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Das Mikrohofhaus verbindet zwei Kulturen

Florian Kaiser und Guobin Shen mit dem Modell ihres preisgekrönten Mikrohofhauses, das vorerst noch auf der Sternkreuzung in Ludwigsburg steht.Foto: Benno Heller
Florian Kaiser und Guobin Shen mit dem Modell ihres preisgekrönten Mikrohofhauses, das vorerst noch auf der Sternkreuzung in Ludwigsburg steht. Foto: Benno Heller
Ludwigsburger Projekt des Ateliers Kaiser Shen Architekten hat bereits mehrere Auszeichnungen gewonnen

Ludwigsburg/Stuttgart. „Wir haben mit dem Mikrohofhaus ein klares Zeichen für das Wohnen der Zukunft gesetzt“, betonen Florian Kaiser und Guobin Shen. „Die Architektur sucht eine Antwort auf die Entwicklung des Wohnungsmarktes“, sagen die Gründer des jungen Stuttgarter Ateliers Kaiser Shen Architekten, deren Mikrohofhaus mitten auf der vom Straßenverkehr umspülten Sternkreuzung in Ludwigsburg steht. Das Mikrohofhaus sei ein Gegenentwurf zu den – pro Kopf – immer größer werdenden Wohnungsflächen und ein Beitrag zum wachsenden Wohnungsbedarf.

„Man muss heute neue Modelle des Wohnens entwickeln“, sagt Shen. „Wir verfolgen dabei das Ziel: weniger Wohnfläche, dafür mehr Wohnqualität.“ Das sei ein sehr schwäbischer Grundgedanke. Shen schmunzelt: „Weniger zahlen, mehr bekommen.“ Das „Mehr“ ist zunächst relativ: Bad, Schlafen und Wohnen auf 7,3 Quadratmeter mag nicht jedermanns Sache sein. Doch die zahlreichen freiwilligen Testbewohner, die auf dem innerstädtischen, ungemütlichen Grünstreifen der Kreuzung seit 2017 schon zur Probe gewohnt haben, waren vom Konzept angetan.

„Ich war der erste Bewohner“, sagt Kaiser, der eine Woche lang dort gewohnt hat. Gerade eben sei man noch vom Straßenlärm umgeben, betrete über den schneckenförmig angelegen Gang den Hof, sehe den Garten mit seinem plätschernden Brunnen – und erfahre Stille.

Kaiser und Shen orientierten sich mit ihrem radikalen Entwurf, mit dem sie sich in einem internationalen Wettbewerb gegen 74 Architekturbüros durchgesetzt und den von der Stadt ausgelobten Preis gewonnen hatten, an traditionellen chinesischen Hofhäusern. Diese sind für die hiesige Architektur eher untypisch. „Das Mikrohofhaus verbindet zwei Kulturen“, sagt Shen. „Das schwäbische Häusle und den chinesischen Hofgarten.“

Die fünf Juroren des internationalen Designpreises Baden-Württemberg zeigten sich jedenfalls vom Mikrohofhaus, dessen Auftraggeber die Stadt und das Ludwigsburg Museum (MIK) waren, so angetan, dass sie das Wohnkonzept im Oktober im Ludwigsburger Scala mit einem Focus Open in Gold auszeichneten. „In größeren Städten und Ballungszentren ist Wohnraum bereits heute ein rares Gut. Das Mikrohofhaus versteht sich daher als beispielhafter Lösungsansatz, dem knapp werdenden Wohnraum durch Verdichtung unwirtlicher Flächen zu begegnen“, beschreibt das Design Center Baden-Württemberg das Projekt. „Der Ansatz, im städtischen Kontext das Thema Wohnen auf die wesentlichen Funktionalitäten und eine Minimalfläche zu reduzieren, ist so interessant wie spannend und aktuell“ so das Urteil der Jury in Ludwigsburg. „Die Konzeption reagiert sehr gut auf das verkehrsmäßig extrem frequentierte Umfeld mit der Schaffung eines abgeschotteten, aber einfach zugänglichen Hofes.“

Einige weitere Auszeichnungen hat das Mikrohofhaus bereits gewonnen. So hat die Architektenkammer Baden-Württemberg erst Mitte Dezember die Auszeichnung „Beispielhaftes Bauen Kreis Ludwigsburg 2013..2019“ verliehen. Zudem ist das Mikrohofhaus mit 23 weiteren Projekten aus dem Land für den Staatspreis Baukultur Baden-Württemberg nominiert. Ende März fällt die Entscheidung. Die Preise sind auch ein Grund dafür, dass das Projekt bereits dreimal verlängert wurde und nun zunächst bis April auf dem Grünstreifen stehen bleibt. Die Architekten hoffen indes auf eine weitere Verlängerung der Standzeit, damit noch mehr Interessierte dieses außergewöhnliche Wohnexperiment am eigenen Leib erfahren dürfen.

Kaiser und Shen sehen auch Einflüsse auf den Stadtentwicklungsprozess durch die Nachverdichtung. „Die Frage ist, wie man kleine Rest-Grundstücke in einer Stadt nutzbar machen kann“, sagt Shen. Und Kaiser kann sich vorstellen, dass beispielsweise auch auf dem Dach einer Tiefgarage Wohnraum nachverdichtet werden kann. Derzeit realisiert das Atelier Kaiser Shen ein Projekt in Schönaich, bei dem das Gebäude auf Stelzen über einem Parkplatz entsteht. Und in Altbach arbeiten sie an einem Mehrfamilienhaus für 13 Parteien – für sogenannte Wahlfamilien. „Jeder hat dabei seinen privaten Bereich – für Singles ab 25 Quadratmeter inklusive Bad und Mini-Küche und für eine Familie bis zu 110 Quadratmeter“, sagt Kaiser. „Dazu kommen auf jedem Stockwerk eine Gemeinschaftsfläche und eine gemeinsame Terrasse.“ Eine solche Wohnform sei nicht aus der Not geboren, sondern spreche Leute an, die ein Bedürfnis nach Gemeinschaft in einer Wahlfamilie hätten. Zielgruppen seien die Singles, Pendler oder Rentner-WGs, die sich angesprochen fühlen. Ein flexibles Modell also, bei dem die Bewohner entscheiden können, ob sie sich zurückziehen oder an der Wohngemeinschaft teilhaben wollen.