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Interview
Pfarrer aus Remseck und Ludwigsburg über Hoffnung in Krisenzeiten

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Im zweiten Jahr in Folge wird am Wochenende ein Weihnachtsfest gefeiert, das von der Coronapandemie geprägt ist. Woraus man in dieser Zeit Hoffnung schöpfen kann, sagen die evangelische Pfarrerin Eva Engelking aus Neckarrems und der katholische Pfarrer Alois Krist aus Ludwigsburg.

Kreis Ludwigsburg. Frau Engelking, Herr Krist, auch dieses Weihnachtsfest wird unter dem Eindruck der Pandemie stattfinden. Was hat Corona mit der Kirche gemacht?

Eva Engelking: Wir sind als Kirche mehr hinausgegangen zu den Menschen und haben viel mehr Orte gefunden, an denen man Gottesdienst feiern kann, zum Beispiel an Heiligabend auf dem Sportplatz. Da ist eine gewisse Offenheit und Flexibilität entstanden, die davor nicht vorhanden war. Zugleich gibt es ein stärkeres Bedürfnis nach den Kirchenräumen und den traditionellen Dingen, die dort stattfinden, wie das Singen.

Alois Krist: Man spürte von Beginn an, dass man nicht mehr miteinander in Kontakt treten kann. Kirche lebt aber von Kontakten. Kirche ohne Kontakt ist ein Widerspruch in sich. Wir haben einen Gott, der selber Mensch wird. Jesus hat die Menschen um sich versammelt. In der Krise ist die Sehnsucht nach Begegnung gewachsen. So wurden in der Kirche andere Formate entwickelt. Man geht mehr raus und hat das Internet entdeckt. Gottesdienste werden beispielsweise über Livestreams gesendet.

Nimmt uns Corona das Weihnachtsfest weg?

Krist: Corona nimmt uns von der Art der Begegnung etwas weg. Aber es lässt uns gleichzeitig das Weihnachtsfest neu in seiner Tiefe erahnen. Weihnachten ist schließlich nicht nur Glühwein und Glückseligkeit. Es geht darum, dass in einer schwierigen Situation noch Sinn da ist. Ein Sinn, der da aufleuchtet, wo es dunkel ist. Die Weihnachtstexte handeln immer vom Licht in der Finsternis. Wenn man das Dunkel mehr spürt, dann leuchtet einem Weihnachten mehr ein. Viele tolle Texte von Weihnachtsliedern wurden in großer Not im Mittelalter während der Pest und des Hexenwahns geschrieben. Da hat man die Tiefe von Weihnachten entdeckt. So ist es auch heute: Weihnachten wird uns nicht weggenommen, sondern eher vertieft.

Engelking: Von der Weihnachtsbotschaft wird uns nichts weggenommen. Sie wird eher leichter greifbar für die Menschen und kann von uns Pfarrern besser vermittelt werden. Die menschliche Nähe als ein Aspekt der christlichen Botschaft nimmt uns Corona dagegen schon weg. Die Kontakte sollen möglichst gering gehalten werden. So können wir einen Teil unseres christlichen Mitmenschenseins nicht so gut leben, wie wir es sonst machen würden. Das empfinde ich im zweiten Coronajahr stärker.

Wie lassen sich Corona und Weihnachten aus theologischer Sicht unter einen Hut bringen?

Engelking: An Weihnachten kommt Gott in unsere Welt hinein. Das geschieht eher etwas unscheinbar. Das Kind ist schutzlos und gefährdet, doch es lebt uns vor, dass wir mit Liebe und Gottvertrauen Großes in dieser Welt bewirken können. Damals war die Welt eine Baustelle mit großen Gefahren und Problemen, und heute ist sie es auch noch. Umso mehr brauchen wir die Weihnachtsbotschaft für unsere Welt: das Kind in der Krippe. Und dass wir auch weiterhin Hoffnung und Licht haben und hoffentlich Großes bewirken können.

Krist: Ganz am Anfang des Johannes-Evangeliums heißt es: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Wir glauben an einen Gott, der sich einfleischt in unser Menschsein. Mehr Nähe geht nicht. Er teilt mit uns Freud und Leid. Diesen Gott verkünden wir an Weihnachten. Da, wo wir vor der Zukunft Angst haben, darf ich glauben, dass Gott mir zur Seite steht.

Der Advent und Weihnachten gelten als Zeit der Besinnlichkeit. Schließen sich Besinnlichkeit und die Coronakrise aus oder wird die Besinnlichkeit sogar noch verstärkt?

Engelking: Sie wird meiner Ansicht nach verstärkt. Es herrscht weniger Trubel und Ablenkung. Mir geht es so, dass ich mir abends mehr Zeit dafür nehmen kann als in einer normalen Adventszeit.

Krist: Ich finde auch, dass die Coronakrise die Besinnlichkeit eher fördert. Besinnung heißt ja, über das eigene Leben nachzudenken. Der Advent mit seinen Weihnachtsfeiern ist sonst eine eher unruhige Zeit. Diese entfallen in diesem Jahr. Das ist wirtschaftlich schwierig, gibt uns aber die Zeit, über Sinnhaftigkeit nachzudenken und darüber, wofür es sich lohnt, zu leben. Die Fragen unter Corona werden existenzieller. Damit lässt sich über das Grundsätzliche nachdenken.

Wie erklären Sie den Menschen, warum Gott eine solche Pandemie zulässt?

Krist: Es geht nicht darum, immer gleich eine Antwort zu wissen. Wenn Menschen betroffen sind, hilft es nicht, wenn ich ihnen eine Erklärung gebe. Man muss auch mal die Ratlosigkeit aushalten und zugeben, dass man keine Antwort weiß. Man muss auch dazu sagen, dass wir Menschen dazu beitragen, dass solche Viren entstehen. Da sollte uns Gott auch mal fragen, was wir an unserem Lebensstil ändern müssen, damit die Natur wieder ins Gleichgewicht kommt.

Engelking: Mir wurde diese Frage bisher gar nicht gestellt. Was mir dafür begegnet, sind Menschen, die die Krankheit erfahren haben oder jemanden deshalb verloren haben und dort großes Leid ist. Da habe ich auch nicht viele Worte, sondern bin einfach da zum Zuhören und Mitaushalten. Ich denke, Gott hat sich dafür entschieden, nicht aktiv in solche Krisen einzugreifen. Er greift insofern ein, als er an Weihnachten zur Erde kommt und Mensch wird. Dabei wird er ein so nahbarer Gott, der sich nicht zu schade ist für die Not und das Leid.

Glaube, Liebe Hoffnung – würden die Menschen die Krise besser überstehen, wenn sie nach diesen Grundsätzen leben würden?

Engelking: Ich trage sie in mir und kenne viele Menschen, die sie auch in sich tragen. Wir sind seit mittlerweile zwei Jahren mit existenziellen Themen rund um Corona konfrontiert und wie man damit umgeht. Auch wenn man Glaube, Liebe und Hoffnung in sich trägt, gibt es Durchhänger und Zweifel und man verliert die Hoffnung fast. Doch genau deswegen bin ich dankbar, dass ich an Gott glauben kann. Ich kann mit ihm auch mal schimpfen und ihn fragen, warum es kein Ende gibt. Das ist sehr wichtig und gibt mir persönlich Kraft.

Krist: Glaube, Liebe, Hoffnung würden uns allen wohltun. Unser neuzeitlicher Glaube, alles im Leben planen zu können und im Griff zu haben, wird durch die Pandemie infrage gestellt. Hoffnung gibt es erst dann, wenn ich verzweifle in der Not. Darunter gibt es einen noch tieferen Grund, der mich hält und trägt und weiterführt: Das ist die Hoffnung. Ich wünsche mir, dass wir die biblische Hoffnung, die tiefer geht, neu entdecken und sie uns da drüber hinwegträgt, wo wir noch im Zweifel sind.

Wie können Sie als Pfarrerin und Pfarrer in dieser Zeit Hoffnung vermitteln?

Krist: Vermitteln kann ich nur, was ich auch selbst habe. Deshalb ist es mir wichtig, Kontakte zu halten, mit der Gemeinde und mit den Kirchengemeinderäten. Da haben wir auch über den eigenen Glauben geredet, und es kamen tolle Hoffnungszeugnisse zustande. Das hat mir gutgetan. Ich lebe also auch von der Hoffnung der anderen. Wenn ich die Hoffnung dieser Menschen spüre, belebt mich das neu. Es benötigt anderer Menschen, um selbst Hoffnungsträger sein zu können.

Engelking: Gerade ich als Hoffnungsträgerin brauche auch immer wieder Momente, in denen ich mich auftanken kann. Das geht einerseits bei meinen kleinen Kindern, die in einem Alter sind, in dem sie sich nicht von der Pandemie ausbremsen lassen. Da geht es einfach immer weiter. Das gibt mir Hoffnung und lässt mich vergessen, was gerade draußen passiert. Außerdem hatten wir in diesen zwei Jahren in der Gemeinde immer wieder Momente, in denen wir uns als Gemeinschaft gegenseitig auftanken konnten. Da wurde deutlich, dass Glaube einen breiten Raum ermöglicht, auch wenn es enger wird. Dadurch kann man immer wieder auch selbst Hoffnungsträger werden.

Woraus können die Menschen generell Hoffnung schöpfen?

Engelking: Wir haben einen anonymen Brief einer Person erhalten, der es unter anderem geholfen hat, dass wir die Kirche während der Pandemie offen ließen. Das habe es ihr ermöglicht, zu Gott zurückzufinden. Andere schöpfen ihre Hoffnung aus Gottesdiensten, aus kleinen Begegnungen. Wir packen immer wieder kleine Geschenktüten, die manchmal für Senioren oder Kinder bestimmt sind. Somit können auch diese Menschen kleine Hoffnungsträger werden.

Krist: Auch in der Dreieinigkeitskirche am Ludwigsburger Marktplatz geht die Tür tagsüber ständig auf und zu. Ich habe den Eindruck, dass viel mehr Leute als sonst hineingehen, dort ein paar Minuten verweilen und dann wieder ihrer Arbeit nachgehen. Solche Gebäude werden gerne aufgesucht, um in einen Hoffnungsraum einzutauchen und eine Kerze als Symbol der Hoffnung anzuzünden. Da spürt man, dass die Menschen etwas in der Religion neu suchen und finden. Wie die Kollegin sagte, sind auch die Begegnungen sehr wichtig. Wenn man das Leid teilt, ist auch schon Hoffnung da.

Menschen suchen also an Weihnachten unter Coronaeinfluss mehr den Kontakt zur Kirche als sonst. Was bewegt sie?

Krist: Ich bekomme Anfragen über E-Mails zu Einzelgesprächen. Da wird mittlerweile vor allem die Beschwernis über Corona deutlich. Das, was niederdrückt und depressiv macht. Die ständigen Vorschriftsmaßnahmen, die Kontaktbeschränkungen. Dabei stellt sich den Menschen die Frage, was ihnen Hoffnung gibt, wofür es sich lohnt, zu leben. Wie kommen sie wieder zu einer Lebensfreude? Das prägt die Gespräche mehr als sonst.

Engelking: Ich merke bei den Kontakten, dass die Gespräche länger dauern und ein großer Austauschbedarf da ist. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass man sich insgesamt weniger begegnet. Man spürt aber auch Ärger darüber, dass man noch nicht weiter gelangt ist in diesem Winter, dass man doch auf einmal nicht mehr singen darf in der Kirche. Gerade hochbetagte Menschen, die dreifach geimpft sind, sagen: Wir haben jetzt doch alles gemacht und wir dürfen wieder nicht richtig raus. Und es ist wieder kein Seniorennachmittag möglich. Dazu kommt die vermehrte Sorge vor Ansteckung. Deswegen haben wir an Weihnachten eine Mischung aus 2G-Gottesdiensten und Gottesdiensten im Freien organisiert. Da merkt man, dass sich einige wieder anmelden.

Was gibt Ihnen selbst Hoffnung?

Engelking: Es gab hinsichtlich Corona in den vergangenen Monaten immer wieder Anzeichen, dass ein Ende in Sicht sein könnte. Hoffnung gibt mir auch, dass in den vergangenen beiden Jahren immer wieder auch das Gemeindeleben aufgeblüht ist. Aber auch, dass man Neues entdeckt, es weitergeht und ein Zusammenhalt da ist. Schön ist auch zu spüren, dass es eine Relevanz von Glaubensgemeinschaft gibt.

Krist: Mir gibt es auch Hoffnung, dass Weihnachten so stark gefragt ist. Viele Gottesdienste sind schon ausgebucht. Das zeigt, dass ein starkes Bedürfnis nach biblischer Hoffnung da ist. Ich freue mich, dass ich das mitfeiern darf. Es ist auch mein Weihnachten, mein eigener Glaube an Gott, der uns beisteht und uns nicht vergisst. Es gibt mir Hoffnung, dass unter Corona vermehrt das Glaubensthema gesucht wird und man nicht nur in die Kirche geht, weil es Tradition ist. Das darf man ja auch gerne machen. Doch es wird im Moment nach der Kernbotschaft des Glaubens gesucht. Das nimmt uns ernst in dem, was wir zu sagen haben. Da definiert sich Kirche nochmals neu, was ihr auch eine Chance bietet.

Wenn man von Hoffnung spricht, redet man demnach auch davon, dass sich etwas verändert. Was wünschen Sie sich für die nahe Zukunft, vor allem mit Blick auf Corona?

Krist: Ich wünsche mir, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen und sich die Pandemie so weit eindämmen lässt, dass die Leute nicht mehr krank werden. Das wäre meine ganz konkrete Hoffnung. Ich wünsche mir auch, dass die Menschen die christliche Botschaft wieder neu entdecken, und zwar im neuen Kontext. Dass dieser Kontext die Herzen neu öffnen lässt für die Texte in der Bibel. Dass die Bibel eine neue Lebensrelevanz bekommt. Dass sich das Wort Gottes wieder einfleischt und ins Innerste der Menschen geht.

Engelking: Ich wünsche mir mehr Wertschätzung gegenüber unserem Gesundheitssystem – sowohl materiell als auch ideell. Dort wird beeindruckende Arbeit geleistet. Das gehört viel mehr gewürdigt. Mein zweiter Wunsch fürs nächste Jahr ist, dass mehr Nähe und Geselligkeit möglich wird. Als Drittes wünsche ich mir, dass Kirche mit der extrem gigantischen Hoffnungsbotschaft relevant für die Menschen ist und bleibt. Dass die Worte, die wir zu den Menschen sprechen, Relevanz in ihrem Leben bekommen und dass die Menschen weiterhin mit ihren Fragen zu uns kommen.