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Ein Satz der IHK-Präsidentin beschäftigt jetzt die Justiz

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350_0900_39396_COWIIHK_Wagner_Download_data.jpg Foto: Thomas Wagner
Hat die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart das Persönlichkeitsrecht eines Mitglieds der IHK-Vollversammlung verletzt? Um diese Frage ging es jetzt bei einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart.

Stuttgart/Ditzingen. „Clemens Morlok gegen Industrie- und Handelskammer“ – das war die Ausgangslage vor der Gerichtsverhandlung in Stuttgart. Die IHK beschuldigt Morlok eines Verstoßes gegen deren Compliance-Regeln. Morlok selbst wirft der Präsidentin der IHK Region Stuttgart, Marjoke Breuning, vor, sein Persönlichkeitsrecht verletzt zu haben.

Morlok ist seit mehr als 30 Jahren Gesellschafter und Geschäftsführer eines Ditzinger Unternehmens – und damit seitdem IHK-Mitglied, als das er auch in der Vollversammlung sitzt, die jährlich mehrmals zusammenkommt. Der 60-Jährige gehört auch der „Kaktusinitiative“ an, die laut eigener Aussage „eine bessere IHK“ fordert, etwa die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft. Die juristische Auseinandersetzung rund um einen möglichen Compliance-Verstoß nun ist der jüngste in einer Reihe von Konflikten zwischen Morlok und der IHK. Die Kammer wollte sich auf Anfrage nicht zu dem vor Gericht ausgetragenen Streit äußern, weder im Gerichtssaal noch in der Zentrale. Man wolle erst ein Urteil abwarten, hieß es. Morlok und Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des Bundesverbands für freie Kammern und gestern im Gerichtssaal Beistand für Morlok, äußerten sich nach der Verhandlung auf Nachfragen und schilderten die Etappen des Konflikts. Morlok ist der Kläger, die IHK die Beklagte.

Der Fall: Es geht um das IHK-Bildungshaus Grunbach in Remshalden. Im Frühjahr 2017 wird eine interne Revision für den IHK-Haushaltsausschuss fertiggestellt. „Die Prüfung hat einige Schwachstellen und Verbesserungspotenziale aufgezeigt“ – dieser Satz steht in dem Lagebericht für die Mitglieder der Vollversammlung, die in der Sitzung am 19. September 2017 den Jahresabschluss 2016 beschließen sollen. In der internen Revision liest sich dieser Satz anders, deutlich konkreter und kritischer (die Unterlagen liegen unserer Zeitung vor). Das Prüfungsergebnis nämlich lautet: zweimal „befriedigend“, einmal „ausreichend“ und fünfmal „ungenügend“. Morlok gehört nicht dem IHK-Haushaltsausschuss an, kennt zu diesem Zeitpunkt aber trotzdem beide Versionen des Prüfergebnisses – er habe den internen Bericht im Sommer 2017 anonym per Post bekommen, sagt der Ditzinger heute.

In der Vollversammlung (VV) am 19. September 2017, als der Haushalt beschlossen wird, melden er und Thomas Albrecht – Esslinger Mitglied der IHK und der Kaktusinitiative – sich zu Wort: Die beiden kritisieren die Formulierung in dem Lagebericht, die deutlich anders klingt als in der internen Revision. Sie schieben eine Begründung aus dem internen Bericht hinterher, so, dass es jeder VV-Anwesende hören kann: „,Ungenügend’ heißt ,mit enormen Defiziten‘“.

Mit ihren öffentlichen Wortmeldungen hätten Morlok und Albrecht gegen Compliance-Regeln, also gegen den Verhaltens- und Wertekodex der IHK, verstoßen – das wirft die IHK den beiden Mitgliedern vor. Rechtsanwältin Tina Bergmann, die gestern in der Verhandlung die IHK vertrat, betonte, dass Morlok nicht Mitglied des Haushaltsschusses gewesen sei, die damals vertraulichen Unterlagen deshalb nicht hätte lesen und schon gar nicht öffentlich aus ihnen hätte zitieren dürfen. Das sei ein „Vertraulichkeitsbruch“ und ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit – und damit gegen die Compliance-Regeln.

Morlok entgegnete, dass die interne Revision nicht als vertraulich gekennzeichnet gewesen war. Er sei also davon ausgegangen, legal gehandelt zu haben. Als er 2017 aber das Protokoll der VV vom 19. September erhält und sieht, dass seine Aussagen darin nicht erwähnt sind, stellt er am 27. November einen Änderungsantrag für das Protokoll, dessen Eingang die IHK, so Morlok, am Tag darauf bestätigt habe. Morlok sagt, dass die IHK, wenn sie sein Vorgehen als illegal betrachtete, danach auf ihn zukommen hätte können, laut eigener Compliance-Richtlinien sogar müssen, um in geschütztem Rahmen über die Vorwürfe zu reden.

Stattdessen sehen sich die Parteien erst am 7. Dezember 2017 wieder, bei der nächsten VV. Dort, vor den versammelten Mitgliedern (an dem Tag sind nicht alle der 100 VV-Mitglieder da), sagt Breuning, Morlok und Albrecht hätten gegen Compliance-Regeln der IHK verstoßen. Breuning äußert sich dort nicht als Privatperson, sondern als Präsidentin und damit Organ der IHK. Für die Beschuldigten sei Breunings öffentlicher Vorwurf fatal, sagt Morlok: Sein Ruf als ehrbarer Kaufmann, seine Ehre seien dadurch ebenso beschädigt worden wie das Vertrauen von Kunden in ihn als Geschäftsmann. Deshalb hat er jetzt geklagt. Es geht um die Frage: Hat Breuning Morloks Persönlichkeitsrecht verletzt? Ein Urteil soll im September fallen.

Die Verhandlung: Vor Gericht betonte die IHK-Anwältin gestern, Breuning habe diesen Satz in der VV nur deshalb gesagt, weil sie vom Kläger (also Morlok) dazu provoziert worden sei. Sie habe sich zu dessen Protokoll-Änderungsantrag äußern und ihre Antwort begründen müssen. Der Satz sei ihr quasi „in den Mund“ gelegt worden. Das sah Richter Wolfgang Sachsenmaier anders: Vor dem Hintergrund von Compliance-Richtlinien öffentlich das Wort „Compliance-Verstoß“ in den Mund zu nehmen, sei „hochgradig problematisch“. Er wisse nicht, so der Richter, „was da in ihrem Kopf vorging“ und wie Breuning „auf diese Idee“ habe kommen können: „Da hätte sich ihre Zunge weigern müssen, eine solche Aussage zu machen.“