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Corona
Eine Ludwigsburger Intensivschwester berichtet: „Psychische Belastung hat zugenommen“

Anja Haftendorn bei der Arbeit: Die Impfung habe dafür gesorgt, dass inzwischen weniger Menschen auf der Intensivstation landen, sagt die Intensivschwester. Foto: privat
Anja Haftendorn bei der Arbeit: Die Impfung habe dafür gesorgt, dass inzwischen weniger Menschen auf der Intensivstation landen, sagt die Intensivschwester. Foto: privat
Während andere an den Weihnachtstagen entspannt um den geschmückten Baum saßen, hat sie auf der Intensivstation für ihre Patienten gekämpft: Inzwischen erlebt Anja Haftendorn die vierte Welle der Coronapandemie auf der Intensivstation. Sie ist Fachkrankenschwester und liebt ihren Job. Eigentlich. Doch Corona habe auch sie zum Nachdenken gebracht, erzählt sie. Viele ihrer Kolleginnen haben sich schon entschieden – und zwar gegen den Job.

Ludwigsburg. Müde Augen blicken über der FFP2-Maske, ihre Stimme klingt resigniert. Anja Haftendorn ist müde, das merkt man ihr an. Müde nicht nur, weil sie gerade eine Woche Nachtschicht hinter sich hat, sondern auch, weil die vergangenen eineinhalb Jahre an ihren Kräften gezehrt haben. Vor rund einem Jahr hat die 38-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung über ihre Arbeit auf der Intensivstation des Ludwigsburger Klinikums erzählt. Nun haben wir sie wieder getroffen. Noch immer versorgt sie Covid-Patienten, doch im Vergleich zu den ersten Wellen habe sich nun einiges geändert.

Am Anfang habe man von den Erfahrungen aus Italien und anderen Ländern, die schwer betroffen waren, profitiert, man habe gewusst, was zu tun ist. Doch in der vierten Welle habe es plötzlich nicht mehr so viel gebracht, die Patienten auf den Bauch zu drehen. Außerdem hat man herausgefunden, dass es nicht gut ist, die Patienten sofort künstlich zu beatmen. Deshalb werden sie jetzt so lange es geht mit einer Sauerstoffmaske beamtet.

„Aber gerade deshalb steigt auch die psychische Belastung“, sagt Anja Haftendorn. Denn die Patienten sind nun länger ansprechbar, sie und ihre Kollegen bauen eine Beziehung zu ihnen auf, hören ihre Geschichten, lernen über das Telefon oder Videoanrufe ihre Angehörigen kennen. „Wenn man jemanden über Wochen oder sogar Monate betreut und er dann stirbt, das ist wie ein Schlag vor den Kopf“, sagt die 38-Jährige. Vor allem Patienten, die an die Lungenersatzmaschine angeschlossen werden müssen, würden die Infektion sehr häufig nicht überleben. Der Tod auf der Intensivstation sei nicht friedlich, sagt Anja Haftendorn. „Wir und die Patienten kämpfen zum Teil sehr lange.“

Die Fachkrankenschwester erzählt, wie der Sauerstoffmangel manche Patienten unruhig oder panisch werden lässt. Es komme immer wieder vor, dass sie sich die Maske, die ihnen in dem Moment die Luft zum Atmen gibt, aus Panik abreißen. Wenn die Pfleger zu der Zeit nicht im Zimmer sind, müssen sie sich zuerst ihre Schutzkleidung überziehen, bevor sie zum Patienten kommen, der aus Panik oft handgreiflich wird. Häufig müssen diese Patienten dann reanimiert werden, manche überleben es nicht. Das nimmt die Pfleger mit. „Man überlegt sich dann schon, ob man sich schneller hätte umziehen müssen“, sagt Anja Haftendorn.

Auf der Intensivstation liegen unterschiedliche Menschen in allen Altersgruppen, erzählt sie. Da gibt es solche, die die Krankheit Covid immer noch leugnen, während sie an eine Lungenersatzmaschine angeschlossen werden. Ein Patient bat seine Kinder über Videoanrufe eindringlich, sich jetzt doch impfen zu lassen. Ein anderer erzählte der Pflegerin, dass er sich einfach mal infizieren wollte, da er dann ja genesen sei. „Er ist gestorben“, so Haftendorn. Und dann gibt es noch junge Frauen – inzwischen waren es in Ludwigsburg laut Haftendorn drei – die ihr Baby mittels Notkaiserschnitt auf der Intensivstation zur Welt bringen und dann ins künstliche Koma versetzt werden müssen. „Erst wenn sie Wochen später wieder aufwachen, erfahren sie, dass sie ein Kind haben.“

So unterschiedlich die Patienten sind, eines haben sie gemeinsam: Sie sind ungeimpft. Seit Herbst sei genau ein geimpfter Patient bei ihnen auf der Intensivstation gelandet. Zu Beginn habe sie viel Mitleid mit den Patienten gehabt. Nun sei die Empathie weniger geworden. „Wir wissen ja, es gibt ein Mittel, das hilft“, sagt Anja Haftendorn. Dieses Mittel sei die Impfung. Die habe dafür gesorgt, dass die Intensivstationen jetzt nicht überlaufen.

Weil jetzt nicht wie in der ersten Welle der Krankenhausbetrieb heruntergefahren wurde, bekommen die Intensivpflegekräfte nicht mehr so viel Unterstützung von anderen Abteilungen. Dazu kommt, dass die Ludwigsburger Intensivstation keine reine Covid-Station mehr ist. Das war zu Beginn der Pandemie so, als auch Patienten aus dem Umfeld nach Ludwigsburg gebracht wurden.

Dass die Station keine reine Corona-Station mehr ist, bedeutet für die Pfleger jedoch, dass sie sich noch häufiger umziehen und desinfizieren müssen, wenn sie von einem Covid-Patienten zu einem anderen wechseln. „Bevor wir in das Zimmer eines Covid-Patienten gehen, müssen wir uns genau überlegen, was wir in den nächsten vier Stunden brauchen werden“, erzählt Anja Haftendorn. Denn es gebe niemanden mehr, der vergessene Dinge reichen könnte.

Der Zusammenhalt im Team sei trotz der Situation sehr gut. Inzwischen gebe es aber nicht nur für Patienten und Angehörige, sondern auch für die Beschäftigten mehrere Seelsorger. „Es hat einfach nicht mehr gereicht, nur im Team über manche Dinge zu reden.“ Manchen ihrer Kollegen wurde die Arbeit zu viel. In den vergangenen Monaten hätten die Kündigungen immer weiter zugenommen. Viele wechselten in die Zeitarbeit, berichtet Anja Haftendorn. Für sie ist das nicht unverständlich: Schließlich bekomme man dort mehr Geld, würde seinen Urlaub selbst einteilen können. „Ich geb‘s zu, ich hab es mir auch überlegt“, sagt die 38-Jährige. Aber die Arbeit auf der Intensivstation ist ihre Berufung. Sie liebe ihre Arbeit, auch wenn Corona und das bescheidene Gehalt das schwierig machen würden. Außerdem würde es ihr fehlen, in einem festen Team zu arbeiten, wenn sie ihre jetzige Arbeitsstelle verlassen würde.

Doch das Team ist gar nicht mehr so fest. Denn weil viele Kollegen gekündigt haben, werden auch in Ludwigsburg Zeitarbeiter eingesetzt. Dazu kommen mindestens zwei Krankheitsfälle pro Woche, weil die Pfleger ausgelaugt sind. Außerdem hätten sich schon mehrere Kollegen bei der Arbeit infiziert. „Das kann passieren, obwohl wir alle Schutzkleidung tragen.“ Wenn sie wieder zurück zur Arbeit kommen, bemerkten sie oft, dass sie nicht mehr so belastbar sind oder Konzentrationsstörungen haben. „Sie müssen dann oft umschulen, weil man in unserem Beruf schnell denken und handeln muss“, sagt Anja Haftendorn.

Zweimal in der Woche muss sie als Geimpfte auch einen Schnelltest machen. „Jedes Mal, wenn ich davor sitze, habe ich Muffensausen“, sagt sie. Bisher sei sie verschont geblieben, aber das Risiko, sich zu infizieren, ist auch für sie hoch. Auch wenn sie ihre Kontakte außerhalb der Arbeit stark einschränkt. Für sie wäre es schrecklich, jemand anderen anzustecken. Doch mit diesem Risiko muss die Intensivkrankenschwester noch eine Weile leben. Denn: „Ich mache mir keine Illusion, dass die Pandemie schnell vorbei ist.“