gemacht. Ich darf sie da nicht verunsichern, indem ich alles umschmeiße. In der ersten Liga muss man einfach eine dementsprechende Größe mitbringen, das ist mir selber bekannt. Trotzdem sind aufgrund des Alters einige nicht voll körperlich ausgereift. Das ist unsere Aufgabe, da im Laufe des Jahres einen großen Schritt voranzukommen und daran arbeiten wir bereits mit zwei zusätzlichen Athletiktrainern.

Können Notverpflichtungen, wie Darko Stanic in der Saison 2014/15, die eigentlich nicht ins Konzept passen, dieses Mal vermieden werden?

Das ist das erste Ziel. Genau aus diesen Erfahrungen wurde der Kader zusammengestellt. Es wurde mir Rückendeckung gegeben, dass wir auch durch schwere Zeiten mit dieser jungen Mannschaft gehen, ohne sie auseinanderzureißen oder wild nachzuverpflichten.

Ihr Vorgänger Hartmut Mayerhoffer setzte vor allem auf den schnellen Tempohandball. Was zeichnet Ihre Spielphilosophie aus?

Es weicht nicht extrem von dem ab, was Hartmut gemacht hat. Mir ist wichtig: Die Abwehr muss immer das Prunkstück einer Mannschaft sein. Sonst kann man nicht erfolgreich sein. Extrem wichtig ist das Umschaltspiel und das beginnt zuallererst im Kopf. Ich lege großen Wert auf die kognitive Ausbildung der Spieler, dass wir uns die entscheidende halbe Sekunde nicht nur durch Athletik erarbeiten müssen, sondern im Kopf schneller sind als der Gegner.

Vorne ist mir wichtig, dass die Mannschaft einen klaren Plan hat. Dass wir wissen, was wir spielen und warum wir es spielen. Vor allem, wenn es nicht läuft, muss jeder genau seine Aufgabe kennen.

Sie haben als Spieler unter Trainerkoryphäen wie Rolf Brack und Kurt Reusch gespielt. Haben Sie davon etwas mitgenommen?

Da nimmt man sehr viel mit. Ich denke, ich habe, was Württemberg angeht, schwarz und weiß gehabt. Beide Trainer sind extrem unterschiedlich von ihrer Auffassung. Beide haben mir sehr viele positive Aspekte mitgegeben. Ich würde sagen, ich bin eine Mischung aus meinen Erfahrungen als Spieler. Rolf Brack war es extrem wichtig, alles extrem durchgeplant zu haben. Kurt Reusch legte Wert darauf, dass Spieler kreativ bleiben. Dass sie Spaß haben und auch selber in Kleingruppen Dinge entwickeln. Eine gesunde Mischung aus beiden Ansätzen kann einen gewissen Flow-Effekt hervorrufen, wobei eine Mannschaft auf einmal besser spielt, als sie eigentlich ist. Damit habe ich bisher gute Erfahrungen gemacht.

Ist es für Sie überraschend, nun von der dritten Liga direkt im Oberhaus durchzustarten?

In gewisser Weise schon. Hier im Süden habe ich wegen meiner Spielerkarriere schon noch einen Namen. Mir war aber wichtig, dass ich nicht aufgrund meines Namens sofort in eine Position gelobt werde, wo ich als Trainer eigentlich noch nicht hingehöre. Deshalb fing ich auch relativ tief an. Dass es innerhalb von drei Jahren jetzt so schnell nach oben geht, ist schneller, als ich es mir erhofft hatte. Mein Plan war ein Fünfjahresplan, jedes Jahr eine Liga aufzusteigen. Jetzt habe ich eine Liga übersprungen, aber damit hat die SG Bietigheim auch nicht direkt gerechnet zum Zeitpunkt meiner Verpflichtung. Also geht es dem Verein im Grunde wie mir – aber wir sind optimistisch und freuen uns sehr.

Mit welchem Gefühl gehen Sie an die neue Aufgabe?

Natürlich überwiegt die Motivation. Wenn wir das große Ziel Nichtabstieg schaffen, mit diesem langfristigen Plan im Hintergrund. Das wäre eine Sensation. Jeder Sportler giert nach so einem Erfolg. Da müssen wir befreit rangehen, aber auch wissen, dass eigentlich jeder Gegner besser dasteht als wir. Das macht es auf der einen Seite einfach. Schwierig wird es, wenn wir acht, neun Spiele nicht gewinnen. Dann wird sich auch zeigen, welcher Charakter in der Mannschaft steckt. Das wird interessant.

Gibt es Handlungsmuster, die man in einer solchen Situation anwenden könnte?

Ganz wichtig ist die psychische Vorbereitung. Dass man immer wieder die Jungs, da gehöre ich auch dazu, zurückholt auf den Boden, wo wir herkommen. Dass man weiß, welche Möglichkeiten man selbst und als Team hat. Man muss die Ergebnisse richtig einschätzen.

Sie kennen die Bundesliga aus Ihrer Zeit als Spieler. Was hat sich seither verändert?

Ich denke, die Spitze ist nicht mehr so stark wie früher. Das bedeutet, es ist spannender, da sieben oder acht Mannschaften das Potenzial haben, den Titel zu holen. Flensburg-Handewitt war für mich ein halbes Jahr lang eine Enttäuschung, auf einmal werden die Meister. Die Mitte ist breiter geworden. Der Übergang ist fließend und reicht ziemlich weit nach unten. Die Aufsteiger sind auch nicht mehr die „Dorfclubs“ wie noch vor zehn Jahren.

Wie sieht jetzt das Programm bis zum Saisonstart aus?

Seit Montag gibt es kein Abtasten mehr. Es wird richtig zugepackt und die Spieler hochbelastet. Wir müssen schnell zusammenfinden und Handball mehr trainieren, als andere Teams in der ersten Liga.