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Fachkräfte fehlen überall

Die Diskussionsrunde bei der Veranstaltung in Kornwestheim von links: Ralf Hofmann, Ralf Greis, Oliver Reichert, Sigrid Zimmerling, Ursula Keck, Alexander Rossmann und Daniel Geigis. Foto: Ramona Theiss
Die Diskussionsrunde bei der Veranstaltung in Kornwestheim von links: Ralf Hofmann, Ralf Greis, Oliver Reichert, Sigrid Zimmerling, Ursula Keck, Alexander Rossmann und Daniel Geigis. Foto: Ramona Theiss
Expertenrunde: Deutschland verschläft die Digitalisierung und verliert Innovationskraft

Kornwestheim.. „Die Zukunft der Arbeit in der digitalen Transformation“ lautet der Titel der hybriden Veranstaltung, die als Auftakt der neuen Eventreihe „Executive Talk – Impulse für die digitale Wirtschaft“ im Salamanderareal stattfindet. Zu diesem Format wird die Knowledge Foundation, die Weiterbildungsstiftung der Hochschule Reutlingen, unter verschiedenen Fragestellungen regelmäßig Führungskräfte aus Wirtschaft, Bildung und Politik einladen.

Bei der Premiere halten MHP-Geschäftsführer Ralf Hofmann und Alexander Rossmann – der Informatikprofessor leitet das Herman-Hollerith-Zentrum in Böblingen – kurze Impulsreferate, bevor die beiden in großer Runde mit der Kornwestheimer Oberbürgermeisterin Ursula Keck sowie Oliver Reichert, dem Wirtschaftsförderer des Landkreises Ludwigsburg, Sigrid Zimmerling, Geschäftsführerin der IHK-Bezirkskammer Ludwigsburg, und Ralf Greis, dem Vorsitzenden der Kommission Zukunft, Personal und Arbeitswelt im Senat der Wirtschaft Deutschland, über neue Arbeitswelten diskutieren. Der Senat der Wirtschaft Deutschland versteht sich laut Greis als „Denkfabrik“ und Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik.

MHP-Geschäftsführer Hofmann sieht den Fachkräftemangel im digitalen Bereich als massive Bedrohung für die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft. Im Jahr 2019 hätten 124000 offene Stellen im IT-Bereich nicht besetzt werden können. „Das ist ein ernsthaftes Problem“, so Hofmann. „Wir bilden nicht genug aus, obwohl uns bewusst ist, dass Wissen der Rohstoff unserer Zukunft ist.“ Der MHP-Chef ist ständig auf der Suche nach Experten, wird aber nur schwer fündig. Er vergleicht die Situation auf dem Arbeitsmarkt mit dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“. Mit dem Unterschied, dass es viel mehr freie Stühle als Spieler gebe. Gute IT-Kräfte hätten die freie Wahl, könnten in San Francisco oder Schanghai arbeiten. Zuwanderung sei deshalb wohl keine Lösung. „So attraktiv ist Deutschland nicht“, sagt Hofmann. „50 Prozent Steuern und Abgaben, die Sprache, ein Inder muss acht Monate auf ein Visum warten. Da gehen die Leute lieber nach England oder in die USA, das dürfen wir nicht unterschätzen.“

Alleine der Automobilindustrie fehlten 20000 bis 30000 IT-Spezialisten. Deren Neigung, bei VW in Wolfsburg anzufangen, sei gering ausgeprägt. „Wolfsburg ist einfach kein guter Standort“, meint Hofmann. BMW habe versucht, 1000 Fachkräfte nach München zu locken – vergeblich. „Die haben’s aufgegeben und sind nach Portugal gegangen. Wenn die Welt digital wird, brauchen wir auch die Leute, die sie digital machen.“

Der demografische Wandel verstärke die Probleme zusätzlich, ergänzt IT-Professor Rossmann. „Die Baby-Boomer gehen in Rente. Gleichzeitig entstehen neue Arbeitsfelder, für die wir kein Personal mit den entsprechenden Fähigkeiten haben.“ Für Unternehmen sei es deshalb eine zentrale Herausforderung, künftige Arbeitsfelder ausfindig zu machen und die eigenen Mitarbeiter weiterzubilden. Dabei müsse nicht nur das Personal von Anfang an ins Boot geholt werden. „Häufig gibt es gute Ideen, wie man die Leute weiterqualifizieren will“, hat Rossmann beobachtet. „Aber es gibt keinerlei Konzept, wie parallel die Unternehmensorganisation weiterentwickelt werden soll.“

Laut einer aktuellen Umfrage sehen 62 Prozent aller Unternehmen im Landkreis Ludwigsburg den Fachkräftemangel als größtes Risiko für die Zukunft, berichtet IHK-Chefin Zimmerling in der abschließenden Diskussionsrunde. Die Transformation der Wirtschaftswelt vollziehe sich in hohem Tempo, „da müssen wir an der einen oder anderen Stelle das Bewusstsein schärfen“. Bei der Gestaltung des Transformationsprozesses hänge viel von der Geschäftsleitung ab, betont Wirtschaftsförderer Reichert. „Es gibt Chefs, die frühzeitig erkennen, wo die Reise hingeht, die sich was trauen und investieren. Das sind dann auch die Unternehmen, die in Zukunft besser dastehen werden.“

Es brauche neue Lösungsmodelle, meint der Kommissionsvorsitzende Greis. Denn der Fachkräftemangel beschränke sich keineswegs auf die Automobilindustrie, sondern betreffe genauso das Handwerk und den gesamten gewerblichen Bereich. „Die stehen vor noch viel größeren Problemen.“ Oberbürgermeisterin Keck befürchtet, dass bei der anstehenden Transformation viele Arbeitnehmer auf der Strecke bleiben werden. „Wir erreichen diese Menschen nicht mehr, weil sie nicht an die digitale Arbeitswelt angeschlossen sind.“