1. Startseite
  2. Überregionales
  3. Stuttgart & Südwest
Logo

Ausnahmesituation: Schulen und Kitas schließen

Leere Stühle in einem Klassenzimmer
Leere Stühle in einem Klassenzimmer einer Grundschule. Foto: picture alliance / dpa/Archivbild
Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, greift die Regierung zu drastischen Maßnahmen: Alle Schulen und Kitas werden bis Ostern geschlossen, Altenheime und Krankenhäuser weitgehend isoliert. Die Zwangsferien haben massive Folgen, nicht nur für die Eltern.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Es ist ein Kampf gegen einen unsichtbaren Feind - und gegen die Zeit: Wegen der Coronavirus-Pandemie und nach zwei weiteren Virustoten in Baden-Württemberg schränken Land und Kommunen das gesellschaftliche und öffentliche Leben im Südwesten drastisch ein. Von Dienstag an sind alle Schulen, Kitas und Kindergärten geschlossen. Für Alten- und Pflegeheime sowie für Krankenhäuser gilt ein weitgehendes Besuchsverbot. Öffentliche Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmern in geschlossenen Räumen werden ab sofort untersagt. Das hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach einer Sondersitzung seines Kabinetts am Freitag in Stuttgart angekündigt.

Kretschmann und seine Kabinettskollegen nutzten deutliche Worte für ihre Botschaften: von einem «Kraftakt» war die Rede, von einer «Ausnahmesituation» und «harten Einschnitten». «Jeder Einzelne von uns ist aufgefordert, mögliche Einzelinteressen hinten anzustellen», sagte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). «Der Schutz der Bevölkerung steht jetzt an oberster Stelle.»

Am Montag findet demnach der Schulbetrieb noch regulär statt, um einen geordneten Übergang zu ermöglichen. Schulen und Lehrer müssten noch Zeit haben, den Schülern Vorbereitungsinhalte, Lernpakete, Aufgaben oder Lernpläne zusammenzustellen und zu übermitteln. Die Schulen sollen dann erst nach den Osterferien wieder öffnen. Verbände und Vertreter von Eltern und Lehrern lobten die Entscheidung der Regierung, forderten aber auch schnelle Antworten auf offene Fragen.

«Die Schülerinnen und Schüler werden keinen Nachteil erleiden», sagte Eisenmann. Sie versprach «flexible und pragmatische Lösungen». Alle anstehenden Abschlussprüfungen werde man gewährleisten. Man arbeite an verschiedenen Szenarien und Notfallplänen, teilte Eisenmanns Ministerium mit. Man prüfe in Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden die Möglichkeit für Prüfungen in kleinen Gruppen auch während der Schließungen. Eine weitere Option sei, in diesem Jahr verstärkt flexible Nachtermine anzubieten.

Auch zahlreiche andere Bundesländer kündigten am Freitag an, landesweit alle Schulen und Kindertagesstätten zu schließen. «Es wird Dinge geben, die individuell gelöst werden müssen», warnte Eisenmann. Dazu gehöre auch ein Teil der nun wichtigen Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Das Land plant aber eine Notfallbetreuung vor allem für Kinder von Beschäftigten in kritischen Infrastrukturen - wenn also zum Beispiel beide Eltern Polizisten, Feuerwehrleute, Ärzte oder Pfleger sind. «Unser Ziel muss sein, die öffentliche Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten», sagte Eisenmann.

Bislang sind drei infizierte Menschen in Baden-Württemberg gestorben. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums meldeten die Landkreise am Freitag den Tod eines 1935 geborenen Mannes aus dem Kreis Göppingen und eines 80 Jahre alten und vorerkrankten Rheumapatienten aus Wendlingen. Bereits vor mehr als einer Woche war ein 67 Jahre alter Mann in Remshalden gestorben, der ebenfalls das Virus in sich trug. Die Zahl der bestätigten Infektionen stieg im Laufe des Freitags um mindestens 115 Fälle auf insgesamt 569 Kranke.

Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) bezeichnete das Vorgehen gegen das Virus als eine «gesamtgesellschaftliche Aufgabe von höchster Dringlichkeit». Auch Kretschmann schwor die Menschen im Land auf die drastischen Veränderungen in ihrem Alltag ein: Alle müssten für «erhebliche Zeit auf Dinge verzichten, die wir gerne machen - wie Opernbesuche, Bundesligaspiele oder Familienfeiern», sagte er.

Lucha rief dazu auf, in der Notsituation soziale Kontakte einzuschränken und Großeltern nicht für die Kinderbetreuung einzuplanen. Ältere Menschen müssten geschützt werden. Das oberste Ziel müsse es sein, den Anstieg der Infektionen zu verlangsamen und das Gesundheitssystem zu entlasten, bis es einen Impfstoff gebe.

Zunehmend wird versucht, auch mögliche Infektionen aus dem Ausland zu verhindern. Baden-Württemberg will die Grenze zu Frankreich wegen des grassierenden Coronavirus strenger überwachen. «Es gehört jetzt auch dazu, dass wir dort, wo es notwendig ist, den internationalen Grenzverkehr stärker kontrollieren», sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU). «Insbesondere an der Grenze zu Frankreich werden die Bundespolizei und die Landespolizei Baden-Württemberg die Grenzkontrollen verstärkt intensivieren.» Es werde Einschränkungen im Grenzverkehr geben - das sei eine «zwingend notwendige Maßnahme».

Auch die Bahn zieht Konsequenzen für den Schienenverkehr nach Italien. Die regelmäßig fahrenden EuroCity-Express-Züge (ECE) von Frankfurt am Main durch Baden-Württemberg über Offenburg und Freiburg nach Basel und Mailand fallen von sofort an aus, teilte die Deutsche Bahn mit. Direktverbindungen nach Italien gebe es nun nicht mehr. Die Bahn reagiere damit auf entsprechende Anordnungen der Behörden. Diese gelten voraussichtlich bis zum 3. April. Italien ist Coronavirus-Risikogebiet.

Das Verkehrsministerium riet am Freitag zu umsichtigem Verhalten im öffentlichen Personennahverkehr. Insbesondere sollten Risikogruppen gemäß den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts unnötige Fahrten vermeiden.

Um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie aufzufangen, sollen betroffene Unternehmen in Baden-Württemberg so schnell wie möglich umfassende Hilfe bekommen. «Insbesondere braucht es jetzt rasch eine schlagkräftige Kombination aus Kurzarbeitergeld, bewährten Liquiditätshilfen und zinslosen Steuerstundungen», sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) nach einem Treffen mit den Spitzen von Arbeitgebern und Gewerkschaften, Kammern und Verbänden und der Arbeitsagentur. Es gelte, sich einer drohenden Welle von Insolvenzen entgegenzustellen, betonte sie.

Die Schulschließungen treffen nicht nur Eltern, die sich um die Betreuung ihrer Kinder kümmern müssen, sondern auch Arbeitgeber schwer. Aus Sicht des Landeselternbeirates ist die Entscheidung zur pauschalen Schließung zwar richtig, das Land sei aber absolut nicht vorbereitet. «Wir haben keine Möglichkeiten, auf digitale Bildungsangebote auszuweichen, weil wir nach wie vor in der Steinzeit sind», kritisierte der Vorsitzende Carsten Rees. Der Elternbeirat erwarte umfassende Antworten von der Regierung.

Nach Ansicht der Gymnasiallehrer hätte der Beschluss deutlich früher kommen müssen. «Das Bewusstsein für den Ernst der Lage ist bei der Landesregierung erst langsam gereift», sagte Ralf Scholl, der Vorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg. Die Schulen hätten zu lange für sich und unterschiedlich entschieden. Die Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Doro Moritz, rief dazu auf, die getroffenen Entscheidungen zu akzeptieren «und die Verwaltung an diesen ungewöhnlichen Herausforderungen arbeiten zu lassen». Die zusätzliche Schulpause könne genutzt werden, um die Hygiene an den Schulen zu verbessern.