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Interview
FW-Fraktionschef Rainer Gessler im Interview zur Lage der Abfallwirtschaft im Kreis: „Das ganze Land schaut nach Ludwigsburg“

Der AVL-Aufsichtsrat muss die Probleme mit Alba und den Dualen Systemen aufarbeiten, sagt Rainer Gessler. Archivfoto: Holm Wolschendorf
Der AVL-Aufsichtsrat muss die Probleme mit Alba und den Dualen Systemen aufarbeiten, sagt Rainer Gessler. Foto: Holm Wolschendorf
Monatelang chaotische Verhältnisse bei der Müllabfuhr, der unerquickliche Streit um die blaue Tonne, die Müllgebühren ein Thema für Baden-Württembergs höchstes Verwaltungsgericht – die Abfallwirtschaft im Kreis gleicht einem weiten Problemfeld. Wir sprachen darüber mit dem Chef der größten Kreistagsfraktion, Rainer Gessler von den Freien Wählern.

Kreis Ludwigsburg. Der Stadt- und Kreisrat aus Markgröningen ist einer der erfahrensten Abfallpolitiker des Landkreises. Seit 1994 gehört er auch dem AVL-Aufsichtsrat an und war daher schon an der Aufarbeitung des großen AVL-Skandals nach 1996 beteiligt.

Herr Gessler, 25 Jahre nach dem AVL-Skandal häufen sich im Landkreis die Probleme in der Abfallwirtschaft, das Image des Landkreises und der AVL nimmt erneut Schaden. Wie erklären Sie sich das?

Rainer Gessler: Das ist sicherlich dadurch mitbegründet, dass wir für die Einsammlung von Rest- und Biomüll seit Jahresbeginn ein neues Unternehmen haben und zum gleichen Zeitpunkt das Sammelsystem von Wertstoffen ändern mussten. Letzteres zwar mit bekannten Playern, aber unter neuen Voraussetzungen, Stichwort blaue und gelbe Tonne und Papiertonne.

Sie beschreiben damit zwei zentrale Problembereiche. Die praktische Lösung hat aber in beiden Fällen nicht gut funktioniert. Haben der Landkreis und die AVL einfach Pech gehabt oder gab es auch eigene Fehler?

Ich fange bei Rest- und Biomüll an. Es ist erstaunlich, dass sich da Anfangsschwierigkeiten in dieser Dimension eingestellt haben. Das hätten wir alle von einem renommierten Unternehmen, das auch in vielen Landkreisen in Baden-Württemberg aktiv ist, so nicht erwartet.

Wir reden vom Berliner Branchenriesen Alba...

Ja. Wir sind davon ausgegangen, dass sie sich genau mit der Situation bei uns beschäftigen, auch mit schwierigeren Fragen wie dem Bereich der Vierrad-Tonne. Aber es hat ja selbst mit dem zweiwöchentlichen Abholen der einfachen Restmülltonnen über Monate nicht geklappt.

Richtig gut klappt es immer noch nicht!

Das ist richtig. Es ist zwar erheblich besser geworden, läuft aber noch nicht rund. Insbesondere im Problembereich Vierrad-Tonne bekommen wir immer noch viele Klagen. Da muss weiter nachgearbeitet werden, und zusammen mit der AVL wird daran auch gearbeitet, damit das wieder funktioniert.

Beim Biomüll beginnt jetzt, wie immer im Frühjahr, wieder der wöchentliche Leerungsturnus. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass das jetzt funktioniert? Alba hat den Start ausgerechnet auf den 15. April datiert. Also auf Karfreitag, und auch in Berlin kommt an diesem Tag sicher keine Müllabfuhr.

Ich bin in großer Sorge, wenn man den Start der Biomüllsammlung jetzt zu einem Feiertag ankündigt und ich die bisherigen Erfahrungen mit Alba hinzunehme. Sie müssten ja jetzt zusätzliche Fahrzeuge haben, um die wöchentliche Abfuhr beim Biomüll zu bewerkstelligen. Da bin ich sehr gespannt. Ich hoffe, dass es klappt, aber die Erfahrungen der letzten Monate sprechen leider nicht dafür.

Wie duldsam sind Sie denn noch?

Wir müssen im Mai oder Juni im AVL-Aufsichtsrat und den anderen Gremien einen Rückblick auf das Thema in Angriff nehmen. Wir müssen das alles in unseren Gremien diskutieren und die Situation so beleuchten, wie sie in den ersten vier, fünf Monaten dieses Jahres war, und betrachten, welches Niveau erreicht wurde. Es gibt aber sicher auch Sanktionsmöglichkeiten.

Über deren Umfang der Landrat öffentlich lieber schweigt. Kommen wir zum Thema Verpackungsabfälle. Wie zufrieden sind Sie mit dem Kompromiss im Streit um den Tausch blaue Tonne für Glasbox?

Grundsätzlich bin ich erst einmal froh, dass der Tausch vom Korb zur Tonne jetzt möglich ist. Eigentlich hätte das ohne Probleme von Anfang an möglich sein sollen. So war es im Vertrag vorgesehen. All die Begleiterscheinungen und einige Ergebnisse des jetzt erzielten Kompromisses sehe ich daher kritisch. Mich ärgert beispielsweise, dass eigentlich geplant war, im Landkreis 21000 blaue Tonnen zu verteilen. Wie wir wissen, wurden aber wohl nur 14000 ausgegeben. Sicher ist die eine oder andere Tonne in den letzten Monaten noch im Tausch gegen einen Korb ausgeliefert worden. Aber ich nehme nicht an, dass inzwischen das komplette Kontingent im Sinne der Bürger ausgeschöpft wurde. Auch wenn dieses ursprüngliche Kontingent von 21000 Tonnen nur eine Schätzgröße war, so war es doch eine, die zugleich eine Kalkulationsgröße hätte sein müssen. Ich gehe davon aus, dass die Dualen Systeme auch mit diesen Größen kalkuliert haben.

Die Antragsfrist für den Behältertausch endet dem Kompromiss zufolge ja am 15. Juni. Sprich: Wer danach neu in den Landkreis zieht oder innerhalb des Kreises umzieht, hat keine Wahl mehr zwischen Glasbox und Tonne, der Behälter wird ihm schlicht zugeteilt...

Über dieses Thema müssen wir uns nochmals unterhalten. Natürlich müssen wir verhindern, dass Neubürger keine Chance haben, vom Korb zur Tonne zu kommen. Das System muss für neu Zugezogene auch in Zukunft durchlässig sein. Wir setzen darauf, dass man sich auch darüber in den Gremien nochmals unterhält, dass wir dann Zahlen auf dem Tisch haben und solche Fragen klären können.

Nun handelt es sich im Fall der Neubürger nicht mehr um große Zahlen, die auf einen Schlag zu bewältigen sind. Jetzt aber steht erst einmal ein großer, wohl über mehrere Monate dauernder Behältertausch bevor. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass die beteiligten Entsorger das jetzt anstandslos abwickeln?

Wir müssen erst einmal bis Juni abwarten, wie viele Anträge wirklich eingehen. Ich denke und hoffe, dass die bevorstehende Tauschaktion auch klappen wird. Nach den ersten Informationen, die wir von Bürgern bekommen, scheint es zu funktionieren – auch wenn der Start vonseiten der Dualen Systeme und ihrer Entsorger nicht in Ordnung war. Natürlich können wir nie ganz sicher sein, wie es dann im September aussieht. Wir müssen abwarten, was konkret passiert.

Es gibt in der Abfallwirtschaft des Landkreises noch eine dritte Großbaustelle: die Müllgebühren. Die Normenkontrollklage des Initiativkreises Müllgebühren Ludwigsburg gegen die Gebührensatzungen 2021 und 2022 ist inzwischen beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim anhängig. Wie sicher sind Sie denn, dass die Gebührensatzung der Klage diesmal standhält?

Das entscheidet allein das Gericht. Ich habe die Klagen der Bürgerinitiative vor 25 Jahren auch schon erlebt. Das Ergebnis kennen wir.

Die zweimalige Niederlage des Landkreises… Der Streit geht diesmal darum, ob allein die Privathaushalte über ihre Müllgebühren für die Millionenkosten der Deponienachsorge bezahlen müssen oder nicht. Die Altlasten dort hat ja zu einem sehr großen Teil die Industrie des 20. Jahrhunderts und nicht die Privathaushalte verursacht. Wie immer das juristisch ausgeht: Politisch ist das Anliegen dieser Klage doch verständlich?

Dass man diese Frage stellt, dafür habe ich volles Verständnis. Ich bitte aber auch um Verständnis dafür, dass die Gerichte darüber entscheiden werden.

Sollten die im Sinne der Bürgerinitiative entscheiden, dann hätte das massive Folgen. Dann ist nicht nur die Gebührensatzung des Landkreises Ludwigsburg nichtig, sondern dann hat das Konsequenzen fürs ganze Land.

Das ist dann eine Frage an den Gesetzgeber und die Ministerien. Ich möchte darüber nicht spekulieren. Dazu können im Augenblick nur Fachleute etwas sagen – und ich bin kein Spezialist für das Gebühren- und das Kommunalabgabenrecht. Aber Sie haben recht: Wenn das Kommunalabgabenrecht in diesem Punkt gekippt würde, hätte das massive Folgen. Deshalb schaut bei diesem Streit die Abfallwirtschaft im ganzen Land nach Ludwigsburg.

Ich fasse zusammen: Auch wenn wir es sicher hoffen – aus dem Gröbsten heraus kommt die Abfallwirtschaft des Landkreises wohl so schnell nicht?

Zweifelsohne haben wir die drei beschriebenen Problemkreise Rest- und Biomüll, Behältertausch und Gebührenklage. Es steht derzeit in der Abfallwirtschaft also fraglos eine gewaltige Dimension im Raum.

Wenn es aus Sicht des Kreises bei den Gebühren schiefgeht, auch eine teure…

Zumindest war das vor 25 Jahren so.

Teilen Sie den Eindruck, dass wir derzeit die seither kritischste Phase für die Abfallpolitik im Kreis erleben?

Ja, diesen Eindruck teile ich!