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Umwelt
Wenn Jäger aus Versehen Menschen treffen

Foto: Friso Gentsch/dpa
Ein Landwirt und seine Beifahrerin sind mit einem Traktor auf einem Feldweg in Gündelbach unterwegs. Plötzlich schlägt eine Kugel ein und verletzt den Bauern schwer. Jetzt kochen die Emotionen hoch – und Jäger stehen am Pranger.

Vaihingen. Im Vaihinger Ortsteil Gündelbach stellen sich am Freitag mehrere Jäger an einem Maisfeld auf. Ihr Ziel ist es, Wildschweine aus der Deckung zu locken und zu erledigen. Jedes Jahr werden in Deutschland rund 600.000 Wildschweine, 80.000 Hirsche und 1,2 Millionen Rehe erlegt. Viele Landwirte wirken gerade im Sommer auf die Jäger ein, weil sich Schwarzkittel in ihren Feldern verstecken und dort große Schäden anrichten.

In Gündelbach verlässt ein aufgescheuchtes Wildschwein um 14.30 Uhr das Maisfeld an der Steinbachhofstraße. Zwei Jäger, 59 und 71, feuern nach Angaben der Polizei Schüsse ab. Ein Projektil durchbricht offenbar die Scheibe des Traktors und trifft den 25 Jahre alten Fahrer ins Bein. Seine 18 Jahre alte Begleiterin wird durch die Glassplitter leicht verletzt (wir berichteten).

Die Tat hat am Dienstag prompt die Tierschutzorganisation Peta auf den Plan gerufen. „Wie viele Menschen müssen noch schwer verletzt werden oder sterben, bevor diese Hobbyjagden endlich verboten werden“, fragt die Peta-Expertin Nadja Michler. „Jahr für Jahr ereignen sich zahlreiche Tragödien, weil schießwütige Spaßjäger verantwortungslos in der Gegend herumballern.“ Laut Peta sei ein Eingreifen des Gesetzgebers längst überfällig.

Doch das ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. In den Landwirtschaftsministerien legen die Jagdbehörden fest, wie viele wildlebende Tiere in den Revieren der Jäger erlegt werden dürfen – die Quoten steigen. Hinzu kommt, dass sich nach Angaben des Vorsitzenden der Ludwigsburger Kreisjägervereinigung, Peter Ulmer, viele von Landwirten unter Druck gesetzt fühlen, weil Wildschweine, Hirsche, Rehe und Co. immer einem Besitzer etwas wegfressen.

Doch sogenannte Erntejagden wie in Vaihingen-Gündelbach hält auch der Kreisjägermeister Ulmer für „ungeheuer gefährlich“. Das Problem an dieser Form der Jagd sei, dass die Jäger ein Maisfeld am Boden umstellen müssten und nicht von ihren Hochsitzen aus schießen. Einen Kugelfang gibt es nicht. „Die Höhe ist wichtig“, sagt der Kreisjägermeister, „damit die Schüsse nach unten abgegeben werden können und so sichergestellt wird, dass die Munition vom Boden abgefangen wird.“

Die Jägervereinigung bestärkt ihre gut 500 Mitglieder nicht, Erntejagden anzubieten. „Sie können nur mit höchster Disziplin erfolgreich veranstaltet werden“, sagt Ulmer. Dazu gehören genaue Anweisungen des Jagdleiters und exakte Angaben zu Straßenverhältnissen. Als Kritik an den Gündelbacher Jägern will er das nicht verstanden wissen. „Ich kenne das Gelände dort nicht.“ Die beiden Schützen seien zudem keine Mitglieder der Jägervereinigung gewesen.

Peta hält Ulmer mit ihrer Forderung, Hobbyjagden in Deutschland zu beenden, vor, Emotionen zu schüren. „Jeder Unfall ist natürlich einer zu viel“, so der Kreisjägermeister. „Trotzdem sollten wir sachlich diskutieren.“

Nicht nur Ulmer, sondern auch Bauern und Forstwirte weisen darauf hin, was passieren würde, wenn nicht gejagt werden würde: Wildschweinrotten, Rotwildherden und Rehe würden zwar unbehelligt leben können, aber auch für immens steigende landwirtschaftliche Schäden sorgen. „Wer soll dafür aufkommen?“, fragt der Kreisjägermeister. „Etwa die Allgemeinheit?“ Bislang ist es so: Ernteausfälle durch Wildschäden muss der Jagdpächter bezahlen.

Nichts anfangen kann der Fachmann zudem mit dem Vorwurf, Jäger würden zum Spaß töten. „Wir wenden viel Zeit und Geduld für unsere Arbeit auf.“ Im Durchschnitt benötigt ein Jäger laut Ulmer 30 bis 35 Stunden, um einen Schuss abzugeben.

In Gündelbach hat unterdessen die Kriminalpolizei Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung aufgenommen.

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