Leinfelden-Echterdingen. In Ostdeutschland längst etabliert, spielt die Linke im Südwesten bisher nur eine Nebenrolle: Nun könnte die Partei bei der Landtagswahl 2026 erstmals in ihrer Geschichte in Baden-Württemberg ins Parlament einziehen.
Beim Parteitag in Leinfelden-Echterdingen (Kreis Esslingen) beschloss der Landesverband das Programm für den Wahlkampf. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Aber wer sind die baden-württembergischen Linken eigentlich - und was haben sie mit dem Land vor?
Wer ist die Linke in Baden-Württemberg?
Die Linke war bisher in Baden-Württemberg stets in der außerparlamentarischen Opposition - und daher kaum im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Sie bietet damit auch jenen eine Stimme, die sich von etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Der Landesverband ist zuletzt gehörig gewachsen - allein im laufenden Jahr hat sich die Zahl der Mitglieder auf über 10.000 Personen mehr als verdoppelt. Über die Hälfte der Mitglieder ist nach Angaben des Landesverbands 30 Jahre alt oder jünger.
Auch in Umfragen steht die Partei gut da. Studentisch geprägte Städte wie Freiburg oder Heidelberg gelten im Südwesten als linke Hotspots.
Woher kommt der Linken-Boom?
Bundesweit erhält die Partei enorm Zulauf. Das hat mehrere Gründe: Unzufriedene Wähler suchen Alternativen; steigende Ungleichheit und Wohnraummangel verschaffen sozialen Themen einen Schub. Hinzu kommt die generelle Proteststimmung – wenn SPD, Grüne oder CDU nicht liefern, zieht die Linke, aber auch die AfD am anderen Ende des Spektrums Aufmerksamkeit auf sich.
Der Niedergang des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat den Linken gehörig Aufschub verliehen. Und die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Heidi Reichinnek, konnte durch ihre Präsenz in den sozialen Medien viele jüngere Wähler bei der Bundestagswahl mobilisieren.
Diese Entwicklungen übertragen sich auch auf die Landesebene und geben der Linken hierzulande Rückenwind. Die Fünf-Prozent-Hürde ist zwar eine harte Nuss und in einem halben Jahr kann viel passieren. Aber in Umfragen steht die Linke derzeit bei 7 Prozent und dürfte es demnach wohl schaffen. Bundeschef Jan van Aken gab sich beim Parteitag denn auch sehr selbstbewusst: «Ich bin überzeugt, wir reißen die zehn Prozent.»
Mit welchen Themen will die Linke in den Landtag kommen?
Ganz vorn steht das Thema Wohnen. Mit dem Kampf gegen Mietwucher und Leerstand will die Linke in den Wahlkampf ziehen. Zentrale Forderungen sind eine grundlegende Reform des Mietrechts, die Stärkung von Mieterinnen und Mietern und die Schaffung von 20.000 öffentlichen, gemeinwohlorientierten Sozialwohnungen pro Jahr. «Mieten sind zum Umverteilungswerkzeug von unten nach oben geworden», sagte Amelie Vollmer, die auf Platz zwei der Landesliste kandidiert.
Bundesparteichef van Aken spricht sogar von einer kriminellen Miet-Mafia. «Stuttgart ist auf Platz fünf der Städte mit den teuersten Mieten in Deutschland. Und unter den zehn teuersten Städten sind auch noch Freiburg und Heidelberg. Gleichzeitig hat Baden-Württemberg am wenigsten Sozialwohnungen im ganzen Land», sagte er der dpa.
Auch gegen die Schließung und Privatisierung von Krankenhäusern sowie für eine kostenlose Ganztagsbetreuung will sich der Landesverband einsetzen. Der Slogan des Wahlkampfs lautet: «Menschen zuerst.»
Was macht die Linke aus?
Die Linke unterscheidet sich nicht nur inhaltlich, personell und strukturell, sondern auch kulturell von anderen Parteien. Inklusion wird groß geschrieben. Beim Parteitag wird eine halbe Stunde diskutiert, ob die rund 140 Delegierten klatschen oder nicht lieber nur die Hände schütteln und dabei winken sollen, weil sich vereinzelt Delegierte am Lärm stören. Das Achtsamkeitsteam verteilt am Ende Gehörschutz.
Aber es weht auch ein wenig revolutionärer Geist durch die Filderhalle. Der Verband geht nicht mit einem Spitzenkandidaten als One-Man-Show ins Rennen um den 8. März, sondern mit drei jungen Frauen. Sie halten ihre kämpferische Rede in Leinfelden-Echterdingen zusammen.
Außerdem ungewöhnlich: Wenn sie im Landtag sitzen, wollen sie ihre Gehälter auf das Durchschnittsgehalt deckeln und ihre Amtszeiten begrenzen. Am Ende der Rede reckt der ganze Saal die Faust in den Himmel und brüllt den Schlachtruf: «Alerta! Alerta! Antifascista!» («Achtung, Antifaschisten!»)
Was würde ein Landtagseinzug bedeuten?
Symbolisch wäre das erstmal ein historischer Schritt. Nach aktuellen Umfragen säße mit der Linken eine weitere Fraktion im Plenum, neben CDU, AfD, Grünen, SPD - und den Liberalen, falls die den Sprung in den Landtag schaffen. Das politische Spektrum im Plenum würde weiter aufgefächert, was die parlamentarische Arbeit komplizierter, aber auch bunter machen würde.
Praktische Auswirkung dürfte der Einzug der Linken aber kaum haben, da keiner mit den Newcomern koalieren will - und sie selbst auch nicht. Aber gerade in einem konservativen Land sei eine linke Opposition wichtig, sagt Landeschefin Sahra Mirow.
Wenn sie nichts umsetzen können - was haben die Linken dann vor?
Die Partei könnte im Landtag Themen auf die öffentliche Agenda setzen, Debatten dominieren, Anträge stellen und Ausschüsse besetzen - klassische Parlamentsarbeit eben. Themen wie Mietpreisbremse oder soziale Mindeststandards könnten so mehr ins Zentrum rücken. Sozialverbände und Gewerkschaften könnten neue Ansprechpartner im Parlament gewinnen. Etablierte Parteien müssten in Debatten oder Ausschüssen reagieren.
Man wolle eine lautstarke, unbequeme Opposition sein, sagt Spitzenkandidatin Kim Sophie Bohnen.
© dpa-infocom, dpa:251018-930-178122/1