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Historie
„Ich wollte nichts anderes als Fotograf sein“: Mit Ulrich Kleibers Weggang geht auch eine Foto-Ära aus Ludwigsburg

Ulrich Kleiber bewahrt viele Schätze aus vier Generationen Fotohistorie auf. Bis heute weigert er sich, mit dem Handy zu fotografieren.Foto: Ramona Theiss
Ulrich Kleiber bewahrt viele Schätze aus vier Generationen Fotohistorie auf. Bis heute weigert er sich, mit dem Handy zu fotografieren. Foto: Ramona Theiss
Glänzende Aussichten: Am 19. August 1961 eröffnete Hans Kleiber in Ludwigsburg seinen Foto-, Film- und Kamerahandel in der Seestraße 7. Nesthäkchen Ulrich war da gerade einmal ein Jahr alt.Foto: privat
Glänzende Aussichten: Am 19. August 1961 eröffnete Hans Kleiber in Ludwigsburg seinen Foto-, Film- und Kamerahandel in der Seestraße 7. Nesthäkchen Ulrich war da gerade einmal ein Jahr alt. Foto: privat
Das gab‘s damals noch: Filmautomaten. Und auch Vandalen gab es – hier Kleibers Automat 1962.Foto: privat
Das gab‘s damals noch: Filmautomaten. Und auch Vandalen gab es – hier Kleibers Automat 1962. Foto: privat
Nach vier Generationen ist Schluss: Ulrich Kleibers Abschied von seinem Fotoatelier in der Lindenstraße ist gleichzeitig das Ende einer Ära. Seine Familie pflegte über 130 Jahre die Leidenschaft für Fotografie.

Ludwigsburg. Es ist, als wäre Ulrich Kleiber aus der Zeit gefallen – ohne eigenes Zutun wurde er aus seinem eigenen Paralleluniversum, wie er es nennt, entfernt. Fotografie ist keine Kunst mehr, jeder knipst mit dem Handy, was das Zeug hält, legt den Vintagefilter drüber oder hübscht sich mit Photoshop auf. „Das Analoge ist tot.“ Das, gibt er zu, hat er unterschätzt: „Ich habe lange gedacht, das analoge und digitale Fotografieren wird parallel laufen.“ Ein schmerzhafter Lernprozess mit abruptem Ende: Im November 2021 hat der 61-Jährige sein Fotoatelier in der Lindenstraße aufgegeben.

Der Urgroßvater ist Hoffotograf auch in Ludwigsburg

Doch genau das war die Heimat Ulrich Kleibers, der 1982 seine Fotografenlehre abschloss. 40 Jahre Fotografie, 40 Jahre Handel. Und mehr noch: Sein Urgroßvater Johannes Kleiber, 1865 geboren, war Hoffotograf und eröffnete vor der Jahrhundertwende in Ludwigsburg ein Atelier in der Stuttgarter Straße. Und er begründete damit eine Familientradition: Seitdem zieht sich die Fotografie durch die Familie Kleiber – die mit Ulrich Kleiber endet.

Die drei Söhne von Johannes, Fotografen und Fotohändler, waren dann in Stuttgart-Bad Cannstatt zu Hause mit ihrem Geschäft, das im Krieg allerdings den Bomben zum Opfer fiel. Einer davon war Eugen Kleiber – seinen Sohn Rolf zog es mit seinem Fotoatelier nach Fellbach, Sohn Hans hatte da schon seine Gerda kennengelernt und zog mit ihr in den Ludwigsburger Norden und machte sich 1961 mit seinem Fotohandel selbstständig.

Eigentlich sollte Ulrich Kleiber studieren

Trotz der übermächtigen Familienhistorie war Ulrich Kleiber – Jüngster mit zwei Schwestern – der Beruf Fotograf nicht in die Wiege gelegt. „Eigentlich sollte ich studieren“, erzählt er. Das notwendige Abitur am Schillergymnasium allerdings machte ihm Mühe, in der Zwölften war Schluss. „Ich werde Fotograf“, habe er zu seinem Vater gesagt. Die richtige Entscheidung: Im Gymnasium hatte er sich „von Versetzung zu Versetzung geschleppt“, in der Berufsschule heimste er als Klassenbester Preise ein.

Er ist stolz, den Beruf „von der Pike auf“ gelernt zu haben, seine große Liebe: die Porträtfotografie. „Das Entscheidende für mich an einem guten Porträt ist, den Draht zum Menschen zu finden, dass er sich öffnet.“ Im Fotohandel seines Vaters, in den er nach seinem Meister 1988 einstieg, „habe ich in der hintersten Ecke in einer Nische damit angefangen, Porträts zu fotografieren“. Denn „in den Verkauf wollte ich nie. Ich wollte nichts anderes als Fotograf sein. Das ist meins.“

Und in der Seestraße – „Das war eine dunkle Gasse, nicht wie heute eine Geschäftsstraße“ – war er sehr erfolgreich, ein Labor kam dazu, die Rezession der Achtziger war überwunden. Das wird ihm am meisten fehlen: das Gespräch mit den Kunden, die ihr Abbild wollen. „Wer sich fotografieren lässt, gibt etwas von sich preis.“

Zwei Umzüge mit seinem Geschäft in sieben Jahren

Als die Miete erhöht wurde, zog Ulrich Kleiber 1998 in die Solitudestraße. Als das Haus verkauft wurde, kaufte er mit seinem Vater 2005 das Haus in der Lindenstraße für sein Fotoatelier. Sein Vater, heute 92, war noch lange im Hintergrund dabei. Und sein Sohn Ulrich, der seit langem mit der Bechterew-Krankheit kämpft, bekam den Wandel zu spüren. Immer mehr Kunden blieben aus, die Tradition stirbt. „Das ist vergleichbar mit dem Weg von der Malerei zur Fotografie. Was konnten die Künstler noch mit Licht und Schatten umgehen!“

„Das Auge muss man haben“

Statt Labor Computer, statt Ausleuchtung Photoshop. „Es ist mehr Effekt als Qualität gefragt.“ Trotzdem: „Das Auge muss man trotzdem haben.“

Einzig Passfotos waren noch gefragt. Dass die Stadt einige seiner biometrischen Fotos nicht für Pässe akzeptierte, macht ihn noch heute zornig. Und er wurde nie warm mit Facebook, den sogenannten sozialen Netzwerken, dem Internet. „Wenn ich mich da besser angestellt hätte, wäre ich heute wohl noch da.“

Der Wandel war auch ein Grund, dass der Einzelkämpfer 2010 einen Goldhändler mit in seinen Laden nahm. An drei Tagen die Woche kaufte der in seiner angemieteten Ecke Schmuck, Zahngold, Uhren, der Laden war an diesen Tagen gerammelt voll. Irgendwann übernahm Ulrich Kleiber das Geschäft, 2013 ging der Goldkurs jedoch runter und er stieg wieder aus.

Ein bewaffneter Überfall in seinem Laden

Und dann geschah der Überfall am 27. Januar 2021, der ihn bis heute verfolgt. Ein Mann mit Kapuze und Mund-Nasen-Maske stand vor seiner Tür, gerade als er abgeschlossen hatte. „Ich dachte, er wollte Kleingeld für die Parkuhr.“ Einmal drin, bedrohte ihn dieser mit der Pistole und stahl 300 Euro aus der Kasse. Gefunden ist er bis heute nicht. Und danach öffnete Ulrich Kleiber seine Ladentür nur noch nach Aufforderung. Er holt tief Luft: „Das war sicher auch ein Grund, dass ich jetzt aufgehört habe.“

Jetzt hat er mehr Zeit für seine 30 Jahre alte BMW und hat immer noch seine kleine Kamera im Rucksack dabei. Handy? „Nie.“