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Ukraine-Krieg
Druck auf ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv: Ludwigsburger Schlossfestspiele müssen russischen Komponisten streichen

Musste sich dem Druck beugen: Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv. Foto: Oleh Pavliuchenkov/p
Musste sich dem Druck beugen: Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv. Foto: Oleh Pavliuchenkov/p
Wer folgt auf Intendant Jochen Sandig? Der gebürtige Esslinger tritt Ende September 2024 ab. Foto: Holm Wolschendorf
Wer folgt auf Intendant Jochen Sandig? Der gebürtige Esslinger tritt Ende September 2024 ab. Foto: Holm Wolschendorf
Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv muss nach Druck aus der Heimat ihr Programm beim Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele am Donnerstag ändern: Statt Tschaikowsky erklingt nun Mahler, außerdem entfällt die geplante Uraufführung einer ukrainischen Komponistin. Welche Wellen der Ukraine-Krieg und die Kulturpolitik nun in der Barockstadt schlagen, hat Festspielintendant Jochen Sandig unserer Zeitung erzählt.

Ludwigsburg. Noch bei der Vorstellung der Saison 2022 der Schlossfestspiele Ende März war Intendant Jochen Sandig guten Mutes, soweit man das in dieser Situation sein konnte: Unter der Leitung der aufstrebenden ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv sollte zum Auftakt am 5. Mai unter anderem Peter Tschaikowskys Sinfonie Nr.6 („Patétique“) erklingen – das letzte Werk des russischen Komponisten, das, teilweise gar auf dem Gebiet der heutigen Ukraine komponiert, kraft seiner Entstehungszeit (1893) kaum verdächtig ist, in Verbindung zum aktuellen Krieg zu stehen. Bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar war dieser Programmpunkt unter Lynivs Leitung vereinbart, dann unter den neuen politischen Gegebenheiten, dem Motto „No More War“ – und ergänzt durch die Uraufführung von „Nova“, einer teils bereits unter dem Eindruck des Krieges entstandenen Komposition der Ukrainerin Victoria Poleva. Zu diesem Miteinander von alter russischer und neuer ukrainischer Kunst wird es nun allerdings nicht mehr kommen, wie die Schlossfestspiele jüngst bekanntgaben. Der politische Druck seitens der Ukraine war offenbar zu groß geworden. Statt Tschaikowsky erklingt nun Mahler, die Uraufführung findet nicht statt. Was war passiert?

Ukrainische Komposition nicht neben einem russischen Werk

Bereits Anfang April schrieb die Komponistin Poleva überraschend an die Festspiele, dass sie ihr Werk für die Uraufführung kurzfristig zurückziehe – da dieses nicht in einem Konzert gemeinsam mit russischen Werken erklingen dürfe. Jochen Sandig antwortete, appellierte an sie in einem ganz bewusst handschriftlichen Brief auf Englisch: „Wir müssen die Menschlichkeit mit Musik feiern.“ Er sei indes vollkommen solidarisch mit dem ukrainischen Volk. Allein: Es half nichts.

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Kurz darauf erhielt Oksana Lyniv, die mit ihren internationalen Engagements unter anderem in Bayreuth und Bologna derzeit als die Kulturbotschafterin ihres Landes schlechthin gilt, unmissverständliche Hinweise seitens des ukrainischen Kulturministeriums und des Ukrainischen Instituts, keine russischen Werke zu dirigieren. Sogar anonyme Drohungen bekam sie im Laufe des April. Also entschied man sich im Palais Grävenitz, dem Sitz der Festspiele, in Abstimmung mit Oksana Lyniv und nach wochenlanger Debatte, das Programm zu ändern – und statt der Sechsten von Tschaikowsky nun die Fünfte von Gustav Mahler zu spielen. Wenn auch schweren Herzens.

Emotional aufgeheizte Situation

„Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht und uns auch keinem politischen Druck gebeugt“, betont Sandig. „Aber in dieser emotional aufgeheizten Situation stellen wir uns schützend vor die Künstlerin, um sie keinem Risiko auszusetzen.“ Für ihre berufliche Zukunft, aber auch für ihre persönliche Sicherheit. Und ukrainische Proteste vor dem Ludwigsburger Forum am Konzertabend? Auch nicht gerade hilfreich. Ohne Lyniv das ursprüngliche Programm zu spielen, sei indes auch keine Option gewesen (Sandig: „Sie ist für mich die Hauptperson an diesem Abend und eine Ausladung kam nicht in Frage“) und hätte die Lage wohl nur noch weiter verschlimmert. Nun gibt sie nach – eine optimale Lösung konnte es ohnehin kaum geben.

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„Einen pauschalen Bann sämtlicher Werke von Autorinnen und Autoren russischer Herkunft halte ich persönlich nicht für den richtigen Weg“, betont der Intendant. Zu diesem unter Kulturschaffenden vieldiskutierten Thema wolle er daher im Juni eine Konferenz abhalten. Dazu gehöre es mitunter auch, einmal mehr an die Ukraine zu appellieren, denn, so Sandig: „Wir helfen niemandem, wenn wir keine russische Musik mehr spielen – im Konzertsaal ist die nationale Herkunft nicht relevant.“ Den Krieg in die Kulturräume hinein zu erweitern, sei eine Sackgasse.

Trauermarsch und optimistisches Ende

Auch wenn der Aufwand mit neuer Planung und Umbesetzungen im Orchester nicht gerade gering gewesen sei, bleibe es zumindest ein runder Konzertabend, findet der Intendant. Der Trauermarsch zu Beginn des schwergewichtigen sinfonischen Werks und das positive, optimistische Ende machten Mahler zu einer guten Alternative, darüber sei man sich in der Diskussion mit dem Orchestervorstand um Konzertmeister Gustavo Surgik schnell einig gewesen. „Ich bin im Reinen mit der Entscheidung und freue mich auf den Abend“, so Sandig. Die Sechste von Tschaikowsky werde übrigens eines Tages bei den Festspielen nachgeholt, stellt Jochen Sandig bereits in Aussicht. Möglicherweise dirigiert von Oksana Lyniv?