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Interview
„Spitzengehälter um die Hälfte kürzen!“

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350_0900_32036_schick2.jpg Foto: Baumann
„Es wird sich vieles ändern“, sagte Christoph Schickhardt gleich zu Beginn der Coronakrise vor einigen Monaten. Inzwischen kehrt der Sport zurück zur Normalität. Die Folgen der Pandemie aber werden die Vereine noch jahrelang spüren. „Im Amateur- und Profisport kommt es in solchen Krisen auf intakte Partnerschaften und gute Freunde an“, sagt der Ludwigsburger Sportrechtler im LKZ-Interview.

Ludwigsburg. Herr Schickhardt, die finanziellen Verluste, bedingt durch die Coronakrise, waren bei den meisten Sportvereinen gravierend. Wie reagieren Unternehmen und Sponsoren auf nichterbrachte Leistungen der Vereine?

Christoph Schickhardt: Ich bin total erstaunt und positiv überrascht über die geübte Solidarität. Ob Zuschauer, Dauerkarteninhaber, Werbepartner, Mitglieder, TV-Unternehmen – kaum einer besteht auf die komplette Durchsetzung seiner Rechte. Sicher hätte mancher sagen können: „Ich habe eine Bande gemietet für zwölf Monate. Zwei Monate wurde nicht gespielt und diese zwei Monate bezahle ich jetzt auch nicht.“ Dies wäre durchaus plausibel und rechtlich nachvollziehbar. Es ist aber fast nie passiert. Nur dank dieser Solidarität kommen Vereine, ob groß oder klein, durch diese Saison.

Wie lange kann das gut gehen?

Im ganzen Sport steht ab etwa September die große Bewährungsprobe noch bevor. Die großen Fragen sind: Wann kann der Sport wieder in der Halle oder im Stadion vor Zuschauern ausgeübt werden? An die Zuschauer knüpfen wesentliche Einnahmen an – Stadien- und Hallenwerbung, Sponsoring, Marketing und Eintrittskarten. Dies gilt vor allem für die Sportarten, die nicht durch TV-Gelder den größten Batzen abdecken. Der ganze Sport mit seinen Sponsoren hängt an diesem Tropf. Geht es der Wirtschaft gut, fließen die Sponsorengelder.

Haben Sie schon Signale, wie die Entwicklung sein wird?

Ich persönlich glaube nicht an volle Hallen und dichte Kurven in den Stadien in diesem Jahr, sondern eher an ein langsames Herantasten. Wenn wir in der zweiten Hälfte 2021, also zu Beginn der übernächsten Saison, wieder mit voll besetzten Stadien und Hallen rechnen können, wäre das ein großer Erfolg. Dies sage ich aber als Privatmann, vielleicht bin ich da auch etwas zu skeptisch.

Hat man diesen langen Atem?

Ich sehe da eine drastische Notwendigkeit, die Spielergehälter, bis zu den „Amateuren“ hin, zu kürzen. Wenn die Spitzengehälter etwa in der Bundesliga um bis zu 50 Prozent gekürzt würden, wird man das ertragen können. Das gilt erst recht für Berater- und Vermittlerkosten. Kein Verein soll sich über finanzielle Schwierigkeiten beschweren, die häufig zum Teil windigen Beratern und Vermittlern exorbitante Provisionen bezahlen, wie dies kürzlich veröffentlicht worden ist.

Borussia Dortmund hat in einer Saison allein 40,9 Millionen Euro an Berater gezahlt, der VfB Stuttgart hat laut DFL-Angaben über zwölf Millionen Euro für Spielerberaterhonorare ausgegeben.

Zwölf Millionen Euro… das muss man sich wirklich einmal vorstellen. Es wird offenbar einfach mit vollen Händen fremdes Geld rausgeworfen. Aber das betrifft nicht nur den VfB, sondern viele Clubs, die jetzt in der Krise gerne Teile dieses Geldes auf dem Konto zur Existenzsicherung hätten. Man muss sich einmal vorstellen, dass der vom VfB für Provisionen aufgewendete Betrag in der Größenordnung den gesamten Aufwendungen des Ligakonkurrenten SV Sandhausen für die gesamte Mannschaft und das Trainerteam entspricht. Da stimmt doch im Verhältnis irgendetwas nicht. Jeder dieser Berater hätte auch den hälftigen Betrag genommen, das Geschäft abgeschlossen und wäre immer noch gut bedient.

Währenddessen haben bei fast allen Vereinen die Spieler Gehaltskürzungen zugestimmt.

Ja, richtig. Die Mannschaftsräte haben eine große Bedeutung erlangt. So wurden intensive, vertrauensvolle Gespräche in Augenhöhe mit dem Management und dem Spielerrat geführt und gute Ergebnisse erzielt. Mario Gomez etwa hat in Stuttgart Maßstäbe gesetzt, weil er sich für junge und verletzte Spieler in diesen Verhandlungen eingesetzt hat, und hat damit einen großen Beitrag für die Ruhe in der Mannschaft geleistet. Ein guter Mannschaftsrat – ein Gewinner dieser Krise.

Was wäre, wenn aber keine Lösung gefunden werden sollte?

Es gibt durchaus Möglichkeiten im Arbeitsrecht, Verträge einseitig zu ändern, etwa wenn Erlöse dauerhaft aus TV oder Zuschauern wegbrechen. Das ist natürlich nicht einfach. Grundsätzlich trägt der Club als Unternehmer das Geschäftsrisiko. Wenn dies aber eine gewisse Intensität und Dauer erreicht hat, muss das Risiko auf beide Seiten verteilt werden. Dies fällt natürlich leichter, je mehr ein Spieler verdient.

Wäre die Einführung eines Salary Caps, also einer Gehaltsobergrenze, eine Lösung?

Schalke 04 hat ja einen Salary Cap von selbst für sich eingeführt. Dies ist total richtig. Ich bin aber grundsätzlich gegen von oben verordnete Zwangsmaßnahmen. In den USA wurde am meisten gesoffen, als der Alkohol verboten war. In Deutschland kann man dies überprüfen, wer aber will die russischen und türkischen Vereine kontrollieren. Es muss aufgepasst werden, dass die Spitzenclubs dadurch keine Wettbewerbsnachteile haben. Die Beschränkung sollte freiwillig aus Überzeugung erfolgen. Wenn die meisten relevanten Clubs es mitmachen, müssen die Spieler es auch akzeptieren.

Wie könnte das dann aussehen?

Die Spielergehälter könnten im oberen Bereich bis zur Hälfte reduziert werden. Das Gleiche gilt für Berater. Wenn ein Spieler bei einem führenden Club der Bundesliga in die Spitze über 12 Millionen Euro verdient und stattdessen irgendwann noch sieben, acht oder neun, wird er wohl nicht zur Fürsorge müssen. Es spielt gerade den Vereinen in Deutschland in die Karten, dass die intelligenten, umsichtigen Spieler merken, was sie an den deutschen Bundesliga-Clubs haben: Sicherheit, Bonität, pünktliche Gehaltszahlungen, tolle Stadien, gutes Gesundheitssystem, sichere Politik. Das wird immer mehr von Spielern und ihren Familien anerkannt.

Halten Sie Hilfen vom Staat für den Leistungssport für sinnvoll?

Man darf da nicht populistisch denken. Ein Club einer deutschen Profiliga hat genauso einen Anspruch wie das Malergeschäft oder der Automobilkonzern. Der Fußballclub ist ein Unternehmen. Es gibt gesetzliche Voraussetzungen, und die muss er erfüllen. Ich will es nicht überhöhen, aber der Fußball ist durchaus systemrelevant. Dennoch darf der Start nicht die Gehälter der Stars finanzieren. Es geht aber auch um viele Tausende Arbeitsplätze in den Geschäftsstellen. Dort arbeiten ganz normale Angestellte zu ganz normalen Gehälter. Denjenigen gehört der Schutz insbesondere.

Was heißt konkret gesetzliche Voraussetzungen?

Der Staat darf nur Geld ausgeben, wenn es eine gesetzliche Vorschrift gibt. Nehmen wir die SG Sonnenhof-Großaspach. Die haben als Dorf-Club ein ausgezeichnetes Jugendleistungszentrum mit Hunderten Jugendlichen. Dies ist gelebte Sozialarbeit. Jetzt steigen sie aus der 3. Liga ab. Sie haben nie Geld verschwendet oder große Stars beschäftigt. Solch ein Verein muss für eine Hilfe infrage kommen. Aber nicht für Clubs, die schon vor der Krise Geld verschwendet und missgewirtschaftet haben. Ich denke, der 1. FC Kaiserslautern beispielsweise kommt für eine öffentliche Hilfe eher nicht infrage. Für viele, auch im Fußball, war Corona nur ein Brandbeschleuniger. Die Geldverschwendung gab es schon vorher. Man tut jetzt so, als ob Corona an allem schuld wäre.

In den Ligen unterhalb der 3. Liga wurde die Saison abgebrochen. Nur die jeweils Tabellenersten sind aufgestiegen, Absteiger gab es keine. Viele Tabellenzweite fühlten sich aber benachteiligt. Zu Recht?

Die Verbände sind vor große Schwierigkeiten gestellt worden. Dass es da zu Unebenheiten kommt, ist klar. Da gibt es keine perfekte Lösung für alle.

Einige Vereine waren mit der Anwendung der sogenannten Quotientenregel nicht einverstanden.

Diese Quotientenregel sehe ich auch kritisch. Insbesondere wenn der Tabellenerste doch nicht aufsteigt. Es ist aber eine Lösung, die in sich schlüssig und plausibel ist. Man kann es einfach nicht allen recht machen in dieser Krise. Jeder erklärt für sich wortreich, dass er besonders benachteiligt wird. Wenn dies alle tun, spricht das für eine eher generelle Lösung.

Eine Klage wäre also ohne Erfolgsaussichten?

Eindeutig. Wir haben sehr viele Anfragen erhalten, nehmen aber grundsätzlich nur Fälle an, die wir auch gewinnen können. Es haben sogar Vereine angefragt, die wissen wollten, was passiert, wenn die Saison zu Ende gespielt wird und sie auf einem Abstiegsplatz liegen. Ich sehe da kaum Möglichkeiten, den Klassenverband trotzdem durchzusetzen.

Gehen aus der Coronakrise auch Gewinner hervor?

Ein großer Gewinner dieser Krise sind die Fans. Ich selbst habe ein sehr kritisches Verhältnis, insbesondere zu den Ultras. Auch wurde ich schon im Stadion auf Plakaten kritisiert. Aber die Fans, auch die Ultras, haben für mich ungeheuer gewonnen. Sie haben sich total an die Regeln gehalten, unheimlich viele soziale Dinge geleistet und sich nirgendwo versammelt. Ich bin mir sicher, dass die Liga abgebrochen worden wäre, wenn es zu großen Fan-Ansammlungen gekommen wäre.

Diese Signale haben Sie gesehen?

Ja. Auch ich habe gelernt. Ich würde heute nicht mehr, wie noch im Februar, sagen, dass man Ultras zu Hause abholen und in die Zelle bringen sollte, wenn sie sich falsch verhalten. Die VfB-Fans haben auf diese – dumme – Äußerung von mir witzig und kreativ reagiert, nämlich mit einem Plakat, dass man mich von zu Hause abholen und in eine Jura-Bibliothek sperren sollte.