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Meine Geschichte
Ein 81-jähriger Ludwigsburger und seine Liebe zum Fahrrad

Helmut Weigel in seiner Werkstatt in der Mörikestraße wo er seiner großen Leidenschaft nachgeht. Fotos: Andreas Becker
Helmut Weigel in seiner Werkstatt in der Mörikestraße wo er seiner großen Leidenschaft nachgeht. Foto: Andreas Becker
In der Mörikestraße hängt in einem Laden ein halbes Fahrrad an der Wand. Es ist der vordere Teil mit Lenker. Hier verkauft Helmut Weigel Räder, die er selbst zusammenbaut und betreibt eine kleine Werkstatt. Und das noch mit 81 Jahren.

Ludwigsburg. Von der Decke hängen Trikots, in den Regalen schlummern kleine Schätze an Ersatzteilen. Zahnräder, Schaltungen, Sättel. Es riecht nach Gummi. Räder Marke Eigenbau, überwiegend aus italienischen Bauteilen, stehen in Reih- und Glied. Günstig sind sie nicht, dafür sehr hochwertig. In einer anderen Ecke warten Alltagsfahrräder aller Generationen auf ihre Reparatur. Gerade arbeitet Weigel an einem Rennrad-Oldtimer, den er im Auftrag eines Kunden für ein ganz besonderes Rennen, die „L’Eroica“ in der Toscana, restauriert. Da sind nur Vintage-Räder mit Stahlrahmen vor 1987 zugelassen.

Die Scheiben sind zugeklebt mit teils vergilbter Werbung meist aus vergangenen Tagen. Drinnen sind die Wände mit dutzenden Autogrammkarten und Zeitungsausschnitten über die Radsportgrößen von früher regelrecht tapeziert. Dort begegnen einem Rudi Altig, Erik Zabel oder Jan Ullrich.

Besonders stolz ist Weigel auf ein Foto mit einer persönlichen Widmung der belgischen Radsportlegende Eddy Merckx. Der erfolgreichste Radsportler aller Zeiten, der unter anderem die Tour de France und den Giro d‘Italia fünfmal gewonnen hat, ist für den Fan der Größte. Weigel hat viele Erinnerungen gesammelt. Viele Größen des Radsports kennt er und zu allen hat er eine Geschichte auf Lager.

Mit zehn Jahren das erste Fahrrad

Weigel war oft Zuschauer bei der Tour, sobald sie auf ihrer Route das Elsass streifte. Auch profitierte der 81-Jährige von den Profis aus deren „Boxengasse“. Er schaute den Schraubern über die Schulter. Dabei lernte er, wie mit den sensiblen Radspeichen umzugehen ist. Das machte ihn schließlich zum Speichendoktor. „Das Einspeichen ist eine Kunst, die heute kaum noch einer beherrscht“, sagt er. Überhaupt: Was Kollegen als hoffnungslose Fälle auf den Schrott werfen, ist für ihn eine Herausforderung.

Weigel bekennt offen, dass er schon sein Leben lang verrückt ist. Radsportverrückt. Höhpunkt für ihn war die Einladung zu einer Gala in Bonn zu Ehren von Jan Ullrich. Und dass er auch mit dem späteren Grünen-Außenminister Joschka Fischer auf dem Rad trainierte.

„Ich muss etwa zehn Jahre alt gewesen sein, als ich von meinem Vater mein erstes Fahrrad bekommen habe“, erinnert sich Weigel. Es war ein Puma für 80 Mark. „Das war viel Geld, mehr als ein halber Monatslohn, aber gab mir Freiheit.“ Damit fuhr er zur Schule, machte Ausflüge. Als Jugendlicher sattelte er schnell aufs Rennrad um und steigerte sich zum Amateurradsportler bis in die C-Klasse. Erst bei Stuttgardia, dann beim SpVgg Cannstatt. Dort bremsten ihn oft Radbrüche, was ihn schwer ärgerte und nach Lösungen suchen ließ, die er sich schließlich von den Profimechanikern abschaute.

Als junger Kerle machte er eine Ausbildung zum Schriftsetzer bei der Ludwigsburger Kreiszeitung. In verschiedenen Druckereien blieb er dem Beruf treu. Zuletzt als Maschinensetzer. Parallel dazu baute er als Autodidakt 1979 sein Fahrradgeschäft mit Werkstatt auf. Droben auf dem Römerhügel in der Nachbarschaft des Wasserturms. In einer Garage werkelte der Speichenflüsterer 18 Jahre lang. Im Nebenerwerb, nach Feierabend und an den Wochenenden, stellte er Gangschaltungen ein, „verheiratete“ italienische Rahmen und Ritzel, Sättel und Pedale, passte Lenker an Kunden an. Jedes Stück ist am Ende des Tunings ein Unikat. Bis heute.

1997 zog er um auf 75 Quadratmeter in die Mörikestraße. Seinen Laden schließt er heute nur noch an den Samstagen für ein paar Stunden auf. Reparaturen und Restaurierungen macht er nur auf Anfrage. Seine Kunden bringen Gebrauchsräder vorbei, die ihnen zu schade für den Schrott sind oder historische Rennmaschinen.

Nachfolger für Laden gesucht

Neben seiner über 40-jährigen Erfahrung, kommen ihm dabei die frühere „Werkstattspionage“ bei den Rennställen und seine Erlebnisse am eigenen Leib zugute. Als Rennradfahrer um den Henniger Turm in Frankfurt zum Beispiel. Aber auch als begeisterter Alltagsradler. Bis vor zwei Jahren legte er nämlich fast alle Strecken ohne Auto zurück. Zuletzt mit einem Pedelec, mit dem er sich aber nicht so recht anfreundete. „Das ist doch kein Fahrrad“, urteilt er. Jetzt spielt aber der Rücken nicht mehr mit.

In jüngeren Jahren kam er mit dem Rad sogar bis nach Triest und Marseille, fuhr die Rhone entlang. In den Satteltaschen und auf dem Gepäckträger, alles was er zum Campen brauchte. Zelt, Schlafsack, Gaskocher und Konservendosen. Mehr als 70 Jahre verbrachte Weigel im Sattel und hat viele 100000 Kilometer in den Beinen.

Und wer bei Weigel in der Mörikestraße vorbeischaut, kommt schnell ins Fachsimpeln. Er ist nämlich ein wandelndes Lexikon in allen Fragen um Technik und Sport. „Das ist meine Welt“, sagt Helmut Weigel, der für sein Lebenswerk jetzt einen Nachfolger sucht.