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Quarantäne
„Urplötzlich wie ein Aussätziger behandelt“

Ein Virologe blickt auf eine Mikroskopaufnahme: Forscher suchen derzeit weltweit nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Foto: Arne Dedert/dpa
Ein Virologe blickt auf eine Mikroskopaufnahme: Forscher suchen derzeit weltweit nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Foto: Arne Dedert/dpa
Ein Mann aus dem Kreis Ludwigsburg kommt von einer Geschäftsreise in der Lombardei mit Erkältungssymptomen zurück. Der Verdacht: Corona. Es folgt eine Odyssee durch das deutsche Gesundheitssystem.

Kreis Ludwigsburg. Manchmal schickt ihm der Sohn ein Foto oder einen aufmunternden Gruß aus Übersee nach Hause. Das hilft kurzzeitig gegen die Gliederschmerzen, den Husten und das Halskratzen. „Aber dann kommt man doch wieder sehr schnell ins Nachdenken“, sagt er.

Dienstag, 3. März. Der Geschäftsmann aus dem Kreis Ludwigsburg, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, muss von jetzt auf gleich zu Hause bleiben. Rund um die Uhr. Er ist vor gut zehn Tagen beruflich in der Lombardei gewesen – in der Nähe von Mailand, dem „Wuhan Europas“, wie es heißt. Schnell steht der Verdacht im Raum: Corona, „der Medienstar“. So nennt der Kreisgesundheitsdezernent Thomas Schönauer den Keim.

Den Abstrich erledigt der Mann in einem Krankenhaus in Bayern an der deutsch-österreichischen Grenze, wo er sich am Dienstagvormittag noch beruflich aufhält. „Dort habe ich sofort das Gesundheitsamt am Telefon, das mich auf dem schnellsten Weg nach Hause beordert“, sagt er unserer Zeitung. Daheim trifft er auf seine Frau und die Tochter. Sie stehen jetzt ebenfalls nach dem Infektionsschutzgesetz unter Quarantäne. „Von einer Minute zur nächsten wird man zum Aussätzigen – und die Familie gleich dazu“, sagt der Mann.

Er richtet sich ein Homeoffice ein, die Speisekammer ist zu Wochenbeginn noch gut gefüllt. „Doch das wird nicht lange so bleiben“, sagt er. Die Familie braucht Hilfe von außen, von Freunden oder Bekannten, die ihnen eine Kiste mit Lebensmitteln zusammenstellen. Verdursten werden sie nicht, Wasser kommt aus dem Hahn, im Haushalt steht ein Wasseraufbereiter.

Das Warten auf das Testergebnis wird zur Qual – doch viel schlechter geht es offenbar der Tochter. Die kommt am Dienstag vom Training mit einer Verletzung am Fuß zurück. Sie kann sich seither nur noch mit den alten Krücken des Vaters im Haus bewegen, die er zufällig aufbewahrt hat.

Mittwoch, 4. März. Der Mann ruft nun nach eigenen Angaben in der Notfallambulanz des Ludwigsburger Klinikums an, in dem die Tochter behandelt werden soll. Die Antwort: Auf keinen Fall vorbeikommen. Diese Marschroute gibt Klinikenchef Jörg Martin auf einem Pressegespräch am selben Tag vor. Die Gesundheitsexperten fürchten die Ansteckungsgefahr. „Das würde uns das Genick brechen“, sagt Martin.

Seine Kollegen verweisen die Familie an niedergelassene Ärzte. „Ich rufe also bei meinem Orthopäden an, bei dem ich schon vor zwei Jahren in Behandlung war“, sagt der Vater. Man könne gerne vorbeikommen, heißt es, doch dann fallen zwei fatale Begriffe: Corona und Quarantäne. Oh, das müsse man mit dem Chef klären. Keine zehn Minuten später der Rückruf, dass unter diesen Umständen eine Behandlung nicht möglich sei.

Donnerstag, 5. März. Noch immer kein Testergebnis. Die Familie hält sich weiter streng an die behördliche Anweisung, das Haus nicht zu verlassen. Für den Vater geht der Telefonmarathon weiter. Im deutsch-österreichischen Grenzgebiet erfährt er, dass seine Probe nicht nach München geschickt worden sei, sondern nach Berlin. „Das genaue Labor will mir aber niemand verraten.“ Mittlerweile steht er im Austausch mit dem Ludwigsburger Gesundheitsamt. Es scheint unklar zu sein, ob er als Verdachtsfall geführt wird oder nicht. Der Mann hat aber den Eindruck, dass „meine Ansprechpartner sehr um Lösungen bemüht sind“.

Unterdessen humpelt seine Tochter weiter auf den Krücken durch das Haus. Seine Frau kann nicht zur Arbeit. Den Coronaverdacht hat sie noch nicht offengelegt, bisher helfen Ausreden. Aber wie lange noch?

Freitag, 6. März. Weiter kein Testergebnis. „Ich habe in der Zwischenzeit für meine Tochter einen Termin beim Unfallarzt reservieren lassen“, sagt der Mann unserer Zeitung. „Sie darf ihn aber nur wahrnehmen, wenn vorab ein negatives Ergebnis nachgewiesen werden kann.“ Dies ist nicht der Fall. Also wieder kein Arzttermin.

Das Gesundheitsamt verweist ihn allerdings an das neue Coronazentrum am Ludwigsburger Klinikum, das am Freitag um 12 Uhr seine Arbeit aufnimmt. Der Dezernent Schönauer geht davon aus, dass die Ergebnisse nun innerhalb von 24 bis 48 Stunden vorliegen werden.

Für die Familie stellt sich die Gesamtsituation am Freitag nach eigener Einschätzung weitgehend unverändert dar – eher noch etwas komplizierter. „Wir haben uns in eine sehr missliche Lage katapultiert“, sagt der Mann. „Es sieht bei uns in Deutschland nach außen alles so sauber organisiert aus, wenn man dann aber mal selbst betroffen ist, dann merkt man sehr schnell, wie allein gelassen man urplötzlich ist.“

Er hofft weiterhin, dass er sich nur einen grippalen Infekt zugezogen hat – und nicht das Coronavirus.