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Überschwemmung
Der Schock über das Unwetter in Oberstenfeld und Mundelsheim sitzt tief

Aufräumarbeiten am Tag nach dem Unwetter: Brauner Schlamm bedeckt die Straßen in Oberstenfeld. Fotos: Andreas Becker, Alfred Drossel
Aufräumarbeiten am Tag nach dem Unwetter: Brauner Schlamm bedeckt die Straßen in Oberstenfeld. Foto: Andreas Becker, Alfred Drossel
Tiefgarage in Oberstenfeld: An den Pfeilern ist zu sehen, wie hoch das Wasser am Donnerstagabend stand.
Tiefgarage in Oberstenfeld: An den Pfeilern ist zu sehen, wie hoch das Wasser am Donnerstagabend stand. Foto: Andreas Becker
In Mundelsheim wird am Freitag schon jede Menge Müll entsorgt.
In Mundelsheim wird am Freitag schon jede Menge Müll entsorgt. Foto: Alfred Drossel
Bürgermeister Boris Seitz packt beim Aufräumen mit an.
Bürgermeister Boris Seitz packt beim Aufräumen mit an. Foto: Alfred Drossel
Die Wassermassen haben Pflastersteine einfach herausgerissen.
Die Wassermassen haben Pflastersteine einfach herausgerissen.
Das heftige Unwetter am Donnerstagabend hat wohl einen Millionenschaden angerichtet. Die Feuerwehr rückte zu über 200 Einsätzen aus. Die sogenannte Superzelle traf vor allem Mundelsheim und Oberstenfeld. Personen kamen nicht zu Schaden.

Oberstenfeld/Mundelsheim/Großbottwar. „So etwas habe ich in meiner Zeit als Kreisbrandmeister noch nie erlebt.“ Am Tag nach dem verheerenden Unwetter im Bottwartal und den umliegenden Gemeinden ist Andy Dorroch immer noch fassungslos. Bis zu 70 Liter sind in Mundelsheim auf den Quadratmeter gefallen. Zum Vergleich: Bei dem Desaster im Ahrtal fielen 130 Liter – allerdings über deutlich längere Zeit. Im Kreis hatte sich am Donnerstagabend eine sogenannte „Superzelle“ aufgebaut, die über Tamm und Bietigheim-Bissingen mit riesigen Hagelkörnern Fahrt aufnahm und dann in kürzester Zeit über Oberstenfeld, Mundelsheim und Großbottwar die Regenmassen abließ. „Mit solchen Ereignissen müssen wir jetzt häufiger rechnen“, so Dorroch. Rund 350 Feuerwehrleute waren im Einsatz, praktisch alle Wehren im Nordkreis wurden mobilisiert.

Oberstenfeld voll in der Superzelle

Auch dem Oberstenfelder Bürgermeister Markus Kleemann steckt am Morgen nach „dem schlimmsten Unwetter, das uns in den letzten 50 Jahren erwischt hat“, der Schock noch in den Knochen. „Wir waren voll in dieser Zelle drin“, so Kleemann; im nur eineinhalb Kilometer entfernten Beilstein habe es sehr viel weniger geregnet.

Der Bürgermeister war noch im Rathaus, als sich gegen 19.30 Uhr der Himmel verdunkelte. Dem Starkregen folgten große Hagelkörner, „dann schossen riesige braune Wassermassen in die Ortsmitte. Vor allem über die Forststraße kam Schlamm, der von den Feldern oberhalb heruntergespült wurde.“

Dachstuhlbrand in Gronau

Die Feuerwehr rückte sehr schnell aus, musste in Gronau noch einen Dachstuhlbrand bekämpfen, der durch Blitzschlag in einem Einfamilienhaus entstanden war. Die Bewohner konnten es unversehrt verlassen. Kleemann zeigte sich dankbar dafür, dass aus den Nachbargemeinden rasch Hilfe vor Ort war: „Die Feuerwehren aus Beilstein, Marbach und Benningen haben uns unterstützt, Großbottwar war da, bis sie eigene Einsätze hatten, Bietigheim-Bissingen hat uns mit einer extrem starken Pumpe geholfen. Sonst hätte es viel länger gedauert, eine private Tiefgarage im Nussbaumweg freizubekommen.“ 50 Keller standen in Oberstenfeld laut Polizei unter Wasser.

Keine Menschen zu Schaden gekommen

Ohnehin sind nach bisherigem Kenntnisstand keine Menschen zu Schaden gekommen, die Schäden, die Wasser und Schlamm an einigen Häusern hinterlassen haben, sind aber nach Einschätzung des Bürgermeisters enorm. Vor allem in der Forststraße und der Großbottwarer Straße, aber auch in den Gassen unterhalb des Gasthofs Ochsen haben sich die Wasser- und Schlammmassen gestaut, sind Keller vollgelaufen.

Auch in der Lichtenbergschule stand das Wasser bis zu 20 Zentimeter hoch, ins Bürgerhaus hat es hineingeregnet. „Aber auch die Hausmeister waren sofort vor Ort und haben wie die Mitarbeiter des Bauhofs geholfen, Schlimmeres zu verhindern“, so Kleemann. Er lobte den großen Zusammenhalt im Ort, „der Abend und die Nacht waren ein Zeugnis von großer Kameradschaft und gegenseitiger Unterstützung“.

Mundelsheim schwer getroffen

Als das Unwetter über Mundelsheim hereinbrach, tagte der Gemeinderat im Bürgerhaus – bis ein Bürger hereinkam und sinngemäß rief, Mundelsheim gehe unter. Die Räte unterbrachen die Sitzung, gingen vor die Tür und sahen Wasser- und Schlammmassen, die sich ihren Weg durch den Ort bahnten.

Die braune Flut kam kurz vor 20 Uhr, nachdem heftige Regenfälle mit Hagel über dem Weinort niedergegangen waren. Die Großbottwarer Straße wurde zu einem reißenden Strom. Die braune Brühe schoss regelrecht in die Ortsmitte und füllte dort zwei Dutzend Keller. Bei einem Handwerksbetrieb wurden die Werkstatt- und Lagerräume überflutet; es entstand erheblicher Schaden. Nahe dem Großbottwarer Tor riss die Flut große Pflastersteine heraus; es klafft ein Loch in der Straße. Auch die Hessigheimer Straße wurde bis zum Ortsausgang überflutet und durch Schlamm verschmutzt. Geröll wurde aus den Weinbergen auf die Straße geschwemmt.

Stromausfall in der Großbottwarer Straße

Wegen eines Blitzschlags fiel im Bereich der Großbottwarer Straße bis gegen Mitternacht der Strom aus. Da für die Nacht neue Regenfälle angekündigt waren, wurden dort von der Feuerwehr vorsorglich mobile Dämme errichtet, die aufgrund des ausbleibenden Regens später wieder abgebaut werden konnten. Dennoch war der Ort zeitweise für den Verkehr komplett gesperrt.

Am Morgen begannen die Aufräumarbeiten. Mit Radladern wurde der Schlamm zur Seite geschoben und die Straßen wenigstens einspurig wieder befahrbar gemacht. Hausbesitzer reinigten Gehwege und Hofeinfahrten. Müllcontainer wurden gefüllt. Bürgermeister Boris Seitz unterstützte tatkräftig die Bauhofmitarbeiter bei der Beseitigung der Schäden; schwere Pflastersteine wurden zur Seite geräumt.

Das für dieses Wochenende geplante Käsbergfest findet trotzdem statt, zieht aber in das Gewann Himmelreich um.

Sauserhof läuft voll

Auch Großbottwar lag auf der Zugbahn der Gewitterzelle. Die Kernstadt sei relativ glimpflich davongekommen, sagt Bürgermeister Ralf Zimmermann, sehr massiv hat es aber den Sauserhof getroffen, „der wurde richtiggehend geflutet, es ist heftig, was da an Wasser und Schlamm runterkam“. Dementsprechend war die Straße zwischen Großbottwar und Oberstenfeld, an der der Sauserhof liegt, ebenso gesperrt wie die Straße zwischen Großbottwar und Winzerhausen. Im Teilort stand die Seewiesenstraße „einen halben Meter unter Wasser“, berichtet Zimmermann; viele Keller seien vollgelaufen. Auch der Holzweilerhof war betroffen.

„Das Regenrückhaltebecken Stockbrunnen hat die Stadt gerettet“, ist der Bürgermeister überzeugt. Es ist zu zwei Dritteln vollgelaufen, laut Zimmermann entspricht das einer Wassermenge von 250 000 Kubikmetern. 25 Einsätze hatte die Feuerwehr zu absolvieren, auch der Bauhof begann schon am Abend zu räumen.

Hutter: Das Ende der baulichen Fahnenstange erreicht

Die Schlammfluten, die sich am Donnerstagabend durch Mundelsheim und Oberstenfeld wälzten, müssen endlich zu neuem Denken in Sachen Hochwasserschutz und Klimavorsorge führen“, so Claus-Peter Hutter, Präsident der Umweltstiftung Nature Life-International (NLI) mit Sitz in Ludwigsburg.

So würde ein riesiges Gewerbegebiet bei Mundelsheim mit den damit versiegelten Flächen bei ähnlichen Ereignissen, mit denen künftig vermehrt gerechnet werden müsste, zu noch mehr Fluten führen. „Das Ende der baulichen Fahnenstange im Raum Bottwartal und Umgebung ist ganz einfach erreicht – wenn das Fass voll ist, läuft es einfach über“, unterstreicht Hutter in einer Mitteilung und fordert nicht nur gemeindeübergreifende Strategien zur Klimafolgenanpassung, sondern auch die konsequente Freihaltung der offenen Landschaft. Der Bau von Hochwasserrückhaltebecken im Oberen Bottwartal sei lediglich eine überholte „End of the pipe“-Technologie, anstatt an den Wurzeln des Problems anzusetzen, nämlich dass Landschaft nicht vermehrbar sei. Hinzu komme eine Landwirtschaft, die durch Fehlförderungen von Mais-Monokulturen den ungeschützten, Boden schonungslos den Starkniederschlägen aussetze. (red)