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Großdemonstration in Hongkong
30. Jahrestag des Massakers: China verteidigt Militäreinsatz

Panzer
Allein gegen die Panzer: Ein Mann stellt sich auf dem Changan Blvd. am Platz des Himmlischen Friedens, einem ganzen Konvoi entgegen. Foto: Jeff Widener/AP Foto: dpanitf3
Verwüstung in Peking
Rauchsäulen, Verwüstung und ratlose Menschen am 4. Juni 1989 auf der Changan Avenue in Peking. Foto: Kyodo News
Studenten protestieren
Wenige Wochen vor dem Massaker: Studenten protestieren auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Foto: Edgar Bauer
Peking
Der Tag des Massakers: Demonstranten auf einem gepanzerten Militärfahrzeug am Tiananmen, dem Platz des Himmlischen Friedens. Foto: Jeff Widener/AP
Platz des Himmlischen Friedens
Zivilisten treffen am 3.6.1989 auf Soldaten am Tiananmen, dem Platz des Himmlischen Friedens. Foto: Jeff Widener/AP
Studentenführer Wu'er Kaixi
Nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 stand Wu'er Kaixi auf Platz zwei der Liste mit den meistgesuchten Studentenführern. Er konnte flüchten und lebt seither in Taiwan. Foto: Andreas Landwehr Foto: dpanitf3
Leutnant Li Xiaoming
Der frühere chinesische Leutnant Li Xiaoming gehörte am 4. Juni 1989 zu den Truppen, die die demonstrierenden Studenten vom Platz des Himmlischen Friedens räumen mussten. Foto: Andreas Landwehr
Totenstille in China, Gedenken in Hongkong. Die Führung in Peking will das Massaker vom 4. Juni 1989 vergessen machen - und verteidigt den Weg, den China damit eingeschlagen hat. Der Ton wird aggressiv.

Hongkong/Peking (dpa) - Am 30. Jahrestag des Tian'anmen-Massakers haben in Hongkong Zehntausende der Opfer der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in China gedacht.

Die Führung in Peking verteidigte dagegen am Dienstag den Militäreinsatz in der Nacht zum 4. Juni 1989. Das Außenministerium wies auch Kritik an der Menschenrechtslage durch die USA und die EU als «Einmischung in innere Angelegenheiten» zurück. Mit scharfen Sicherheitsvorkehrungen wurde in China jedes öffentliche Gedenken im Keim erstickt.

«Was die politischen Unruhen Ende der 80er Jahre angeht, hat die chinesische Regierung schon vor langer Zeit klare Schlüsse gezogen», sagte Außenamtssprecher Geng Shuang. Chinas Erfolge zeigten, dass der gewählte Pfad der Entwicklung «völlig korrekt» sei. Kritik von US-Außenminister Mike Pompeo, der die Opfer gewürdigt hatte, wies der Sprecher als «boshaften Angriff» auf Chinas politisches System zurück. «Diese idiotischen und geschwafelten Worte sind dazu bestimmt, in den Mülleimer der Geschichte geworfen zu werden.»

Hunderttausende hatten im Frühjahr 1989 wochenlang für Demokratie, Freiheit und den Kampf gegen Korruption demonstriert. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tian'anmen) traten Studenten in den Hungerstreik, während ein Machtkampf die Führung lähmte. Der reformerische Parteichef Zhao Ziyang hegte Sympathien für die Studenten, doch setzten sich die Hardliner und der «starke Mann» Deng Xiaoping durch, der die Truppen rief. Mindestens Hunderte Menschen kamen ums Leben.

Die genaue Zahl ist unbekannt. Tausende wurden verletzt und inhaftiert. Heute ist der Militäreinsatz ein Tabu.

Nur in Hongkong kann jedes Jahr mit einer Kerzenandacht der Opfer gedacht werden. Die Organisatoren schätzten 180.000 Teilnehmer - mehr als in den Spitzenjahren 2012 und 2014. Doch sprach die Polizei in Hongkong, die allerdings häufig sehr niedrig schätzt, nur von 37.000.

«Solange wir die Freiheit haben, uns für das chinesische Volk zu erheben, werden wir es tun», sagte die Teilnehmerin Angie Yuen.

Die Demonstration fand besonders starken Zulauf, weil die Atmosphäre in Chinas Sonderverwaltungsregion aufgeheizt ist. Die Haftstrafen für demokratische Aktivisten und Pläne für ein umstrittenes Auslieferungsgesetz mobilisieren die sieben Millionen Hongkonger. Es würde zulassen, Verdächtigte auf Ersuchen chinesischer Stellen in die Volksrepublik auszuliefern, obwohl dessen Justizsystem nicht unabhängig ist und auch politischer Verfolgung dient.

Die Bewohner der Sonderverwaltungsregion Chinas genießen größere politische Freiheiten als die Menschen in der Volksrepublik. Seit der Rückgabe 1997 wird die frühere britische Kronkolonie nach dem Grundsatz «Ein Land, zwei Systeme» unter Chinas Souveränität autonom regiert. Da aber in Hongkong der Ruf nach Demokratie und Eigenständigkeit lauter wird, verstärkt Peking den Griff zunehmend.

US-Außenminister Pompeo sagte, die USA hätten in den Jahrzehnten nach dem Massaker gehofft, «dass Chinas Integration in das internationale System zu einer offeneren, toleranteren Gesellschaft führen würde.» Diese Hoffnungen hätten sich aber zerschlagen. Er hob die Opfer hervor: «Ihr heldenhafter Mut hat als Inspiration für künftige Generationen gedient, die auf der ganzen Welt Freiheit und Demokratie forderten, angefangen mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kommunismus in Osteuropa in den darauf folgenden Monaten.»

Ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften in Uniform und Zivil am Tian'anmen-Platz verhinderte jede Aktion zum Gedenken an die Opfer. Polizisten kontrollierten Autos. Auf dem Fußweg mussten sich Passanten ausweisen. Mannschaftswagen sowie Busse standen bereit. Lange Schlangen von Besuchern standen an den Sicherheitskontrollen zum Platz, der aber wie üblich von Touristen bevölkert war.

Vor dem Jahrestag waren Aktivisten und Angehörige der Opfer festgenommen, unter Hausarrest gestellt oder zwangsweise «in die Ferien» aus Peking weggebracht worden. Die «Mütter von Tian'anmen», ein Netzwerk der Familien der Opfer, forderten eine ehrliche Aufarbeitung des Militäreinsatzes, eine Liste der Getöteten, Entschädigung für Familien und die Bestrafung der Verantwortlichen. «Wie können diese zahlreichen Mörder am Ende dem Urteil der Geschichte entkommen?», hieß es in einem offenen Brief.

Der damalige Studentenführer Wu'er Kaixi, der heute im Exil im demokratischen Taiwan lebt, forderte in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Taipeh internationale Sanktionen gegen Chinas Führungselite. Mit der wachsenden Bedrohung durch das diktatorische System in China für die Welt seien alle Staaten gefordert. Wie einst gegenüber Nazi-Deutschland halte sich die internationale Gemeinschaft aber heute auch gegenüber Peking zurück, beklagte Wu'er Kaixi. «Machen wir uns nichts vor: Es ist Beschwichtigungspolitik.»

In der Vergangenheit hätten die demokratischen Kräfte im Exil vom Westen nur Unterstützung gefordert, während sie sich selbst um die Demokratisierung in China kümmern wollten. «Heute, so muss ich sagen, hat sich das Spiel geändert», sagte Wu'er Kaixi. In der globalisierten Welt müsse jeder Verantwortung übernehmen, um China demokratisch und frei zu machen. «Es geht um unser aller Zukunft.»

Die Welt hat laut Wu'er Kaixi zugelassen, dass Chinas Führung ihr Volk unterdrücke. Genauso werde toleriert, wie Peking eine große Firewall im Internet betreibe, um seine Onlineriesen zu fördern, die auf dem freien Weltmarkt als starke Konkurrenz anträten. Auch nutze China die Welthandelsorganisation (WTO) aus, um Marktzugang zu bekommen, ohne seine eigenen WTO-Verpflichtungen zu erfüllen.

Der Studentenführer schlug vor, Sanktionen gegen 200 bis 300 mächtige Familien der Führungsclique Chinas zu verhängen. «Friert ihr Vermögen im Ausland ein, verwehrt ihnen die Visa, hebt ihren Einwanderungsstatus auf», forderte der Aktivist. «Wenn sie eine Million Uiguren in Konzentrationslagern festhalten, ist alles gerechtfertigt», sagte Wu'er Kaixi, der selbst der in Xinjiang im Nordwesten Chinas beheimateten muslimischen Minderheit angehört.

«Es ist empörend. Aber wo ist die Empörung?», sagte der Aktivist. Er kritisierte, dass sich die westliche und auch die muslimische Welt mit Kritik an der Unterdrückung der Uiguren zurückhalte. Chinas Regierung bestreitet die Existenz der Lager nicht, spricht aber von Zentren zur Ausbildung und Umerziehung gegen Extremismus.

Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt berichtete, wie sie die Ereignisse in der DDR am Bildschirm erlebt hatte: «Für uns war das eine der furchtbarsten Erfahrungen.» Die Opposition in der DDR und anderen osteuropäischen Ländern habe gerade angefangen, sich zu vernetzen und zu überlegen, wie man für Freiheitsrechte sorgen könne. Deswegen sei es eine «deprimierende, eine furchtbare Erfahrung» gewesen, dass «Tausende Menschen niedergeschossen» worden seien.