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Corona
Geburt kurz vor künstlichem Koma: So kämpfte eine Familie im Ludwigsburger Krankenhaus gegen Corona

Nach nervenaufreibenden Wochen rund um die Geburt endlich vereint: Michael und Jana Kämpf mit ihrem Sohn Leon. Foto: privat
Nach nervenaufreibenden Wochen rund um die Geburt endlich vereint: Michael und Jana Kämpf mit ihrem Sohn Leon. Foto: privat
Nach der Geburt des kleinen Leon begann für seine Familie eine schlimme Zeit: Der Neugeborene musste wegen einer Coronainfektion beatmet werden, seine Mutter lag mit Covid im künstlichen Koma. Und der junge Vater kämpfte damit, bei den täglichen Hiobsbotschaften nicht zusammenzubrechen. Dass das nicht passiert ist, hat er der Klinikseelsorge zu verdanken, sagt er.

Ludwigsburg. Leon ist ein aufgeweckter kleiner Junge. Interessiert schaut er während des Videogesprächs immer wieder auf den Bildschirm des Computers, ab und zu quengelt er, aber wenn der Papa ihn anschaut oder die Mama ihn an sich drückt, zeigt er sein Lächeln. Beim Anblick von Familie Kämpf deutet nichts darauf hin, wie ereignisreich die ersten Wochen in Leons Leben waren – und dass der Kleine seine Mama beinahe verloren hätte, bevor er sie richtig kennenlernen konnte.

Es war im November, kurz vor Leons Geburt, als zuerst Michael Kämpf und dann seine schwangere Frau Jana an Corona erkrankten. Eigentlich wollte das Paar, das im Landkreis Böblingen wohnt, dass die Geburt in Leonberg stattfindet. Dort schickte man sie jedoch ins Ludwigsburger Klinikum. Dort kenne man sich besser mit Corona aus, hieß es. Die Geburt seines Kindes per Kaiserschnitt bekam Michael Kämpf nur am Telefon mit, später zeigte seine Frau ihm über Videotelefonie den Sohn das erste Mal. „Es war schrecklich, bei so einem wichtigen Ereignis nicht dabei zu sein“, sagt der Vater.

Vater und Sohn dürfen das Krankenzimmer tagelang nicht verlassen

Doch das war erst der Anfang: Weil es Jana Kämpf immer schlechter ging und sie sich nicht mehr um das Kind kümmern konnte, wurde Leon in die Kinderklinik verlegt. Michael Kämpf konnte weder zu ihm noch zu seiner Frau, denn er befand sich noch in Isolation wegen seiner eigenen Erkrankung. Tage später erhielt er jedoch einen Anruf, er könne seinen Sohn abholen. Geplant war, dass Michael Kämpf zwei Tage im Krankenhaus verbringt, wo ihm die Schwestern zeigen sollten, wie er sich um sein erstes Kind kümmert. Doch im Krankenhaus – endlich bei seinem Sohn – der nächste Schock: Leon, erst ein paar Tage alt, hatte sich auch mit Covid infiziert. Der Kleine hatte Temperaturschwankungen, auf der Kinderstation bekam er Sauerstoff, Michael Kämpf und Leon durften das Zimmer mehrere Tage nicht verlassen.

Währenddessen verschlechterte sich der Zustand von Jana Kämpf, die ein paar Stockwerke weiter oben auf der Intensivstation lag. Die jungen Eltern kommunizierten nur noch über Nachrichten auf dem Handy miteinander, denn Jana Kämpf konnte nicht mehr sprechen. Einen Tag später brach der Kontakt komplett ab, die junge Mutter wurde ins künstliche Koma versetzt.

Lesen Sie hier: Wie eine Krankenschwester die Arbeit auf der Intensivstation erlebt

Es war zu dieser Zeit, als Michael Kämpf Kontakt mit Klinikseelsorgerin Sabine Leibbrandt aufnahm. Sie konnte sowohl seine Frau als auch ihn besuchen, berichtete ihm über ihren Zustand und beruhigte ihn. Das half Michael Kämpf in der schweren Zeit. „Es war der absolute Horror: Ich durfte nicht raus aus dem Raum und meiner Frau ging es immer schlechter“, sagt er, dann bricht seine Stimme. Noch Wochen später kommen ihm die Tränen, wenn er von dem Erlebten erzählt.

Fünf Klinikseelsorger gibt es im Ludwigsburger Krankenhaus

Es sei Aufgabe der Klinikseelsorge, eine Verbindung zwischen Angehörigen und Patienten sowie zwischen den Stationen zu schaffen, sagt Sabine Leibbrand. Sie begleitete Jana Kämpf durch diese Zeit. „Wir sind die, die dranbleiben, während alles andere wechselt“, so die Pfarrerin. Sie und vier Kollegen teilen sich die Seelsorge im Klinikum Ludwigsburg.

Dass es die Klinikseelsorge gibt, wissen jedoch nur wenige Angehörige, sagt Sabine Leibbrandt. Dabei leisten die Seelsorger eine wichtige Arbeit, sind Verbindung zwischen Patienten und Angehörigen. Sabine Leibbrandt ist wie ihre Kollegen auf allen Stationen unterwegs, ihr Schwerpunkt liegt bei der Frauen- und Kinderklinik und der Erwachsenenintensivstation. Gerade auf der Frühchen-Station bringe die Pandemie neue Probleme mit sich: Wenn Eltern zu Hause in Isolation oder Quarantäne sind und das Kind im Krankenhaus liegt, sind es die Klinikseelsorger, die den Kontakt zu den Angehörigen halten. Die Eltern könnten ihr Kind über Videotelefonie sehen, erklärt sie. „Nach Rücksprache mit den Eltern übernehmen wir es auch, mit den Neugeborenen zu kuscheln.“

Nach vielen Hiobsbotschaften kommt Ende November der Wendepunkt

Während er mit seinem Sohn im Krankenhaus war, gab es für Michael Kämpf weitere Hiobsbotschaften. Er beschäftigte sich mit dem Gedanken, dass er seine Frau und Leon seine Mutter verlieren könnte. „Ich dachte, das Leben kann doch nicht so ein Arschloch sein! Ein Kind ohne Mutter – das geht doch nicht.“ Doch dann der Wendepunkt: Am 24. November kam das erste Mal kein Anruf mit noch schlechteren Nachrichten, von da an ging es bergauf. Für Michael Kämpf ist das ein Zeichen: Denn der 24. November ist der Tag, an dem er seine Frau kennenlernte. „Damals ist für mich an dem Tag alles besser geworden – und jetzt wieder.“

Auf Anraten von Sabine Leibbrandt stellte Michael Kämpf Musik für seine Frau zusammen, er schickte der Klinikseelsorgerin Audioaufnahmen von Freunden. „Für das Unterbewusstsein ist es wichtig, vertraute Stimmen zu hören“, so die Pfarrerin. Auch als Michael Kämpf mit Leon Ende November das Krankenhaus verlassen konnte, hielt er weiter mit der Klinikseelsorgerin Kontakt.

Nach zwölf Tagen im Koma lernt die Mutter ihren Sohn kennen

Drei Tage später bekam er die Nachricht, dass seine Frau die Augen geöffnet hatte. „Und am Nikolaustag habe ich ein wunderschönes Geschenk bekommen.“ Michael Kämpf durfte mit Leon seine Frau besuchen. Zwölf Tage lang hatte Jana Kämpf im Koma gelegen, jetzt lernte sie ihren Sohn kennen. Auch heute kann sich die junge Mutter nicht an die Geburt erinnern. Die Zeit zwischen der Fahrt ins Leonberger Krankenhaus bis zum Aufwachen aus dem Koma ist aus ihrer Erinnerung gelöscht. „Ich war völlig benebelt und habe gedacht: ‚Wo kommt denn jetzt das Kind her?‘“, berichtet Jana Kämpf.

Als Michael Kämpf an diesem Tag das Krankenhaus verließ, traf er im Aufzug den Arzt seiner Frau. Der erzählte ihm, dass er, als er die Lungenaufnahmen von Jana Kämpf gesehen hatte, nicht damit gerechnet hatte, dass sie die Covid-Infektion überlebt. Michael und Jana Kämpf sind sich darüber bewusst, wie knapp es war.

Und auch Sabine Leibbrandt bezeichnet die Familie als einen besonderen Fall. „Für mich grenzt es an eine Wunderheilung“, sagt sie. Montags sei es noch darum gegangen, dass Jana Kämpf in die stationäre Reha muss. „Es tat mir so im Herzen weh, in die Reha zu müssen und nicht gleich nach Hause zu können“, erzählt Jana Kämpf. Doch mittwochs wurde sie entlassen – und zwar nach Hause. Physiotherapie und Reha hat sie nun ambulant, kann sich also trotz allem um ihren Sohn kümmern. „Wir machen zum Teil richtig lange Spaziergänge“, berichtet sie. Ihr gehe es gut, nur außer Puste sei sie hin und wieder.

Klinikseelsorgerin ist der Familie eine große Stütze in der schwierigen Zeit

Trotzdem haben die Kämpfs die schrecklichen Wochen nach Leons Geburt noch nicht verarbeitet. Es sei schwer, das Erlebte als Paar zusammen aufzuarbeiten, während man sich gleichzeitig um das Kind kümmert. „Wenn Freunde mir Bilder schicken von ihren Neugeborenen, ist das schwierig für mich“, sagt Jana Kämpf. Denn sie kann sich – anders als andere Mütter – nicht an den Moment erinnern, als Leon in ihre Arme gelegt wurde.

„Im Nachhinein frage ich mich, wie ich es geschafft habe, nicht zusammenzubrechen“, sagt Michael Kämpf. Er ist sich sicher, dass das unter anderem auch Sabine Leibbrandt verhindert hat. Die Klinikseelsorgerin sei ihm eine große Stütze gewesen. Sie sei es gewesen, die die Hand seiner Frau halten konnte, die ihr von ihm und ihm von ihr erzählen konnte. „Was Frau Leibbrandt geleistet hat, war sehr wichtig für uns.“