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Die Abi-Revolution des Vaihinger Schülersprechers Jon Buchmüller muss noch warten

„Aufzugeben ist für mich keine Option“: Der Vaihinger Schülersprecher Jon Buchmüller will, dass Oberstufenschüler in Baden-Württemberg schon bald zwei Gesellschaftswissenschaften als Leistungskurse auf dem Weg zum Abitur wählen können. Foto: Ramona T
„Aufzugeben ist für mich keine Option“: Der Vaihinger Schülersprecher Jon Buchmüller will, dass Oberstufenschüler in Baden-Württemberg schon bald zwei Gesellschaftswissenschaften als Leistungskurse auf dem Weg zum Abitur wählen können. Foto: Ramona Theiss
Der Vaihinger Schülersprecher Jon Buchmüller kämpft für eine Umwälzung der Oberstufe und bekommt dafür breite Unterstützung von Lehrern und Schülern: Künftig sollen zwei Gesellschaftswissenschaften als Leistungskurse auf dem Weg zum Abitur gewählt werden können. Doch die Kultusministerin lässt ihn abblitzen. Ist das letzte Wort schon gesprochen?

Vaihingen. Auch E-Mails bekommen in Behörden Aktenzeichen, denn Ordnung muss sein. Die elektronische Post aus dem Kultusministerium von Theresa Schopper (Grüne) an Jon Buchmüller, den Schülersprecher des Vaihinger Stromberg-Gymnasiums, die dieser Tage herausging, trägt die Signatur 35-6521.-15/73/1 und sorgt beim Adressaten für herbe Enttäuschung.

Buchmüller, 16, Leistungskurse Deutsch, Spanisch und Wirtschaft, will ja auch für Unordnung im Ministerium sorgen und fordert die Behörde auf, neue Wege in der gymnasialen Oberstufe in Baden-Württemberg zu ermöglichen. Sein Plan, den er den Beamten im Stuttgarter Ministerium vor rund anderthalb Monaten schriftlich dargelegt hat: Abiturienten im Südwesten soll es schon bald erlaubt sein, dass ihre drei Leistungskurse auch zwei Gesellschaftswissenschaften beinhalten dürfen. Dazu gehören Geschichte, Erdkunde, Politik, Wirtschaft, Gemeinschaftskunde oder Philosophie. „Es ist aus meiner Sicht unverständlich, dass Oberstufenschüler nur eine Gesellschaftswissenschaft als Leistungskurs wählen können“, sagte Buchmüller unserer Zeitung Anfang April – „aber theoretisch drei Naturwissenschaften.“

Geschichte und Politik wie Sprachen und Naturwissenschaften zu behandeln – das ist dem Ministerium wohl zu aufwendig

Das scheinen Schopper und ihre Mitarbeiter anders zu sehen. In gesetzten Worten verweisen sie in ihrer E-Mail auf einen 15 Jahre alten Beschluss der Kultusministerkonferenz, wonach Fächern wie Sprachen und Naturwissenschaften eine besondere Bedeutung zukomme. Außerdem ist es für die Fachleute im Ministerium offenbar zu unpraktisch, mehr Gesellschaftswissenschaften im Kanon der Leistungsfächer zuzulassen. In dem Schreiben an den Vaihinger Schülersprecher heißt es: „Weitere Fächer aufzunehmen, ist aus organisatorischen Gründen nicht möglich, da jedes weitere Fach einen einzelnen Prüfungstag im schriftlichen Abitur benötigen würde.“

Die Begründung sorgt bei Buchmüller, der auch bei den Jungen Liberalen aktiv ist, der Jugendorganisation der FDP, für Stirnrunzeln. „Die Tatsache, eine Antwort erhalten zu haben, hat mich zwar gefreut“, sagt er. „Die Argumentation ist allerdings schockierend.“ Buchmüller hält sie auch für nicht mehr zeitgemäß, wenn man bedenkt, dass gerade Kriegstreiber, Rechtspopulisten oder Querdenker versuchen, den demokratischen Rechtsstaat sturmreif zu schießen und über Kanäle wie Facebook und Tiktok Falschinformationen zu verbreiten. „Gesellschaftswissenschaften vermitteln wichtige Bausteine der Demokratiebildung, die aus Lernenden mündige Bürger machen“, sagt Buchmüller.

Nach dem Abi lassen sich nur einzelne Schüler zu Germanisten oder Physikern ausbilden – aber alle werden Staatsbürger

Seinen Kampf für eine Gleichstellung von Fächern wie Geschichte und Gemeinschaftskunde führt er nicht alleine. Schon im April wusste er knapp 50 Schülersprecher und Jugendgemeinderäte im ganzen Land hinter sich. Jetzt kommen Dutzende Lehrkräfte dazu, die sich ebenfalls in einem Brief an Schopper gewandt haben und eine Stärkung der politischen Bildung an Gymnasien fordern. „Mit nur sechs Wochenstunden von Klasse fünf bis zum Abitur ist Gemeinschaftskunde eines der am schlechtesten ausgestatteten Fächer überhaupt“, schreiben sie. Die Lehrkräfte sind überzeugt: Demokratie geht uns alle an. Während nur einzelne Schüler nach dem Abi Germanisten oder Physiker werden würden, seien alle Staatsbürger.

Der Schülersprecher Buchmüller will nun die Kräfte bündeln. Er sei in Kontakt mit den jungen Philologen, der Gewerkschaft GEW oder dem hiesigen Landtagsabgeordneten Markus Rösler, der wie Schopper bei den Grünen ist. Der Parteifreund der Ministerin habe ihm zugesagt, noch einmal auf Schopper einwirken zu wollen. Auch die SPD und FDP wollen offenbar die Gleichstellung der Gesellschaftswissenschaften gegenüber Sprachen und Naturwissenschaften in ihre politische Arbeit einfließen lassen.

„Es muss im Jahr 2022 möglich sein, über seinen Schatten zu springen und Fehlentwicklungen zu korrigieren“, ruft Buchmüller der Ministerin zu. Damit meint er: Oberstufenschülern einen gerechteren Weg in Richtung Abitur nicht zu verbauen. Er fragt sich, wie Politik große Herausforderungen wie Klimaschutz, Ukraine oder Rechtsextremismus bewältigen will, wenn es ihr schon nicht gelingt, eine verhältnismäßig kleine Reform umzusetzen.

„Aufgeben ist keine Option“, sagt Buchmüller nach Schoppers Abfuhr. Bei weiteren Anfragen ans Ministerium wird er gebeten, stets das Aktenzeichen anzugeben.